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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ein Langes und Breites von Deutschland erzählen, und besonders von seinem
lieben Hessenlande, an welches sich die glanzvollsten Erinnerungen seines Lebens
knüpfen.

"Ich habe die Hoffnung noch nicht ausgegeben -- sagte er -- ciinnal ans
längere Zeit nach Hessen zurückzukehren, denn wie mir in meiner spätern Zurück-
gezogenheit kein Ort so lieb geworden ist, wie Florenz, so ist mir ans den ge¬
räuschvollen Tagen meiner Jugend kein Ort so lebendig im Gedächtniß geblieben
wie Cassel mit seiner lieblichen Umgebung. Die Revolution hat wohl auch dort
Vieles geändert seit vorigem Jahre?" fragte Jm'one.

-- Im Grunde sehr wenig -- erwiederte ich --; nur einige Personen haben
gewechselt; die Dinge siud im Ganzen dieselben geblieben. --

"Ein Glück für die Deutschen -- fuhr der Exkönig fort -- daß dort die
Revolutionen nicht so durchgreifend sind, wie bei uus; Sie würden das nickt
aushalten, ein einziges unserer vielen StaatScxperimente, die hier als bloße sull-8
I>i>8 betrachtet werden, würde Deutschland zu Grunde richten. Aber die Franzo¬
sen sind gewohnt ans Vulkanen zu tanzen; und sie thun es mit einer Grazie und
einem Leichtsinne, der nirgends in der Welt seines Gleichen findet."

-- Es könnte sich doch leicht ereignen, daß ihnen der Boden einmal "meer
den Füßen einbräche! -- bemerkte ich.

"Ob das ein so großes Unglück wäre?" erwiederte Jvrome Napoleon.

Hier wurde unser Gespräch durch den eintretenden Leibarzt unterbrochen,
und auch ich breche hier ab, nicht ohne Besorgnis;, schon viel zu lang geschrieben
zu haben für einen Brief.




Ans Berlin.



Der große Churfürst und Herr v. Münchhausen. -- Ansichten eines Berliner Spitzbuben. --
Verwendung der Polizei. -- Flußconstablcr. -- Herr v. Manteuffel und die Freiheit
, des Individuums. -- Der Prophet. -- Vor und nach dem März. --

Seit ich den großen Churfürsten das letzte Mal aus der Schloßbrücke ge¬
sehen, ist er bedeuieud grüner geworden. Naturforscher behaupten, das sei das
Schicksal jeder guten Bronzestatue, Politiker dagegen "leinen, es sei hier etwas
vom Grünanlanfen des Herrn v. Münchhausen im Spiele. Der große Churfürst,
sagen sie, hat wie manche kleinere Fürsten das Erröthen verlernt, er muß von
seinem erhabenen Piedestale herab so viel Erbärmlichkeiten mitanschanen, wer kann
es ihm verargen, daß ihm und seinem Rosse die Galle aus den Eisenporen dringt?
Von diesen Berliner Politikern nlnß man sich aber so weit als möglich fern hal-


ein Langes und Breites von Deutschland erzählen, und besonders von seinem
lieben Hessenlande, an welches sich die glanzvollsten Erinnerungen seines Lebens
knüpfen.

„Ich habe die Hoffnung noch nicht ausgegeben — sagte er — ciinnal ans
längere Zeit nach Hessen zurückzukehren, denn wie mir in meiner spätern Zurück-
gezogenheit kein Ort so lieb geworden ist, wie Florenz, so ist mir ans den ge¬
räuschvollen Tagen meiner Jugend kein Ort so lebendig im Gedächtniß geblieben
wie Cassel mit seiner lieblichen Umgebung. Die Revolution hat wohl auch dort
Vieles geändert seit vorigem Jahre?" fragte Jm'one.

— Im Grunde sehr wenig — erwiederte ich —; nur einige Personen haben
gewechselt; die Dinge siud im Ganzen dieselben geblieben. —

„Ein Glück für die Deutschen — fuhr der Exkönig fort — daß dort die
Revolutionen nicht so durchgreifend sind, wie bei uus; Sie würden das nickt
aushalten, ein einziges unserer vielen StaatScxperimente, die hier als bloße sull-8
I>i>8 betrachtet werden, würde Deutschland zu Grunde richten. Aber die Franzo¬
sen sind gewohnt ans Vulkanen zu tanzen; und sie thun es mit einer Grazie und
einem Leichtsinne, der nirgends in der Welt seines Gleichen findet."

— Es könnte sich doch leicht ereignen, daß ihnen der Boden einmal »meer
den Füßen einbräche! — bemerkte ich.

„Ob das ein so großes Unglück wäre?" erwiederte Jvrome Napoleon.

Hier wurde unser Gespräch durch den eintretenden Leibarzt unterbrochen,
und auch ich breche hier ab, nicht ohne Besorgnis;, schon viel zu lang geschrieben
zu haben für einen Brief.




Ans Berlin.



Der große Churfürst und Herr v. Münchhausen. — Ansichten eines Berliner Spitzbuben. —
Verwendung der Polizei. — Flußconstablcr. — Herr v. Manteuffel und die Freiheit
, des Individuums. — Der Prophet. — Vor und nach dem März. —

Seit ich den großen Churfürsten das letzte Mal aus der Schloßbrücke ge¬
sehen, ist er bedeuieud grüner geworden. Naturforscher behaupten, das sei das
Schicksal jeder guten Bronzestatue, Politiker dagegen »leinen, es sei hier etwas
vom Grünanlanfen des Herrn v. Münchhausen im Spiele. Der große Churfürst,
sagen sie, hat wie manche kleinere Fürsten das Erröthen verlernt, er muß von
seinem erhabenen Piedestale herab so viel Erbärmlichkeiten mitanschanen, wer kann
es ihm verargen, daß ihm und seinem Rosse die Galle aus den Eisenporen dringt?
Von diesen Berliner Politikern nlnß man sich aber so weit als möglich fern hal-


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[0191] ein Langes und Breites von Deutschland erzählen, und besonders von seinem lieben Hessenlande, an welches sich die glanzvollsten Erinnerungen seines Lebens knüpfen. „Ich habe die Hoffnung noch nicht ausgegeben — sagte er — ciinnal ans längere Zeit nach Hessen zurückzukehren, denn wie mir in meiner spätern Zurück- gezogenheit kein Ort so lieb geworden ist, wie Florenz, so ist mir ans den ge¬ räuschvollen Tagen meiner Jugend kein Ort so lebendig im Gedächtniß geblieben wie Cassel mit seiner lieblichen Umgebung. Die Revolution hat wohl auch dort Vieles geändert seit vorigem Jahre?" fragte Jm'one. — Im Grunde sehr wenig — erwiederte ich —; nur einige Personen haben gewechselt; die Dinge siud im Ganzen dieselben geblieben. — „Ein Glück für die Deutschen — fuhr der Exkönig fort — daß dort die Revolutionen nicht so durchgreifend sind, wie bei uus; Sie würden das nickt aushalten, ein einziges unserer vielen StaatScxperimente, die hier als bloße sull-8 I>i>8 betrachtet werden, würde Deutschland zu Grunde richten. Aber die Franzo¬ sen sind gewohnt ans Vulkanen zu tanzen; und sie thun es mit einer Grazie und einem Leichtsinne, der nirgends in der Welt seines Gleichen findet." — Es könnte sich doch leicht ereignen, daß ihnen der Boden einmal »meer den Füßen einbräche! — bemerkte ich. „Ob das ein so großes Unglück wäre?" erwiederte Jvrome Napoleon. Hier wurde unser Gespräch durch den eintretenden Leibarzt unterbrochen, und auch ich breche hier ab, nicht ohne Besorgnis;, schon viel zu lang geschrieben zu haben für einen Brief. Ans Berlin. Der große Churfürst und Herr v. Münchhausen. — Ansichten eines Berliner Spitzbuben. — Verwendung der Polizei. — Flußconstablcr. — Herr v. Manteuffel und die Freiheit , des Individuums. — Der Prophet. — Vor und nach dem März. — Seit ich den großen Churfürsten das letzte Mal aus der Schloßbrücke ge¬ sehen, ist er bedeuieud grüner geworden. Naturforscher behaupten, das sei das Schicksal jeder guten Bronzestatue, Politiker dagegen »leinen, es sei hier etwas vom Grünanlanfen des Herrn v. Münchhausen im Spiele. Der große Churfürst, sagen sie, hat wie manche kleinere Fürsten das Erröthen verlernt, er muß von seinem erhabenen Piedestale herab so viel Erbärmlichkeiten mitanschanen, wer kann es ihm verargen, daß ihm und seinem Rosse die Galle aus den Eisenporen dringt? Von diesen Berliner Politikern nlnß man sich aber so weit als möglich fern hal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/191>, abgerufen am 22.07.2024.