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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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er seine ausgerauchte Cigarre wegwarf, während ein -- bei Einigen in Lachen
ausartendes -- Lächeln über die Gesichter aller Umstehenden schlich...

Spät am Abend verließ ich das bunte Treiben auf den Bonlcwards, um im
Palaste des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einem der seltsamsten
Balle beizuwohnen, deren Pariser Salons sich rühmen können.

Es war nämlich zur Zeit deö Friedenscongresses, und Herr v. Tocqueville
hatte die aus allen Himmelsstrichen in Paris versammelten Friedensapostel zu einem
großen Balle eingeladen, bei welchem die Zahl der Gäste sich auf ungefähr zwei
Tausend belief, da sich außer den Friedensmännern auch eine Menge Militärs,
Beamte, Schriftsteller, Diplomaten und Tagesberühmtheitcn aller Art eingefun-
den hatten.

Den Kern und die große Mehrzahl aber bildeten Amerikaner und Englän¬
der mit ihren meist wundersam gekleideten Frauen und Töchtern.

Ich habe einmal ein gelehrtes Werk über die Costüme der germanischen und
romanischen Volker gelesen, worin die Anfänge, Entwickelungen und Veränderun¬
gen unserer Trachten, seit dem frühesten Mittelalter bis ans den heutigen Tag,
ausführlich geschildert und durch gelungene Abbildungen veranschaulicht werden.
Man sieht darin unter Anderem, wie sich aus einem enganliegenden, auf Erwär-
mung des Leibes berechneten Unterkleide (dem x-rav,' des Homer und dem ^rc.'l>-
<tut der Kaukasier nicht unähnlich) unsere jetzige Weste entwickelt, Zoll aus Zoll
sich verkürzend, bis sie endlich ans dem Nococoschnilt des Jahrhunderts der
Marquis ans ihren heutigen kleinen Umfang zusammenschrumpft.

Und wie ich meine Augen über die Ballgesellschaft in den Salons des Herrn
v. Tocqueville schweifen ließ, tauchten unwillkürlich eine Menge Bilder aus jenen:
Werke vor mir auf, die mir vorkamen wie getreue Conterfei's vieler der hier ver¬
sammelten Gäste.

Da waren Quäker mit Westen, die wenigstens bis ins achtzehnte Jahrhundert
zurückreichten, mit Schnallenschuhen, wie man sie nur noch bei den Bauern in
einigen norddeutschen Dörfern findet, und mit Fracks, welche deutlich die Epoche
veranschaulichten, wo man zum ersten Male die Ausführung des unglücklichen Ge¬
dankens versuchte, den gewöhnlichen Rock in einen sogenannten Leibrock um-
zuwandeln.

Und eine Menge Damen bewegten sich um mich her mit flatternden Spitzen¬
kragen von solcher Ausdehnung, daß sie füglich als Ueberwurf hätten dienen kön¬
nen, wenn sie von anderen Stoffen gewesen wären. Die Trägerinnen dieser
Kragen waren größtentheils Frauen und Töchter reicher Farmers aus dem Inne¬
ren Altenglands, die sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollten, auf einem
Ministerballe all ihren mitgebrachten Putz auf einmal zu entfalten. Und gleich
als ob sich Alle vorher verabredet hätten, durch Eontrast zu glänzen, trugen die
Mageren uuter ihnen so enganliegende, lang herunterfallende Kleider, daß sie


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er seine ausgerauchte Cigarre wegwarf, während ein — bei Einigen in Lachen
ausartendes — Lächeln über die Gesichter aller Umstehenden schlich...

Spät am Abend verließ ich das bunte Treiben auf den Bonlcwards, um im
Palaste des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einem der seltsamsten
Balle beizuwohnen, deren Pariser Salons sich rühmen können.

Es war nämlich zur Zeit deö Friedenscongresses, und Herr v. Tocqueville
hatte die aus allen Himmelsstrichen in Paris versammelten Friedensapostel zu einem
großen Balle eingeladen, bei welchem die Zahl der Gäste sich auf ungefähr zwei
Tausend belief, da sich außer den Friedensmännern auch eine Menge Militärs,
Beamte, Schriftsteller, Diplomaten und Tagesberühmtheitcn aller Art eingefun-
den hatten.

Den Kern und die große Mehrzahl aber bildeten Amerikaner und Englän¬
der mit ihren meist wundersam gekleideten Frauen und Töchtern.

Ich habe einmal ein gelehrtes Werk über die Costüme der germanischen und
romanischen Volker gelesen, worin die Anfänge, Entwickelungen und Veränderun¬
gen unserer Trachten, seit dem frühesten Mittelalter bis ans den heutigen Tag,
ausführlich geschildert und durch gelungene Abbildungen veranschaulicht werden.
Man sieht darin unter Anderem, wie sich aus einem enganliegenden, auf Erwär-
mung des Leibes berechneten Unterkleide (dem x-rav,' des Homer und dem ^rc.'l>-
<tut der Kaukasier nicht unähnlich) unsere jetzige Weste entwickelt, Zoll aus Zoll
sich verkürzend, bis sie endlich ans dem Nococoschnilt des Jahrhunderts der
Marquis ans ihren heutigen kleinen Umfang zusammenschrumpft.

Und wie ich meine Augen über die Ballgesellschaft in den Salons des Herrn
v. Tocqueville schweifen ließ, tauchten unwillkürlich eine Menge Bilder aus jenen:
Werke vor mir auf, die mir vorkamen wie getreue Conterfei's vieler der hier ver¬
sammelten Gäste.

Da waren Quäker mit Westen, die wenigstens bis ins achtzehnte Jahrhundert
zurückreichten, mit Schnallenschuhen, wie man sie nur noch bei den Bauern in
einigen norddeutschen Dörfern findet, und mit Fracks, welche deutlich die Epoche
veranschaulichten, wo man zum ersten Male die Ausführung des unglücklichen Ge¬
dankens versuchte, den gewöhnlichen Rock in einen sogenannten Leibrock um-
zuwandeln.

Und eine Menge Damen bewegten sich um mich her mit flatternden Spitzen¬
kragen von solcher Ausdehnung, daß sie füglich als Ueberwurf hätten dienen kön¬
nen, wenn sie von anderen Stoffen gewesen wären. Die Trägerinnen dieser
Kragen waren größtentheils Frauen und Töchter reicher Farmers aus dem Inne¬
ren Altenglands, die sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollten, auf einem
Ministerballe all ihren mitgebrachten Putz auf einmal zu entfalten. Und gleich
als ob sich Alle vorher verabredet hätten, durch Eontrast zu glänzen, trugen die
Mageren uuter ihnen so enganliegende, lang herunterfallende Kleider, daß sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/187>, abgerufen am 22.07.2024.