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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Truppe" dem Genera! Lazar anvertraut hatte, und über Lugvs nach Temesvar ge¬
eilt war, um die Führung zu übernehmen, hatte seinen Gegner schon so fest in den
Klauen, daß er ihn zu erdrücken wähnte, während sich die östreichischen Colon-
nen im Centrum umsonst vor den strahleuföriuigeu Schanzen opferten, welche der
Pole ihnen mit genialer Benutzung des Terrains in den Weg geworfen hatte.
Da erschien im entscheidenden Momente Fürst Liechtenstein mit seinem Corps von
Hodos her, wohin er flüchtigem Honveds gefolgt war, während Schlick, vou Me-
zöhegyes konunend, bei Vinga sichtbar wurde. Das entschied das Schicksal der
Schlacht, indem Ersterer den geworfenen, nun mächtig verstärkten, Flügel der
Oestreicher zum stehen brachte, "ud uach kurzer Pause zum Angriff vor¬
wärts führte.

Die Husaren waren ermattet angekommen, weder sie noch ihre Pferde hat-
ten nach dem beschwerlichsten aller Märsche genügende Nahrung erhalten, der er¬
neute Kampf überstieg ihre Kräfte, und Gnhon, welcher mit unter den Vorder¬
sten focht, bemerkte später seufzend: "Ein Schluck Wein für jeden Husaren hätte
die Schlacht gerettet." Der Schluck Wein aber fehlte schon seit Tagen; die
Pferde sanken in die Kniee, die Reiter fühlten die Kraft aus ihren Muskeln
schwinden, sie wurden durch den Stoß in Verwirrung gebracht, und Bem brach
durch einen Sturz vom Pferde, das er mit seinem wundenbedecktcn Leibe seit
langer Zeit schon nie recht in seiner Gewalt hatte, ein Schlüsselbein. Die Ver¬
wirrung der Ungarn verwandelte sich in Auflösung, die Auflösung in eine Flucht,
wie sie der ungarische Boden von seinen Söhnen noch nicht gesehen hatte. Liechten¬
stein's rechtzeitiges Erscheinen ans dem Schlachtfelde und Görgey's Nichterscheinen
brachte Bem um den halberkämpften Sieg, welcher Ungarn schwerlich mehr ge¬
rettet, aber neuen Ereignissen Raum und Zeit gegönnt hatte, deren Folgen zu
berechnen in diesem Augenblicke ebeu so unmöglich als unersprießlich ist.

Die nächste Folge der verlorenen Schlacht war der Entsatz Temesvar's.
Haynan hatte die Genugthuung, der erste zu sein, welcher noch am selben Tage
August) spät Abends an der Spitze einiger Schwadronen durch die Thore
der Festung spreugte. Sie waren mit Kranken überfüllt, das Aeußere ihrer Ge¬
bäude und ihrer Vertheidiger zeigte, daß Beide ans jenen äußersten Puukt an¬
gekommen waren, wo eine längere Vertheidigung unmöglich ist.

Die Morgensonne des I I. August vergoldete die Thürme zweier Festungen,
welche nur wenige Meilen von einander entfernt waren, mit gleich herrlichem
Strahlenlichte. Sie beleuchtete zwei merkwürdig contrastirende Scenen. In
Temesvar drängten sich die armen ausgehungerten Oestreicher freudig um ihre
Gäste, in Arad standen die verzweifelten Ungarn in traurigen ahnungsvollen Grup¬
pen beisammen; dort z^wu befreundete Kolonnen uuter muntrem Sang und
Kriegsspiel in die geretteten Räume, hier flüchtete was flüchten konnte aus den
dunklen Thorwegen; dort lagen sich die östreichischen Führer voll Siegesfreude in


Grenzboten II. I8S0. 20

Truppe» dem Genera! Lazar anvertraut hatte, und über Lugvs nach Temesvar ge¬
eilt war, um die Führung zu übernehmen, hatte seinen Gegner schon so fest in den
Klauen, daß er ihn zu erdrücken wähnte, während sich die östreichischen Colon-
nen im Centrum umsonst vor den strahleuföriuigeu Schanzen opferten, welche der
Pole ihnen mit genialer Benutzung des Terrains in den Weg geworfen hatte.
Da erschien im entscheidenden Momente Fürst Liechtenstein mit seinem Corps von
Hodos her, wohin er flüchtigem Honveds gefolgt war, während Schlick, vou Me-
zöhegyes konunend, bei Vinga sichtbar wurde. Das entschied das Schicksal der
Schlacht, indem Ersterer den geworfenen, nun mächtig verstärkten, Flügel der
Oestreicher zum stehen brachte, »ud uach kurzer Pause zum Angriff vor¬
wärts führte.

Die Husaren waren ermattet angekommen, weder sie noch ihre Pferde hat-
ten nach dem beschwerlichsten aller Märsche genügende Nahrung erhalten, der er¬
neute Kampf überstieg ihre Kräfte, und Gnhon, welcher mit unter den Vorder¬
sten focht, bemerkte später seufzend: „Ein Schluck Wein für jeden Husaren hätte
die Schlacht gerettet." Der Schluck Wein aber fehlte schon seit Tagen; die
Pferde sanken in die Kniee, die Reiter fühlten die Kraft aus ihren Muskeln
schwinden, sie wurden durch den Stoß in Verwirrung gebracht, und Bem brach
durch einen Sturz vom Pferde, das er mit seinem wundenbedecktcn Leibe seit
langer Zeit schon nie recht in seiner Gewalt hatte, ein Schlüsselbein. Die Ver¬
wirrung der Ungarn verwandelte sich in Auflösung, die Auflösung in eine Flucht,
wie sie der ungarische Boden von seinen Söhnen noch nicht gesehen hatte. Liechten¬
stein's rechtzeitiges Erscheinen ans dem Schlachtfelde und Görgey's Nichterscheinen
brachte Bem um den halberkämpften Sieg, welcher Ungarn schwerlich mehr ge¬
rettet, aber neuen Ereignissen Raum und Zeit gegönnt hatte, deren Folgen zu
berechnen in diesem Augenblicke ebeu so unmöglich als unersprießlich ist.

Die nächste Folge der verlorenen Schlacht war der Entsatz Temesvar's.
Haynan hatte die Genugthuung, der erste zu sein, welcher noch am selben Tage
August) spät Abends an der Spitze einiger Schwadronen durch die Thore
der Festung spreugte. Sie waren mit Kranken überfüllt, das Aeußere ihrer Ge¬
bäude und ihrer Vertheidiger zeigte, daß Beide ans jenen äußersten Puukt an¬
gekommen waren, wo eine längere Vertheidigung unmöglich ist.

Die Morgensonne des I I. August vergoldete die Thürme zweier Festungen,
welche nur wenige Meilen von einander entfernt waren, mit gleich herrlichem
Strahlenlichte. Sie beleuchtete zwei merkwürdig contrastirende Scenen. In
Temesvar drängten sich die armen ausgehungerten Oestreicher freudig um ihre
Gäste, in Arad standen die verzweifelten Ungarn in traurigen ahnungsvollen Grup¬
pen beisammen; dort z^wu befreundete Kolonnen uuter muntrem Sang und
Kriegsspiel in die geretteten Räume, hier flüchtete was flüchten konnte aus den
dunklen Thorwegen; dort lagen sich die östreichischen Führer voll Siegesfreude in


Grenzboten II. I8S0. 20
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[0161] Truppe» dem Genera! Lazar anvertraut hatte, und über Lugvs nach Temesvar ge¬ eilt war, um die Führung zu übernehmen, hatte seinen Gegner schon so fest in den Klauen, daß er ihn zu erdrücken wähnte, während sich die östreichischen Colon- nen im Centrum umsonst vor den strahleuföriuigeu Schanzen opferten, welche der Pole ihnen mit genialer Benutzung des Terrains in den Weg geworfen hatte. Da erschien im entscheidenden Momente Fürst Liechtenstein mit seinem Corps von Hodos her, wohin er flüchtigem Honveds gefolgt war, während Schlick, vou Me- zöhegyes konunend, bei Vinga sichtbar wurde. Das entschied das Schicksal der Schlacht, indem Ersterer den geworfenen, nun mächtig verstärkten, Flügel der Oestreicher zum stehen brachte, »ud uach kurzer Pause zum Angriff vor¬ wärts führte. Die Husaren waren ermattet angekommen, weder sie noch ihre Pferde hat- ten nach dem beschwerlichsten aller Märsche genügende Nahrung erhalten, der er¬ neute Kampf überstieg ihre Kräfte, und Gnhon, welcher mit unter den Vorder¬ sten focht, bemerkte später seufzend: „Ein Schluck Wein für jeden Husaren hätte die Schlacht gerettet." Der Schluck Wein aber fehlte schon seit Tagen; die Pferde sanken in die Kniee, die Reiter fühlten die Kraft aus ihren Muskeln schwinden, sie wurden durch den Stoß in Verwirrung gebracht, und Bem brach durch einen Sturz vom Pferde, das er mit seinem wundenbedecktcn Leibe seit langer Zeit schon nie recht in seiner Gewalt hatte, ein Schlüsselbein. Die Ver¬ wirrung der Ungarn verwandelte sich in Auflösung, die Auflösung in eine Flucht, wie sie der ungarische Boden von seinen Söhnen noch nicht gesehen hatte. Liechten¬ stein's rechtzeitiges Erscheinen ans dem Schlachtfelde und Görgey's Nichterscheinen brachte Bem um den halberkämpften Sieg, welcher Ungarn schwerlich mehr ge¬ rettet, aber neuen Ereignissen Raum und Zeit gegönnt hatte, deren Folgen zu berechnen in diesem Augenblicke ebeu so unmöglich als unersprießlich ist. Die nächste Folge der verlorenen Schlacht war der Entsatz Temesvar's. Haynan hatte die Genugthuung, der erste zu sein, welcher noch am selben Tage August) spät Abends an der Spitze einiger Schwadronen durch die Thore der Festung spreugte. Sie waren mit Kranken überfüllt, das Aeußere ihrer Ge¬ bäude und ihrer Vertheidiger zeigte, daß Beide ans jenen äußersten Puukt an¬ gekommen waren, wo eine längere Vertheidigung unmöglich ist. Die Morgensonne des I I. August vergoldete die Thürme zweier Festungen, welche nur wenige Meilen von einander entfernt waren, mit gleich herrlichem Strahlenlichte. Sie beleuchtete zwei merkwürdig contrastirende Scenen. In Temesvar drängten sich die armen ausgehungerten Oestreicher freudig um ihre Gäste, in Arad standen die verzweifelten Ungarn in traurigen ahnungsvollen Grup¬ pen beisammen; dort z^wu befreundete Kolonnen uuter muntrem Sang und Kriegsspiel in die geretteten Räume, hier flüchtete was flüchten konnte aus den dunklen Thorwegen; dort lagen sich die östreichischen Führer voll Siegesfreude in Grenzboten II. I8S0. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/161>, abgerufen am 25.08.2024.