Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.setzt Robespierre ebenso richtig hinzu. In diesem grausamen und lächerlichen Charlotte Corday hat alle Fehler der classischen Schule, und leinen ihrer Ich will kein Gewicht darauf legen, daß er die drei Einheiten häufiger ver¬ Ponsards Erfolg mit seinem ersten Stück war ein lediglich äußerer. Seine Grenzboten II. 1850.27
setzt Robespierre ebenso richtig hinzu. In diesem grausamen und lächerlichen Charlotte Corday hat alle Fehler der classischen Schule, und leinen ihrer Ich will kein Gewicht darauf legen, daß er die drei Einheiten häufiger ver¬ Ponsards Erfolg mit seinem ersten Stück war ein lediglich äußerer. Seine Grenzboten II. 1850.27
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185553"/> <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> setzt Robespierre ebenso richtig hinzu. In diesem grausamen und lächerlichen<lb/> Wahnsinn fährt Marat noch eine Weile fort, bis jene beiden ihn verlassen. Er<lb/> klagt dann über das Fieber, das ihn verzehrt, nimmt ein Bad, und wird von der<lb/> eintretenden Charlotte erdolcht. In aller Eile. Schlagt sie todt! ruft das Volk,<lb/> und beendigt mit diesem Ruf das Stück. —</p><lb/> <p xml:id="ID_724"> Charlotte Corday hat alle Fehler der classischen Schule, und leinen ihrer<lb/> Vorzüge. Was uns bei den besseren Tragödien Corneille's, Racine'ö und Vol¬<lb/> taire's mit der sonst unerträglich langweiligen Armuth und Einförmigkeit versölntt,<lb/> ist der edle Stil, und die eruste, würdige Haltung, die sich nie verliert. Z. B. die<lb/> Athalie wird zwar nie el» tragisches Interesse erregen, da dieses ohne Spannung,<lb/> ohne einen innern, psychischen Conflict nicht deutbar ist; aber wir nehmen sie<lb/> hin, wie ein Oratorium im besten Kirchenstil. Schiller und Göthe haben diese<lb/> Weise der Tragödie gewahrt, ohne sich übrigens an die engen Regeln des ver-<lb/> meintlichen Aristoteles zu bilden. Pvnsard dagegen fällt alle Augenblicke in die<lb/> Sprache des Lustspiels, des Jutrigueustils — ich habe absichtlich bei der Skiz-<lb/> ziruug seines Stückes auf Einzelnes aufmerksam gemacht — er wird gemein, ohne<lb/> zu charakterisiren; er bleibt trivial, ohne deu Ton zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_725"> Ich will kein Gewicht darauf legen, daß er die drei Einheiten häufiger ver¬<lb/> letzt, als selbst die Romantiker. ES kommt mir nnr ans die Einheit der Hand¬<lb/> lung an, die von allen Parteien gefordert wird. Die Einfachheit der Handlung<lb/> ist freilich da, in einem Maße, daß selbst der Cid und die Horatier davon über¬<lb/> troffen werden. Die Anekdote ist sertig, ehe der Vorhang aufgeht, und über die<lb/> Anekdote kommt es nicht heraus. Die Heidin nimmt sich eine That vor und<lb/> fuhrt sie aus, das andere ist blos epische Motivirung oder geradezu Episode.<lb/> Und wie ungeschickt ist dieses Beiwerk vertheilt! Wir haben viel historisches Co-<lb/> stüm, zu viel; aber auch nicht die Spur von der historischen Stimmung, in die<lb/> wir versetzt werden müssen, wenn wir die Unthaten der Revolution und die Un¬<lb/> that, mit der ihr entgegengetreten wird, begreifen sollen. Maral ist ein uu-<lb/> motivirteö Monstrum, und Charlotten's That ein psychologisch wie moralisch unbe¬<lb/> rechtigter Einfall. Der Dichter ist garnicht auf die Idee gekommen, daß ein<lb/> innerer Conflict nothwendig war, um eine dramatische Handlung zu begründen.</p><lb/> <p xml:id="ID_726"> Ponsards Erfolg mit seinem ersten Stück war ein lediglich äußerer. Seine<lb/> Lucretia ist eben so schlecht als seiue Charlotte — vielleicht komme ich noch ein¬<lb/> mal daraus zurück. Aber mau war der ewigen Willkür auf dem Theater müde,<lb/> man sehnte sich nach der Regel zurück. Mlle. Rache! capricirte sich daraus, die<lb/> alten Klassiker in antikem Costttm zu geben, obgleich ihre Deklamationen auf den<lb/> Reifrock und die Perrücke berechnet waren. Es war ein neues Gelüst der Ro¬<lb/> mantik, die reflectirte Regelmäßigkeit ein neues Spiel der Willkür, ein Rückschritt,<lb/> der so unberechtigt war, daß er uicht einmal zum Alten zurückführen konnte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1850.27</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
setzt Robespierre ebenso richtig hinzu. In diesem grausamen und lächerlichen
Wahnsinn fährt Marat noch eine Weile fort, bis jene beiden ihn verlassen. Er
klagt dann über das Fieber, das ihn verzehrt, nimmt ein Bad, und wird von der
eintretenden Charlotte erdolcht. In aller Eile. Schlagt sie todt! ruft das Volk,
und beendigt mit diesem Ruf das Stück. —
Charlotte Corday hat alle Fehler der classischen Schule, und leinen ihrer
Vorzüge. Was uns bei den besseren Tragödien Corneille's, Racine'ö und Vol¬
taire's mit der sonst unerträglich langweiligen Armuth und Einförmigkeit versölntt,
ist der edle Stil, und die eruste, würdige Haltung, die sich nie verliert. Z. B. die
Athalie wird zwar nie el» tragisches Interesse erregen, da dieses ohne Spannung,
ohne einen innern, psychischen Conflict nicht deutbar ist; aber wir nehmen sie
hin, wie ein Oratorium im besten Kirchenstil. Schiller und Göthe haben diese
Weise der Tragödie gewahrt, ohne sich übrigens an die engen Regeln des ver-
meintlichen Aristoteles zu bilden. Pvnsard dagegen fällt alle Augenblicke in die
Sprache des Lustspiels, des Jutrigueustils — ich habe absichtlich bei der Skiz-
ziruug seines Stückes auf Einzelnes aufmerksam gemacht — er wird gemein, ohne
zu charakterisiren; er bleibt trivial, ohne deu Ton zu halten.
Ich will kein Gewicht darauf legen, daß er die drei Einheiten häufiger ver¬
letzt, als selbst die Romantiker. ES kommt mir nnr ans die Einheit der Hand¬
lung an, die von allen Parteien gefordert wird. Die Einfachheit der Handlung
ist freilich da, in einem Maße, daß selbst der Cid und die Horatier davon über¬
troffen werden. Die Anekdote ist sertig, ehe der Vorhang aufgeht, und über die
Anekdote kommt es nicht heraus. Die Heidin nimmt sich eine That vor und
fuhrt sie aus, das andere ist blos epische Motivirung oder geradezu Episode.
Und wie ungeschickt ist dieses Beiwerk vertheilt! Wir haben viel historisches Co-
stüm, zu viel; aber auch nicht die Spur von der historischen Stimmung, in die
wir versetzt werden müssen, wenn wir die Unthaten der Revolution und die Un¬
that, mit der ihr entgegengetreten wird, begreifen sollen. Maral ist ein uu-
motivirteö Monstrum, und Charlotten's That ein psychologisch wie moralisch unbe¬
rechtigter Einfall. Der Dichter ist garnicht auf die Idee gekommen, daß ein
innerer Conflict nothwendig war, um eine dramatische Handlung zu begründen.
Ponsards Erfolg mit seinem ersten Stück war ein lediglich äußerer. Seine
Lucretia ist eben so schlecht als seiue Charlotte — vielleicht komme ich noch ein¬
mal daraus zurück. Aber mau war der ewigen Willkür auf dem Theater müde,
man sehnte sich nach der Regel zurück. Mlle. Rache! capricirte sich daraus, die
alten Klassiker in antikem Costttm zu geben, obgleich ihre Deklamationen auf den
Reifrock und die Perrücke berechnet waren. Es war ein neues Gelüst der Ro¬
mantik, die reflectirte Regelmäßigkeit ein neues Spiel der Willkür, ein Rückschritt,
der so unberechtigt war, daß er uicht einmal zum Alten zurückführen konnte.
Grenzboten II. 1850.27
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |