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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Beim Schluß des Landtags drohte das Organ der Regierung -- Herr
von Bodelschwingh, in diesem Augenblicke Chef der Opposition!! -- gegen
die Renitenten die Strenge deö Gesetzes in Anwendung zu bringen. Man hat
es doch nicht gethan; spater kam die Revolution dazwischen. Die Krone mußte
sich zur Sieorganisation des Staats an die Liberalen wenden.

Vincke blieb Privatmann; für ihn persönlich eine günstige Stellung, denn es
ließ sich voraussehen, daß sich der neuen Regierung von zwei Seiten Hindernisse
in den Weg stellen wurden, an denen anch die beste Kraft sich abreiben müßte.
Für die Sache des Liberalismus ist es aber kein Vortheil gewesen. Es ist mög¬
lich und sogar wahrscheinlich, daß auch er den doppelten Intriguen des Hofes und
der Demokratie auf die Lauge nicht hätte widerstehen können, aber wir wären
mit mehr Anstand gefallen.

Vincke billigte nicht ganz den Gang der neuen Regierung, der sich mehr durch
die vorherrschende Richtung der Zeit bestimmen ließ, als einen selbstgewollten Plan
verfolgte. Aber er erkannte, daß unter den obwaltenden Umständen der Patriot
die Regierung um jeden Preis unterstützen müsse. Seine letzte Rede ans dem
zweiten vereinigten Landtag, in welcher er das unbedingte Vertrauensvotum für
daS Ministerium motivirte, ist ein Meisterstück patriotischer Beredsamkeit.

Damals noch eine populäre Figur in der öffentlichen Meinung, von der man
sogar Mythen erzählte, wie das Gespräch mit dem König in der Märznacht, wenn
anch die Weiterschrcitcndeu, namentlich die Juden, die er persönlich beleidigt hatte,
seine aristokratischen Vorurtheile geringschätzten, wurde er sowohl nach Berlin als
nach Frankfurt gewählt. Er zog den letzteren Posten vor, vielleicht weil ihm von
hier ans für Preußen eine größere Gefahr zu drohen schien. Damals war man
allgemein dieser Ansicht. Mgn hat sich getäuscht; vielleicht wäre in Berlin die
gute Sache zu retten gewesen, wenn sich ein entschlossener Führer an die Spitze
der schwankenden conservativen Majorität gestellt hätte.

Es war eine gerechte Nemesis für das altpreußische System, daß uuter den
vielen preußischen Beamten, die in Frankfurt tagten, nicht einer die Sache
Preußens mit so viel Muth und Begeisterung vertheidigt hat, als der Chef der
liberalen Opposition. In jener Zeit, wo es wohlfeil geworden war, den deutschen
Patriotismus dadurch an den Tag zu legen, daß man Preußen einen Tritt gab,
wo selbst preußische Abgeordnete sich nicht schämten, darin mit den süddeutschen
Radicalen zu wetteifern, gehörte nicht nur Muth, sondern anch eine sichere Per¬
sönlichkeit dazu, den Kampf für das engere Vaterland auf eine würdige Weise
zu führen. Vincke hat sich durch sein Preußenthum damals unpopulär gemacht,
was bei der unbestimmten Gesinnung, die damals Ton war, nicht viel sagen
konnte; aber er hat auch am meisten dazu beigetragen, daß wenigstens in allen
Kreisen, wo uicht der gesunde Menschenverstand vollständig ausgestorben war, die
Stimmung gegen Preußen eine ganz andere wurde. ES war ein Vortheil für


GrtnMc" II. 1850. 22

Beim Schluß des Landtags drohte das Organ der Regierung — Herr
von Bodelschwingh, in diesem Augenblicke Chef der Opposition!! — gegen
die Renitenten die Strenge deö Gesetzes in Anwendung zu bringen. Man hat
es doch nicht gethan; spater kam die Revolution dazwischen. Die Krone mußte
sich zur Sieorganisation des Staats an die Liberalen wenden.

Vincke blieb Privatmann; für ihn persönlich eine günstige Stellung, denn es
ließ sich voraussehen, daß sich der neuen Regierung von zwei Seiten Hindernisse
in den Weg stellen wurden, an denen anch die beste Kraft sich abreiben müßte.
Für die Sache des Liberalismus ist es aber kein Vortheil gewesen. Es ist mög¬
lich und sogar wahrscheinlich, daß auch er den doppelten Intriguen des Hofes und
der Demokratie auf die Lauge nicht hätte widerstehen können, aber wir wären
mit mehr Anstand gefallen.

Vincke billigte nicht ganz den Gang der neuen Regierung, der sich mehr durch
die vorherrschende Richtung der Zeit bestimmen ließ, als einen selbstgewollten Plan
verfolgte. Aber er erkannte, daß unter den obwaltenden Umständen der Patriot
die Regierung um jeden Preis unterstützen müsse. Seine letzte Rede ans dem
zweiten vereinigten Landtag, in welcher er das unbedingte Vertrauensvotum für
daS Ministerium motivirte, ist ein Meisterstück patriotischer Beredsamkeit.

Damals noch eine populäre Figur in der öffentlichen Meinung, von der man
sogar Mythen erzählte, wie das Gespräch mit dem König in der Märznacht, wenn
anch die Weiterschrcitcndeu, namentlich die Juden, die er persönlich beleidigt hatte,
seine aristokratischen Vorurtheile geringschätzten, wurde er sowohl nach Berlin als
nach Frankfurt gewählt. Er zog den letzteren Posten vor, vielleicht weil ihm von
hier ans für Preußen eine größere Gefahr zu drohen schien. Damals war man
allgemein dieser Ansicht. Mgn hat sich getäuscht; vielleicht wäre in Berlin die
gute Sache zu retten gewesen, wenn sich ein entschlossener Führer an die Spitze
der schwankenden conservativen Majorität gestellt hätte.

Es war eine gerechte Nemesis für das altpreußische System, daß uuter den
vielen preußischen Beamten, die in Frankfurt tagten, nicht einer die Sache
Preußens mit so viel Muth und Begeisterung vertheidigt hat, als der Chef der
liberalen Opposition. In jener Zeit, wo es wohlfeil geworden war, den deutschen
Patriotismus dadurch an den Tag zu legen, daß man Preußen einen Tritt gab,
wo selbst preußische Abgeordnete sich nicht schämten, darin mit den süddeutschen
Radicalen zu wetteifern, gehörte nicht nur Muth, sondern anch eine sichere Per¬
sönlichkeit dazu, den Kampf für das engere Vaterland auf eine würdige Weise
zu führen. Vincke hat sich durch sein Preußenthum damals unpopulär gemacht,
was bei der unbestimmten Gesinnung, die damals Ton war, nicht viel sagen
konnte; aber er hat auch am meisten dazu beigetragen, daß wenigstens in allen
Kreisen, wo uicht der gesunde Menschenverstand vollständig ausgestorben war, die
Stimmung gegen Preußen eine ganz andere wurde. ES war ein Vortheil für


GrtnMc» II. 1850. 22
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[0177] Beim Schluß des Landtags drohte das Organ der Regierung — Herr von Bodelschwingh, in diesem Augenblicke Chef der Opposition!! — gegen die Renitenten die Strenge deö Gesetzes in Anwendung zu bringen. Man hat es doch nicht gethan; spater kam die Revolution dazwischen. Die Krone mußte sich zur Sieorganisation des Staats an die Liberalen wenden. Vincke blieb Privatmann; für ihn persönlich eine günstige Stellung, denn es ließ sich voraussehen, daß sich der neuen Regierung von zwei Seiten Hindernisse in den Weg stellen wurden, an denen anch die beste Kraft sich abreiben müßte. Für die Sache des Liberalismus ist es aber kein Vortheil gewesen. Es ist mög¬ lich und sogar wahrscheinlich, daß auch er den doppelten Intriguen des Hofes und der Demokratie auf die Lauge nicht hätte widerstehen können, aber wir wären mit mehr Anstand gefallen. Vincke billigte nicht ganz den Gang der neuen Regierung, der sich mehr durch die vorherrschende Richtung der Zeit bestimmen ließ, als einen selbstgewollten Plan verfolgte. Aber er erkannte, daß unter den obwaltenden Umständen der Patriot die Regierung um jeden Preis unterstützen müsse. Seine letzte Rede ans dem zweiten vereinigten Landtag, in welcher er das unbedingte Vertrauensvotum für daS Ministerium motivirte, ist ein Meisterstück patriotischer Beredsamkeit. Damals noch eine populäre Figur in der öffentlichen Meinung, von der man sogar Mythen erzählte, wie das Gespräch mit dem König in der Märznacht, wenn anch die Weiterschrcitcndeu, namentlich die Juden, die er persönlich beleidigt hatte, seine aristokratischen Vorurtheile geringschätzten, wurde er sowohl nach Berlin als nach Frankfurt gewählt. Er zog den letzteren Posten vor, vielleicht weil ihm von hier ans für Preußen eine größere Gefahr zu drohen schien. Damals war man allgemein dieser Ansicht. Mgn hat sich getäuscht; vielleicht wäre in Berlin die gute Sache zu retten gewesen, wenn sich ein entschlossener Führer an die Spitze der schwankenden conservativen Majorität gestellt hätte. Es war eine gerechte Nemesis für das altpreußische System, daß uuter den vielen preußischen Beamten, die in Frankfurt tagten, nicht einer die Sache Preußens mit so viel Muth und Begeisterung vertheidigt hat, als der Chef der liberalen Opposition. In jener Zeit, wo es wohlfeil geworden war, den deutschen Patriotismus dadurch an den Tag zu legen, daß man Preußen einen Tritt gab, wo selbst preußische Abgeordnete sich nicht schämten, darin mit den süddeutschen Radicalen zu wetteifern, gehörte nicht nur Muth, sondern anch eine sichere Per¬ sönlichkeit dazu, den Kampf für das engere Vaterland auf eine würdige Weise zu führen. Vincke hat sich durch sein Preußenthum damals unpopulär gemacht, was bei der unbestimmten Gesinnung, die damals Ton war, nicht viel sagen konnte; aber er hat auch am meisten dazu beigetragen, daß wenigstens in allen Kreisen, wo uicht der gesunde Menschenverstand vollständig ausgestorben war, die Stimmung gegen Preußen eine ganz andere wurde. ES war ein Vortheil für GrtnMc» II. 1850. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/177>, abgerufen am 25.08.2024.