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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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saudter des einigen starken Deutschlands; ich halte dafür -- ich spreche dies offen
aus, daß nur dynastische Interessen in Frage sein können, wenn sich irgend
eine deutsche Negierung weigert, dem deutschen Bundesstaate gerade dieses Opfer
zu bringen." Natürlich führte diese Betrachtung den Redner sogleich zu einer
andern, wegen der Besorgniß vor angeblichen Mediatisiruugsgelüstchi
Preußens. "Nein, uieiue Herren," rief er mit Bezug hieraus aus: "nicht sowohl
Preußens Vergrößeruugsgelüstc ist es, welches die Selbstständigkeit der kleinen
deutschen Staaten gefährdet, nein! ist es etwas, so ist es das Mißbehagen des
deutschen Volkes an der meist so kleinlichen, so particularistischen und doch so
schwachen Politik der kleinern Regierungen, das Mißbehagen des deutschen
Volkes an der sogenannten Kleinstaaterei. Ist es etwas, was mit der Zeit auch
Sachsens Selbstständigkeit gefährden könnte, so ist es das immer höher ansteigende
Ansgabenbudget, das zur Verarmung der Steuerpflichtigen sührt, so ist es eine
Heeresmacht, welche zu schwach ist, um unsere Selbstständigkeit gegen das Ausland,
wäre sie wirklich bedroht, zu vertheidigen, und doch zu stark, um uicht das Land
mit Abgaben zu erdrücken und im Geheimen den Wunsch aufkommen zu lassen,
daß es besser sei, sich an einen größern Staat anzuschließen."

Hier zum ersten Male brach ein Beifallsruf innerhalb der Kammer und aus
deu Gallerien los, der sich bei den folgende"! Stellen dieser trefflichen Rede in
steigender Lebhaftigkeit wiederholte. Der Redner fuhr fort:

"Das siud die währen Feinde der Selbstständigkeit der kleinen Staaten, und
diese Feinde wird man am Besten dann entwaffnen, wenn man den Geist, der
Deutschland durchweht, zu begreifen vermag und ihm sein gebührendes Opfer
bringt. Der Regent, der Volksstamm, welcher in diese Bahn rechtzeitig und frei¬
willig einlenkt, er wird noch am Meisten von seiner Selbstständigkeit retten, wäh¬
rend diejenigen Regierungen, welche die Mahnungen der Zeit überhöre", die
nächste Catastrophe, die über Deutschland hereinbricht, verschlingen wird." (Mehr¬
faches Bravo!)

Es folgte nun Schlag auf Schlag. Jeder neue Nedesatz hob die Hörer
auf einen höhern Standpunkt, ließ sie die freiere Atmosphäre großer staats¬
männischer und nationaler Gedanken athmen, entrückte sie mehr den engen An¬
schauungen eines kleinlichen Particularismus. Das specifische Preußenthum ist
eiues der Schlagwörter, womit man den sächsischen Patriotismus gegen das preu¬
ßische Bündniß aufzustacheln sucht. Carlowitz, indem er dieses Sprachbild ent¬
larvte, hielt zugleich jenem beschränkten Sachsenthum den Spiegel vor, in dem es
seine eigenen Mängel erblicken sollte. "Ich gebe zu," sagte er, "daß eine gewisse
Partei in Preußen ihre Zeit sehr schlecht wählt, um mit ihrem Preußenthum ein's
Licht zu treten, ich gebe zu, daß die Haltung dieser Partei sür die beitretenden
übrigen deutscheu Stämme etwas Verletzendes haben kann. Aber vergessen wir
auch nicht, daß der Nationalstolz Preußens seine Quelle zumeist in jener Zeit hat,


saudter des einigen starken Deutschlands; ich halte dafür — ich spreche dies offen
aus, daß nur dynastische Interessen in Frage sein können, wenn sich irgend
eine deutsche Negierung weigert, dem deutschen Bundesstaate gerade dieses Opfer
zu bringen." Natürlich führte diese Betrachtung den Redner sogleich zu einer
andern, wegen der Besorgniß vor angeblichen Mediatisiruugsgelüstchi
Preußens. „Nein, uieiue Herren," rief er mit Bezug hieraus aus: „nicht sowohl
Preußens Vergrößeruugsgelüstc ist es, welches die Selbstständigkeit der kleinen
deutschen Staaten gefährdet, nein! ist es etwas, so ist es das Mißbehagen des
deutschen Volkes an der meist so kleinlichen, so particularistischen und doch so
schwachen Politik der kleinern Regierungen, das Mißbehagen des deutschen
Volkes an der sogenannten Kleinstaaterei. Ist es etwas, was mit der Zeit auch
Sachsens Selbstständigkeit gefährden könnte, so ist es das immer höher ansteigende
Ansgabenbudget, das zur Verarmung der Steuerpflichtigen sührt, so ist es eine
Heeresmacht, welche zu schwach ist, um unsere Selbstständigkeit gegen das Ausland,
wäre sie wirklich bedroht, zu vertheidigen, und doch zu stark, um uicht das Land
mit Abgaben zu erdrücken und im Geheimen den Wunsch aufkommen zu lassen,
daß es besser sei, sich an einen größern Staat anzuschließen."

Hier zum ersten Male brach ein Beifallsruf innerhalb der Kammer und aus
deu Gallerien los, der sich bei den folgende»! Stellen dieser trefflichen Rede in
steigender Lebhaftigkeit wiederholte. Der Redner fuhr fort:

„Das siud die währen Feinde der Selbstständigkeit der kleinen Staaten, und
diese Feinde wird man am Besten dann entwaffnen, wenn man den Geist, der
Deutschland durchweht, zu begreifen vermag und ihm sein gebührendes Opfer
bringt. Der Regent, der Volksstamm, welcher in diese Bahn rechtzeitig und frei¬
willig einlenkt, er wird noch am Meisten von seiner Selbstständigkeit retten, wäh¬
rend diejenigen Regierungen, welche die Mahnungen der Zeit überhöre«, die
nächste Catastrophe, die über Deutschland hereinbricht, verschlingen wird." (Mehr¬
faches Bravo!)

Es folgte nun Schlag auf Schlag. Jeder neue Nedesatz hob die Hörer
auf einen höhern Standpunkt, ließ sie die freiere Atmosphäre großer staats¬
männischer und nationaler Gedanken athmen, entrückte sie mehr den engen An¬
schauungen eines kleinlichen Particularismus. Das specifische Preußenthum ist
eiues der Schlagwörter, womit man den sächsischen Patriotismus gegen das preu¬
ßische Bündniß aufzustacheln sucht. Carlowitz, indem er dieses Sprachbild ent¬
larvte, hielt zugleich jenem beschränkten Sachsenthum den Spiegel vor, in dem es
seine eigenen Mängel erblicken sollte. „Ich gebe zu," sagte er, „daß eine gewisse
Partei in Preußen ihre Zeit sehr schlecht wählt, um mit ihrem Preußenthum ein's
Licht zu treten, ich gebe zu, daß die Haltung dieser Partei sür die beitretenden
übrigen deutscheu Stämme etwas Verletzendes haben kann. Aber vergessen wir
auch nicht, daß der Nationalstolz Preußens seine Quelle zumeist in jener Zeit hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/16>, abgerufen am 22.07.2024.