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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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werden. Das erste war nothwendig, denn die deutsche Frage, d. h. die Lösung
des Verhältnisses zur heiligen Allianz, ist der Kernpunkt der ganzen preußischen
Entwickelung, der Punkt, mit dein der preußische Liberalismus steht oder fällt.

Nach der rechtswidrigen Octroyirung des neuen Wahlgesetzes erfolgte bei
Vincke die letzte Zuckung des NechtSpriucipö; er schlug die Wahl zu der neuen,
auf rechtswidrige Weise zusammengesetzten Kammer ans. Es war das letzte
Zucken, denn in Preußen ist jetzt von einem Rechtsboden, dessen Giltigkeit nicht
bestritten werden könnte, nicht mehr die Rede. Dafür ist die Verfassung vom
6. Februar, was viel wichtiger ist, eine Thatsache, und aus den Boden der
Thatsachen wird sich stellen müssen, wer noch für die Freiheit zu Wirten gedenkt.

Es war ferner ein RechtSscrnpel, der Vincke abhielt, sich formell der Gothaer
Partei, deren Beschlüsse er ihrem Inhalt nach adoptirte, anzuschließen. In zwie¬
facher Beziehung: zuerst hatte er in Frankfurt gegen die Nechtögiltigkeit der ein¬
seitigen Feststellung der Reichsverfassung gesprochen, dann in Berlin gegen die
"unwürdige Zumuthung" an die Nationalversammlung, sie solle von ihrem einmal
gefaßten Beschlusse abgehen.

Wenn man nur den persönlichen Erfolg ins Auge faßt, so kann man jenes
momentane Zurücktreten vom Schauplatz der Politik nur billigen. In den Kam¬
mern des octroyirten Wahlgesetzes waren keine Lorbeeren zu holen. Allein in sol¬
chen Fällen hat der Einzelne, der in der öffentlichen Meinung zu den politischen
Kräften des Landes gerechnet wird, kaum das Recht, sein persönliches Gefühl in
Anschlag zu bringen. Der Protest Einzelner oder ganzer Parteien gegen eine in
Ausübung gesetzte Verfassung will nicht viel Anderes sagen, als wenn man die
Faust im Sack ballt. Die Wirkungen der neuen Staatsform erstrecken sich auch
auf die, welche an ihrer Feststellung keinen Theil genommen haben, und sie müssen
sich nachher den Vorwurf machen, wenigstens nicht alles versucht zu habe", was
in ihren Kräften stand, dem Unvermeidlichen eine bessere Richtung zu gebe".
Jedenfalls wäre die Anwesenheit Vincke's in der zweiten Kammer zur Zeit der
berüchtigten Propositionen geeignet gewesen, dem Widerstand der liberalen Partei
den Eclat zu geben, den nnr eine mächtige Persönlichkeit hervorbringen kann.
Eine solche fehlte damals in den Reihen der Gutgesinnten.

Außerdem ist, wenn mau einmal sich in dem Markt des politischen Lebens
bewegt hat, der Drang nach nuuüttelbarcr Thätigkeit zu groß, als daß man sich
lange in dem leeren Wohlgefallen des passiven Widerstandes genügen könnte. An
dem Erfurter Reichstag hat sich Vincke doch betheiligt, obgleich hier die Stellung
der liberalen Partei noch viel unklarer und schwankender ist, noch viel mehr dein
übermüthigen Hohn derer ausgesetzt, in deren ungeschickten Händen jetzt die Macht
ruht. Dennoch war Vincke moralisch verpflichtet, sich diesem ungleichen Kampf zu
unterziehen. An verständigen Staatsmännern, die der Brutalität ihrer Gegner
den Standpunkt des Rechts und der Zweckmäßigkeit auseinandersetzen, fehlt es in


werden. Das erste war nothwendig, denn die deutsche Frage, d. h. die Lösung
des Verhältnisses zur heiligen Allianz, ist der Kernpunkt der ganzen preußischen
Entwickelung, der Punkt, mit dein der preußische Liberalismus steht oder fällt.

Nach der rechtswidrigen Octroyirung des neuen Wahlgesetzes erfolgte bei
Vincke die letzte Zuckung des NechtSpriucipö; er schlug die Wahl zu der neuen,
auf rechtswidrige Weise zusammengesetzten Kammer ans. Es war das letzte
Zucken, denn in Preußen ist jetzt von einem Rechtsboden, dessen Giltigkeit nicht
bestritten werden könnte, nicht mehr die Rede. Dafür ist die Verfassung vom
6. Februar, was viel wichtiger ist, eine Thatsache, und aus den Boden der
Thatsachen wird sich stellen müssen, wer noch für die Freiheit zu Wirten gedenkt.

Es war ferner ein RechtSscrnpel, der Vincke abhielt, sich formell der Gothaer
Partei, deren Beschlüsse er ihrem Inhalt nach adoptirte, anzuschließen. In zwie¬
facher Beziehung: zuerst hatte er in Frankfurt gegen die Nechtögiltigkeit der ein¬
seitigen Feststellung der Reichsverfassung gesprochen, dann in Berlin gegen die
„unwürdige Zumuthung" an die Nationalversammlung, sie solle von ihrem einmal
gefaßten Beschlusse abgehen.

Wenn man nur den persönlichen Erfolg ins Auge faßt, so kann man jenes
momentane Zurücktreten vom Schauplatz der Politik nur billigen. In den Kam¬
mern des octroyirten Wahlgesetzes waren keine Lorbeeren zu holen. Allein in sol¬
chen Fällen hat der Einzelne, der in der öffentlichen Meinung zu den politischen
Kräften des Landes gerechnet wird, kaum das Recht, sein persönliches Gefühl in
Anschlag zu bringen. Der Protest Einzelner oder ganzer Parteien gegen eine in
Ausübung gesetzte Verfassung will nicht viel Anderes sagen, als wenn man die
Faust im Sack ballt. Die Wirkungen der neuen Staatsform erstrecken sich auch
auf die, welche an ihrer Feststellung keinen Theil genommen haben, und sie müssen
sich nachher den Vorwurf machen, wenigstens nicht alles versucht zu habe», was
in ihren Kräften stand, dem Unvermeidlichen eine bessere Richtung zu gebe».
Jedenfalls wäre die Anwesenheit Vincke's in der zweiten Kammer zur Zeit der
berüchtigten Propositionen geeignet gewesen, dem Widerstand der liberalen Partei
den Eclat zu geben, den nnr eine mächtige Persönlichkeit hervorbringen kann.
Eine solche fehlte damals in den Reihen der Gutgesinnten.

Außerdem ist, wenn mau einmal sich in dem Markt des politischen Lebens
bewegt hat, der Drang nach nuuüttelbarcr Thätigkeit zu groß, als daß man sich
lange in dem leeren Wohlgefallen des passiven Widerstandes genügen könnte. An
dem Erfurter Reichstag hat sich Vincke doch betheiligt, obgleich hier die Stellung
der liberalen Partei noch viel unklarer und schwankender ist, noch viel mehr dein
übermüthigen Hohn derer ausgesetzt, in deren ungeschickten Händen jetzt die Macht
ruht. Dennoch war Vincke moralisch verpflichtet, sich diesem ungleichen Kampf zu
unterziehen. An verständigen Staatsmännern, die der Brutalität ihrer Gegner
den Standpunkt des Rechts und der Zweckmäßigkeit auseinandersetzen, fehlt es in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/182>, abgerufen am 01.10.2024.