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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Augenblick unschädlichen Fictionen der Revolution. Es handelte sich hier, wenn
man den Plan der Linken, durch die Volkssouveränität die bisherigen Staaten
oder Fürsten zu stürzen, und dann auf den Trümmern des Alten wieder durch
die Volkssouveränität ein neues Reich aufzurichten, wenn auch eine Monarchie --
es handelte sich, wenn mau vou diesem Plan absah, nur um zwei Eventualitäten:
Wiederherstellung des alten, lären Fürstenbündnisses mit zeitgemäßen Reformen,
oder Trennung dieses einheitlichen Staateucompler.es in zwei selbstständige Ge¬
biete nach ihren natürlichen Schwerpunkten. - Wollte Vincke das Lichtere -- und
nnr unter dieser Bedingung hatte der Entwurf der Sieb^ebner, wie er später in
dem Programm Gagern seine bestimmte Form fand, eine Berechtigung, so war
die Wahl des östreichischen Reichsverwesers und die daraus resnltirenden Schritte
diesem Plan widersprechend. -- Ich komme bei der Charakteristik Gagern'S daraus
zurück/-- Noch im Oetober, als die Restauration Oestreichs bereits zu einer
Wahrheit geworden, hatte sich Vincke seinen Plan nicht klar gemacht; denn daß
seine damalige Erklärung, Preußen werde, wenn Oestreich mit seinem ganzen
Gebiet dem neuen Bundesstaat beitrete, auch die definitive Centralgewalt in
demselben dem älteren Staat überlassen, daß diese Erklärung eine bloße caMtin
d"zu<zvo1<:n>,me; gewesen sein sollte, kann ich bei seinem Charakter nicht annehmen. ')

Als nun nach Ausstellung des Gagern'schen Progamms die Wahl zwischen
den beiden Eventualitäten unvermeidlich geworden war, löste sich, wie es sich von
selbst verstand, die Partei ans. Daß Vincke damals uicht unbedingt zur Erb¬
kaiserlichen Partei ^übertrat, rechne ich ihm zum Lobe; denn ein Dekret unter
dem Anschein souveräner Machtvollkommenheit gegeben, aber ohne die äußerliche
Gewalt, die allein ihm Nachdruck gebe" kann, setzt seine Urheber dem Spott
und der Beschämung aus.

Ebenso rühmlich ist aber die Energie, mit der er in der zweiten preußischen
Kammer die Beschlüsse der Partei, die nicht die seinigen waren, vertreten hat. --
Trotz seines anscheinenden Eigensinns und seiner Schroffheit, ist Vincke bildungs¬
fähiger als viele andere, deren weiche Natur sich jeder Form fügt, und den Ein¬
druck ebenso schnell ausgibt, als sie ihn empfängt. Die Gesellschaft der Pauls-
kirche hat diese reiche Statur auf eine edle Weise entwickelt.

Nach Berlin kam er mit der Ueberzeugung, die Revolution, die nur äußer¬
lich geschlagen war, ans parlanieiitarischemWegebelanipfen znmüssen, wie er es schon
ans der Ferne in Frankfurt gethan. Damals standen die Actien des Liberalismus
noch so hoch, daß man den ehemaligen Chef der Opposition an die Spitze der
conservativen Partei stellte, daß die Arnim und Bodelschwingh sich ihm mit einer
gewissen Begeisterung unterordneten, obgleich er schon damals mit seiner gewvhn-



Ueber die Gemüthlichkeit seiner damalige" Dcdneiioncn habe ich seiner Zeit berichtet,
Grenzvotcn 1848, Heft 4i und 45.

Augenblick unschädlichen Fictionen der Revolution. Es handelte sich hier, wenn
man den Plan der Linken, durch die Volkssouveränität die bisherigen Staaten
oder Fürsten zu stürzen, und dann auf den Trümmern des Alten wieder durch
die Volkssouveränität ein neues Reich aufzurichten, wenn auch eine Monarchie —
es handelte sich, wenn mau vou diesem Plan absah, nur um zwei Eventualitäten:
Wiederherstellung des alten, lären Fürstenbündnisses mit zeitgemäßen Reformen,
oder Trennung dieses einheitlichen Staateucompler.es in zwei selbstständige Ge¬
biete nach ihren natürlichen Schwerpunkten. - Wollte Vincke das Lichtere — und
nnr unter dieser Bedingung hatte der Entwurf der Sieb^ebner, wie er später in
dem Programm Gagern seine bestimmte Form fand, eine Berechtigung, so war
die Wahl des östreichischen Reichsverwesers und die daraus resnltirenden Schritte
diesem Plan widersprechend. — Ich komme bei der Charakteristik Gagern'S daraus
zurück/— Noch im Oetober, als die Restauration Oestreichs bereits zu einer
Wahrheit geworden, hatte sich Vincke seinen Plan nicht klar gemacht; denn daß
seine damalige Erklärung, Preußen werde, wenn Oestreich mit seinem ganzen
Gebiet dem neuen Bundesstaat beitrete, auch die definitive Centralgewalt in
demselben dem älteren Staat überlassen, daß diese Erklärung eine bloße caMtin
d«zu<zvo1<:n>,me; gewesen sein sollte, kann ich bei seinem Charakter nicht annehmen. ')

Als nun nach Ausstellung des Gagern'schen Progamms die Wahl zwischen
den beiden Eventualitäten unvermeidlich geworden war, löste sich, wie es sich von
selbst verstand, die Partei ans. Daß Vincke damals uicht unbedingt zur Erb¬
kaiserlichen Partei ^übertrat, rechne ich ihm zum Lobe; denn ein Dekret unter
dem Anschein souveräner Machtvollkommenheit gegeben, aber ohne die äußerliche
Gewalt, die allein ihm Nachdruck gebe» kann, setzt seine Urheber dem Spott
und der Beschämung aus.

Ebenso rühmlich ist aber die Energie, mit der er in der zweiten preußischen
Kammer die Beschlüsse der Partei, die nicht die seinigen waren, vertreten hat. —
Trotz seines anscheinenden Eigensinns und seiner Schroffheit, ist Vincke bildungs¬
fähiger als viele andere, deren weiche Natur sich jeder Form fügt, und den Ein¬
druck ebenso schnell ausgibt, als sie ihn empfängt. Die Gesellschaft der Pauls-
kirche hat diese reiche Statur auf eine edle Weise entwickelt.

Nach Berlin kam er mit der Ueberzeugung, die Revolution, die nur äußer¬
lich geschlagen war, ans parlanieiitarischemWegebelanipfen znmüssen, wie er es schon
ans der Ferne in Frankfurt gethan. Damals standen die Actien des Liberalismus
noch so hoch, daß man den ehemaligen Chef der Opposition an die Spitze der
conservativen Partei stellte, daß die Arnim und Bodelschwingh sich ihm mit einer
gewissen Begeisterung unterordneten, obgleich er schon damals mit seiner gewvhn-



Ueber die Gemüthlichkeit seiner damalige» Dcdneiioncn habe ich seiner Zeit berichtet,
Grenzvotcn 1848, Heft 4i und 45.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/180>, abgerufen am 25.08.2024.