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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Politik erklärte, von dessen Gedanken aber, nach desselben v. d. Pfordten neuester
Erklärung das deutsche Volk sich wieder entwöhnen soll. Welch ein merkwür¬
diger und verhängnisvoller Wechsel in den Verhältnisse!! und in den Personen!

Der Minister deö Auswärtigen hatte während des ersten Tages den Verhand¬
lungen schweigend zugehört nud war erst am zweiten in eigner Person ans den
Kampfplatz getreten. Seine Rede, die auch hier, wie in der ersten Kammer, die
Debatte auf das Gebiet persönlicher Augriffe nud provocirender Beschuldigungen
hinüberspielte, veranlaßte eine scharfe Entgegnung von Seiten des Berichterstatters,
und Kammer wie Publicum zollten diesem lauten Beifall. Am dritten Tage kam
der Münster nochmals auf den Hauptpunkt seiner Rede, die Unmöglichkeit des Bun-
desstaates und die Nothwendigkeit einer anderweiten Einigung, mit Einschluß Oest¬
reichs und der süddeutschen Staaten zurück. Größe Spannung ging dieser Rede
voraus -- man flüsterte von wichtigen "Eröffnungen", welche der Minister machen
werde. Aber es blieb bei diplomatischen Andeutungen über Verhandlungen,
die mit den süddeutschen Staateil in München angeknüpft und zu einem Abschluß
gebracht worden seien, über neue "Propositionen zu einer Verfassung", die mau von
dort aus macheu werde.

Dennoch war die Versuchung für die noch Schwankende" nud einem
raschen Eiltschliiß Abgcileigteil micht gering, die hier gebotene Aussicht zu ergreifen
und daraufhin jeden direkten Beschluß in der dentschen Frage zu verschieben. Der
Berichterstatter erkannte die Gefahr, welche den Ausschußauträgen drohte, und eilte,
die vom Minister gelegte Mine durch eine Contrenline unwirksam zu machen. Er
drang in den Minister, sich zu erkläre", ob das, was man in München zu Stande
bringen wolle, ein parlamentarischer Bundesstaat im Sinne des allgemeinen Aus-
schußautrages sei? Der Minister versuchte auszuweichen, aber der Berichterstatter
ließ nicht nach mit Drängen; Herr v. Beust gerieih in Verlegenheit, verwickelte
sich -- eine Bewegung der Ungeduld und des Spottes ging durch die Kammer,
und die Gefahr war vorüber. Beim Beginne der nächsten Sitzung brachte der
Berichterstatter in seinem Namen einen Zusatzautrag ein, wonach die Kanuucr ihr
Recht der Zustimmung zu jeder von den Regierungen ausgehenden Feststellung
einer deutschen Verfassung feierlich wahrte, und die Minister für dessen strenge
Aufrechterhaltung ansdrücklich verantwortlich machte. Die Kammer erhob sich fast
einstimniig zur Unterstützung dieses Antrags. Vergebens suchte Herr v. Beust
durch Einzelheiten, die. er von dem Münchener Projekte mittheilte, die Kammer
günstiger für dasselbe zu Stimme" -- wie wenig Vertrauen man dazu hatte, zeigte
die bald darauf mit überwiegender Stimmenmehrheit erfolgende Verwerfung
sowohl des Haberkoriischen Verschiebuilgsantrags, als auch des Friesenschen, dessen
Zielpunkt augenscheinlich jenes Münchener Projekt war.

Nach viertägiger Debatte kam man endlich zum Schluß. Der Berichterstatter
faßte noch einmal alle Hauptgesichtspunkte der Frage zusammen und schlug alle


Politik erklärte, von dessen Gedanken aber, nach desselben v. d. Pfordten neuester
Erklärung das deutsche Volk sich wieder entwöhnen soll. Welch ein merkwür¬
diger und verhängnisvoller Wechsel in den Verhältnisse!! und in den Personen!

Der Minister deö Auswärtigen hatte während des ersten Tages den Verhand¬
lungen schweigend zugehört nud war erst am zweiten in eigner Person ans den
Kampfplatz getreten. Seine Rede, die auch hier, wie in der ersten Kammer, die
Debatte auf das Gebiet persönlicher Augriffe nud provocirender Beschuldigungen
hinüberspielte, veranlaßte eine scharfe Entgegnung von Seiten des Berichterstatters,
und Kammer wie Publicum zollten diesem lauten Beifall. Am dritten Tage kam
der Münster nochmals auf den Hauptpunkt seiner Rede, die Unmöglichkeit des Bun-
desstaates und die Nothwendigkeit einer anderweiten Einigung, mit Einschluß Oest¬
reichs und der süddeutschen Staaten zurück. Größe Spannung ging dieser Rede
voraus — man flüsterte von wichtigen „Eröffnungen", welche der Minister machen
werde. Aber es blieb bei diplomatischen Andeutungen über Verhandlungen,
die mit den süddeutschen Staateil in München angeknüpft und zu einem Abschluß
gebracht worden seien, über neue „Propositionen zu einer Verfassung", die mau von
dort aus macheu werde.

Dennoch war die Versuchung für die noch Schwankende» nud einem
raschen Eiltschliiß Abgcileigteil micht gering, die hier gebotene Aussicht zu ergreifen
und daraufhin jeden direkten Beschluß in der dentschen Frage zu verschieben. Der
Berichterstatter erkannte die Gefahr, welche den Ausschußauträgen drohte, und eilte,
die vom Minister gelegte Mine durch eine Contrenline unwirksam zu machen. Er
drang in den Minister, sich zu erkläre», ob das, was man in München zu Stande
bringen wolle, ein parlamentarischer Bundesstaat im Sinne des allgemeinen Aus-
schußautrages sei? Der Minister versuchte auszuweichen, aber der Berichterstatter
ließ nicht nach mit Drängen; Herr v. Beust gerieih in Verlegenheit, verwickelte
sich — eine Bewegung der Ungeduld und des Spottes ging durch die Kammer,
und die Gefahr war vorüber. Beim Beginne der nächsten Sitzung brachte der
Berichterstatter in seinem Namen einen Zusatzautrag ein, wonach die Kanuucr ihr
Recht der Zustimmung zu jeder von den Regierungen ausgehenden Feststellung
einer deutschen Verfassung feierlich wahrte, und die Minister für dessen strenge
Aufrechterhaltung ansdrücklich verantwortlich machte. Die Kammer erhob sich fast
einstimniig zur Unterstützung dieses Antrags. Vergebens suchte Herr v. Beust
durch Einzelheiten, die. er von dem Münchener Projekte mittheilte, die Kammer
günstiger für dasselbe zu Stimme» — wie wenig Vertrauen man dazu hatte, zeigte
die bald darauf mit überwiegender Stimmenmehrheit erfolgende Verwerfung
sowohl des Haberkoriischen Verschiebuilgsantrags, als auch des Friesenschen, dessen
Zielpunkt augenscheinlich jenes Münchener Projekt war.

Nach viertägiger Debatte kam man endlich zum Schluß. Der Berichterstatter
faßte noch einmal alle Hauptgesichtspunkte der Frage zusammen und schlug alle


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[0138] Politik erklärte, von dessen Gedanken aber, nach desselben v. d. Pfordten neuester Erklärung das deutsche Volk sich wieder entwöhnen soll. Welch ein merkwür¬ diger und verhängnisvoller Wechsel in den Verhältnisse!! und in den Personen! Der Minister deö Auswärtigen hatte während des ersten Tages den Verhand¬ lungen schweigend zugehört nud war erst am zweiten in eigner Person ans den Kampfplatz getreten. Seine Rede, die auch hier, wie in der ersten Kammer, die Debatte auf das Gebiet persönlicher Augriffe nud provocirender Beschuldigungen hinüberspielte, veranlaßte eine scharfe Entgegnung von Seiten des Berichterstatters, und Kammer wie Publicum zollten diesem lauten Beifall. Am dritten Tage kam der Münster nochmals auf den Hauptpunkt seiner Rede, die Unmöglichkeit des Bun- desstaates und die Nothwendigkeit einer anderweiten Einigung, mit Einschluß Oest¬ reichs und der süddeutschen Staaten zurück. Größe Spannung ging dieser Rede voraus — man flüsterte von wichtigen „Eröffnungen", welche der Minister machen werde. Aber es blieb bei diplomatischen Andeutungen über Verhandlungen, die mit den süddeutschen Staateil in München angeknüpft und zu einem Abschluß gebracht worden seien, über neue „Propositionen zu einer Verfassung", die mau von dort aus macheu werde. Dennoch war die Versuchung für die noch Schwankende» nud einem raschen Eiltschliiß Abgcileigteil micht gering, die hier gebotene Aussicht zu ergreifen und daraufhin jeden direkten Beschluß in der dentschen Frage zu verschieben. Der Berichterstatter erkannte die Gefahr, welche den Ausschußauträgen drohte, und eilte, die vom Minister gelegte Mine durch eine Contrenline unwirksam zu machen. Er drang in den Minister, sich zu erkläre», ob das, was man in München zu Stande bringen wolle, ein parlamentarischer Bundesstaat im Sinne des allgemeinen Aus- schußautrages sei? Der Minister versuchte auszuweichen, aber der Berichterstatter ließ nicht nach mit Drängen; Herr v. Beust gerieih in Verlegenheit, verwickelte sich — eine Bewegung der Ungeduld und des Spottes ging durch die Kammer, und die Gefahr war vorüber. Beim Beginne der nächsten Sitzung brachte der Berichterstatter in seinem Namen einen Zusatzautrag ein, wonach die Kanuucr ihr Recht der Zustimmung zu jeder von den Regierungen ausgehenden Feststellung einer deutschen Verfassung feierlich wahrte, und die Minister für dessen strenge Aufrechterhaltung ansdrücklich verantwortlich machte. Die Kammer erhob sich fast einstimniig zur Unterstützung dieses Antrags. Vergebens suchte Herr v. Beust durch Einzelheiten, die. er von dem Münchener Projekte mittheilte, die Kammer günstiger für dasselbe zu Stimme» — wie wenig Vertrauen man dazu hatte, zeigte die bald darauf mit überwiegender Stimmenmehrheit erfolgende Verwerfung sowohl des Haberkoriischen Verschiebuilgsantrags, als auch des Friesenschen, dessen Zielpunkt augenscheinlich jenes Münchener Projekt war. Nach viertägiger Debatte kam man endlich zum Schluß. Der Berichterstatter faßte noch einmal alle Hauptgesichtspunkte der Frage zusammen und schlug alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/138>, abgerufen am 25.08.2024.