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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Bilder und Scenen ans der Slovakei.
Die F l u es t.

Der l8. September war einer von den Tagen, welche uns der hinsterbende
Sommer als Abschiedsknß zu geben liebt. Unsere Laune war golden wie die
Strahlen der schönen Morgensonne; das bunte Gemisch der mannigfaltigen Waffen
und Trachten erschien wie ein Symbol der neugeborenen Gleichheit; der monotone
Marschgetös der Trommeln schien uns ein Echo unserer Hochklopsenden Herzen;
und mit den hundert Melodien der geflügelten Waldbewohner wetteifernd, ließen
wir unsere magyarischen, deutschen, slavischen und italienischen Freihcitslieder in
ungestörter Eintracht erschallen.

Der Weg von Verbo nach Brezova führt durch eine unwirthbare und für
den Wanderer höchst unbehagliche Gegend. Den massenhaft lagernden Gebirgen
fehlt jede Schotte Linie und alle wohlthuende Abwechselung; denn keiner dieser
Berge erhebt sich über das Niveau seiner übrigen Gefährten und vergebens sucht
das Auge einen Punkt, von dein es die einzelnen riesigen Lehm- und Steinhausen
gruppiren könnte. Die von Sturzbächen hundertfach ausgebuchteten Höhen mit
ihren meist kahlen Gipfeln sehen mit den dichten Waldungen in der Tiefe ans
wie ein unheimlicher Mißgriff der Natur; die im Sommer meist ausgetrockneten
Waldbäche lassen einen grünen, Nur von Kröten und Fröschen bevölkerten übel¬
riechenden Schlamm zurück; und die Landwege dnrch die Berge, welche theils von
der Natur, theils durch Menschenhände gehauen sind, verschließen oft Stunden
lang jede freie Aussicht, und hemmen die Bewegung einer größern Wanderschaar.
Gegen Mittag erreichten wir das Dörfchen Nozbehi.

Dies kleine Dorf liegt, wie fast alle Dörfer dieser Gegend, an den beiden
Ufern eines Walddachs, der sich dnrch Jahrhunderte ein für seinen kleinen Leib
viel zu tiefes und breites Bett ausgewaschen hat, und in einen schmalen
Winkel seines großen Lagers liegend, wie ein unruhig schlafendes Kind sich bald
nach diesem bald nach jenem Rande streckt. Die kleinen Häuser mit Stroh ge¬
deckt und wie bei alleil Slovaken - die Arvaör ausgenommen -- reinlich weiß
getüncht und um Fenster und Thüren mit bunten Blumen bemalt, stehen oben
auf dem hundertzackigen Lehmnfer, und die Communication zwischen den beiden
Häuserreihen geschieht, wo das Flußbet! schmäler wird, durch einen plattgezim¬
merten Eichstamm, der in der Mitte von einem hölzernen Pfeiler gestützt wird,
wo die Breite des Hohlwegs diesen primitiven Brückenbau nicht gestattet, durch
kleine Steintreppen, die zu beiden Seiten in die Tiefe hinabführen, und den
Wanderer gerade durch den Bach, oder zu einem leichten Sprunge darüber locken.


Grenzbotcii. II, ISSV. 18
Bilder und Scenen ans der Slovakei.
Die F l u es t.

Der l8. September war einer von den Tagen, welche uns der hinsterbende
Sommer als Abschiedsknß zu geben liebt. Unsere Laune war golden wie die
Strahlen der schönen Morgensonne; das bunte Gemisch der mannigfaltigen Waffen
und Trachten erschien wie ein Symbol der neugeborenen Gleichheit; der monotone
Marschgetös der Trommeln schien uns ein Echo unserer Hochklopsenden Herzen;
und mit den hundert Melodien der geflügelten Waldbewohner wetteifernd, ließen
wir unsere magyarischen, deutschen, slavischen und italienischen Freihcitslieder in
ungestörter Eintracht erschallen.

Der Weg von Verbo nach Brezova führt durch eine unwirthbare und für
den Wanderer höchst unbehagliche Gegend. Den massenhaft lagernden Gebirgen
fehlt jede Schotte Linie und alle wohlthuende Abwechselung; denn keiner dieser
Berge erhebt sich über das Niveau seiner übrigen Gefährten und vergebens sucht
das Auge einen Punkt, von dein es die einzelnen riesigen Lehm- und Steinhausen
gruppiren könnte. Die von Sturzbächen hundertfach ausgebuchteten Höhen mit
ihren meist kahlen Gipfeln sehen mit den dichten Waldungen in der Tiefe ans
wie ein unheimlicher Mißgriff der Natur; die im Sommer meist ausgetrockneten
Waldbäche lassen einen grünen, Nur von Kröten und Fröschen bevölkerten übel¬
riechenden Schlamm zurück; und die Landwege dnrch die Berge, welche theils von
der Natur, theils durch Menschenhände gehauen sind, verschließen oft Stunden
lang jede freie Aussicht, und hemmen die Bewegung einer größern Wanderschaar.
Gegen Mittag erreichten wir das Dörfchen Nozbehi.

Dies kleine Dorf liegt, wie fast alle Dörfer dieser Gegend, an den beiden
Ufern eines Walddachs, der sich dnrch Jahrhunderte ein für seinen kleinen Leib
viel zu tiefes und breites Bett ausgewaschen hat, und in einen schmalen
Winkel seines großen Lagers liegend, wie ein unruhig schlafendes Kind sich bald
nach diesem bald nach jenem Rande streckt. Die kleinen Häuser mit Stroh ge¬
deckt und wie bei alleil Slovaken - die Arvaör ausgenommen — reinlich weiß
getüncht und um Fenster und Thüren mit bunten Blumen bemalt, stehen oben
auf dem hundertzackigen Lehmnfer, und die Communication zwischen den beiden
Häuserreihen geschieht, wo das Flußbet! schmäler wird, durch einen plattgezim¬
merten Eichstamm, der in der Mitte von einem hölzernen Pfeiler gestützt wird,
wo die Breite des Hohlwegs diesen primitiven Brückenbau nicht gestattet, durch
kleine Steintreppen, die zu beiden Seiten in die Tiefe hinabführen, und den
Wanderer gerade durch den Bach, oder zu einem leichten Sprunge darüber locken.


Grenzbotcii. II, ISSV. 18
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[0145] Bilder und Scenen ans der Slovakei. Die F l u es t. Der l8. September war einer von den Tagen, welche uns der hinsterbende Sommer als Abschiedsknß zu geben liebt. Unsere Laune war golden wie die Strahlen der schönen Morgensonne; das bunte Gemisch der mannigfaltigen Waffen und Trachten erschien wie ein Symbol der neugeborenen Gleichheit; der monotone Marschgetös der Trommeln schien uns ein Echo unserer Hochklopsenden Herzen; und mit den hundert Melodien der geflügelten Waldbewohner wetteifernd, ließen wir unsere magyarischen, deutschen, slavischen und italienischen Freihcitslieder in ungestörter Eintracht erschallen. Der Weg von Verbo nach Brezova führt durch eine unwirthbare und für den Wanderer höchst unbehagliche Gegend. Den massenhaft lagernden Gebirgen fehlt jede Schotte Linie und alle wohlthuende Abwechselung; denn keiner dieser Berge erhebt sich über das Niveau seiner übrigen Gefährten und vergebens sucht das Auge einen Punkt, von dein es die einzelnen riesigen Lehm- und Steinhausen gruppiren könnte. Die von Sturzbächen hundertfach ausgebuchteten Höhen mit ihren meist kahlen Gipfeln sehen mit den dichten Waldungen in der Tiefe ans wie ein unheimlicher Mißgriff der Natur; die im Sommer meist ausgetrockneten Waldbäche lassen einen grünen, Nur von Kröten und Fröschen bevölkerten übel¬ riechenden Schlamm zurück; und die Landwege dnrch die Berge, welche theils von der Natur, theils durch Menschenhände gehauen sind, verschließen oft Stunden lang jede freie Aussicht, und hemmen die Bewegung einer größern Wanderschaar. Gegen Mittag erreichten wir das Dörfchen Nozbehi. Dies kleine Dorf liegt, wie fast alle Dörfer dieser Gegend, an den beiden Ufern eines Walddachs, der sich dnrch Jahrhunderte ein für seinen kleinen Leib viel zu tiefes und breites Bett ausgewaschen hat, und in einen schmalen Winkel seines großen Lagers liegend, wie ein unruhig schlafendes Kind sich bald nach diesem bald nach jenem Rande streckt. Die kleinen Häuser mit Stroh ge¬ deckt und wie bei alleil Slovaken - die Arvaör ausgenommen — reinlich weiß getüncht und um Fenster und Thüren mit bunten Blumen bemalt, stehen oben auf dem hundertzackigen Lehmnfer, und die Communication zwischen den beiden Häuserreihen geschieht, wo das Flußbet! schmäler wird, durch einen plattgezim¬ merten Eichstamm, der in der Mitte von einem hölzernen Pfeiler gestützt wird, wo die Breite des Hohlwegs diesen primitiven Brückenbau nicht gestattet, durch kleine Steintreppen, die zu beiden Seiten in die Tiefe hinabführen, und den Wanderer gerade durch den Bach, oder zu einem leichten Sprunge darüber locken. Grenzbotcii. II, ISSV. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/145>, abgerufen am 25.08.2024.