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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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bereits zahlreiche Hansen versammelt; nnter einem Oberbefehlshaber, welcher mit
Majvrsrang fungirte, bezogen wir in der Nahe der Stadt ein kleines Feldlager.

Wer Freude an militärischen Schauspielen hat, der wird das Lager jedes
regulären Heeres in seiner gesetzlichen Regsamkeit, in seinem geregelten Verkehr
zwischen Hoch und Niedrig, in seinem Gemisch von fürstlichem Stolz und Train¬
gemeinheit, von königlicher Pracht und Marketenderschmutz, mit all' seinen bunten
glänzenden Farben, seiner Etikette und seinen Signalen sehr anziehend finden.
Das Lager einer Schaar Landsturm bringt wenig von all diesen pikanten Ein¬
drücken, aber es gibt doch Veranlassung zu vielerlei Beobachtungen. Der fried¬
liche Sandmann verläßt, selbst in der größten Begeisterung nicht leicht und immer
uur ungern seinen Pflug und das kleine Leben seiner Hütte; und wenn mau
Gesellen wie die Walachen aufnimmt, die geradeaus auf Raub und Unzucht
ausgehen, ist es immer nur die wirkliche oder vermeinte äußerste Gefahr seiner
bürgerlichen oder leiblichen Existenz, die ihn bewegen kann, sein idyllisches Leben
mit einem dramatischen zu vertauschen. Da das Opfer, welches er bringt, nicht
gering und der Entschluß für ihn ein großer ist, so hat er auch uuter deu Waffen
ein stolzes Selbstgefühl, und wenn er sich auch, in Betracht der Nothwendigkeit,
eine kleine Dosis militärischer Disciplin gefallen läßt, so darf doch der Officier
nie vergessen, daß er selbst, wie jeder Sensenmann, uur ein Leben hat, welches
er dem Vaterlande opfern tan", daß seine Charge nnr provisorisch ist, und seine
Untergebenen früher Mitbürger als Soldaten waren. Dies hat seine schlechten Seiten,
macht aber das Lagerleben äußerst gemüthlich. - Wenn General Bem mit seinen
Szeklcrn ans einer Flasche trinkt, oder der alte Fritz zum Beweis, daß das Commis-
brot doch nicht so schlecht sei, vor dem ganzen Regiment eine Portion von 2 Pfun¬
den verspeist, so bleibt das doch immer nur ein Act officieller Herablassung; der
Landstnrmler aber schiebt seinem Hauptmann den Klößenkcssel oder die Holzflasche
mit einem ungenirter Wohlwollen hin, weil er sehr wohl weiß, daß der Herr
Hauptmann derselbe ist, deu mau zu Hause "Meister Schmied" nannte, und der
Herr Hauptmann findet eS ganz natürlich, daß er mit dem lustigen Müller, dessen
rothwangige Ehehälfte die besten Bratwürste im Dorfe macht, in dieser schweren
Zeit aus einem Mantelsack speist und mit ihm eine Flasche 34er anf's Wohl des
zu rettenden Vaterlandes leert. Hier ist also jeder Tropfen militärischer Regel¬
mäßigkeit durch eine Kanne individueller Freiheit verdünnt. Der Wachtposten geht
anch hier mit gemessenen Schritten vor dem Waffendepot aus und nieder, aber
das hindert ihn gar nicht, dem Vetter, der im Gespräch mit seine" Cameraden
vertieft, das Feuer unter dem Fleischkessel erlöschen läßt, ein "Habt Acht", nämlich
auf den Kessel, zuzurufen. Selbst die Waffen müssen hier, trotz der auffallend¬
sten Verschiedenheit des Ranges sich dem Gesetze der Gleichheit fügen, und in
der Pyramide ragt sogar die geradgeschmiedete Sense mit ihrem ungehobelten
langen Stiele über die hellpolirte, kostbare Drahtlansflinte von Mich her-


bereits zahlreiche Hansen versammelt; nnter einem Oberbefehlshaber, welcher mit
Majvrsrang fungirte, bezogen wir in der Nahe der Stadt ein kleines Feldlager.

Wer Freude an militärischen Schauspielen hat, der wird das Lager jedes
regulären Heeres in seiner gesetzlichen Regsamkeit, in seinem geregelten Verkehr
zwischen Hoch und Niedrig, in seinem Gemisch von fürstlichem Stolz und Train¬
gemeinheit, von königlicher Pracht und Marketenderschmutz, mit all' seinen bunten
glänzenden Farben, seiner Etikette und seinen Signalen sehr anziehend finden.
Das Lager einer Schaar Landsturm bringt wenig von all diesen pikanten Ein¬
drücken, aber es gibt doch Veranlassung zu vielerlei Beobachtungen. Der fried¬
liche Sandmann verläßt, selbst in der größten Begeisterung nicht leicht und immer
uur ungern seinen Pflug und das kleine Leben seiner Hütte; und wenn mau
Gesellen wie die Walachen aufnimmt, die geradeaus auf Raub und Unzucht
ausgehen, ist es immer nur die wirkliche oder vermeinte äußerste Gefahr seiner
bürgerlichen oder leiblichen Existenz, die ihn bewegen kann, sein idyllisches Leben
mit einem dramatischen zu vertauschen. Da das Opfer, welches er bringt, nicht
gering und der Entschluß für ihn ein großer ist, so hat er auch uuter deu Waffen
ein stolzes Selbstgefühl, und wenn er sich auch, in Betracht der Nothwendigkeit,
eine kleine Dosis militärischer Disciplin gefallen läßt, so darf doch der Officier
nie vergessen, daß er selbst, wie jeder Sensenmann, uur ein Leben hat, welches
er dem Vaterlande opfern tan», daß seine Charge nnr provisorisch ist, und seine
Untergebenen früher Mitbürger als Soldaten waren. Dies hat seine schlechten Seiten,
macht aber das Lagerleben äußerst gemüthlich. - Wenn General Bem mit seinen
Szeklcrn ans einer Flasche trinkt, oder der alte Fritz zum Beweis, daß das Commis-
brot doch nicht so schlecht sei, vor dem ganzen Regiment eine Portion von 2 Pfun¬
den verspeist, so bleibt das doch immer nur ein Act officieller Herablassung; der
Landstnrmler aber schiebt seinem Hauptmann den Klößenkcssel oder die Holzflasche
mit einem ungenirter Wohlwollen hin, weil er sehr wohl weiß, daß der Herr
Hauptmann derselbe ist, deu mau zu Hause „Meister Schmied" nannte, und der
Herr Hauptmann findet eS ganz natürlich, daß er mit dem lustigen Müller, dessen
rothwangige Ehehälfte die besten Bratwürste im Dorfe macht, in dieser schweren
Zeit aus einem Mantelsack speist und mit ihm eine Flasche 34er anf's Wohl des
zu rettenden Vaterlandes leert. Hier ist also jeder Tropfen militärischer Regel¬
mäßigkeit durch eine Kanne individueller Freiheit verdünnt. Der Wachtposten geht
anch hier mit gemessenen Schritten vor dem Waffendepot aus und nieder, aber
das hindert ihn gar nicht, dem Vetter, der im Gespräch mit seine» Cameraden
vertieft, das Feuer unter dem Fleischkessel erlöschen läßt, ein „Habt Acht", nämlich
auf den Kessel, zuzurufen. Selbst die Waffen müssen hier, trotz der auffallend¬
sten Verschiedenheit des Ranges sich dem Gesetze der Gleichheit fügen, und in
der Pyramide ragt sogar die geradgeschmiedete Sense mit ihrem ungehobelten
langen Stiele über die hellpolirte, kostbare Drahtlansflinte von Mich her-


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[0119] bereits zahlreiche Hansen versammelt; nnter einem Oberbefehlshaber, welcher mit Majvrsrang fungirte, bezogen wir in der Nahe der Stadt ein kleines Feldlager. Wer Freude an militärischen Schauspielen hat, der wird das Lager jedes regulären Heeres in seiner gesetzlichen Regsamkeit, in seinem geregelten Verkehr zwischen Hoch und Niedrig, in seinem Gemisch von fürstlichem Stolz und Train¬ gemeinheit, von königlicher Pracht und Marketenderschmutz, mit all' seinen bunten glänzenden Farben, seiner Etikette und seinen Signalen sehr anziehend finden. Das Lager einer Schaar Landsturm bringt wenig von all diesen pikanten Ein¬ drücken, aber es gibt doch Veranlassung zu vielerlei Beobachtungen. Der fried¬ liche Sandmann verläßt, selbst in der größten Begeisterung nicht leicht und immer uur ungern seinen Pflug und das kleine Leben seiner Hütte; und wenn mau Gesellen wie die Walachen aufnimmt, die geradeaus auf Raub und Unzucht ausgehen, ist es immer nur die wirkliche oder vermeinte äußerste Gefahr seiner bürgerlichen oder leiblichen Existenz, die ihn bewegen kann, sein idyllisches Leben mit einem dramatischen zu vertauschen. Da das Opfer, welches er bringt, nicht gering und der Entschluß für ihn ein großer ist, so hat er auch uuter deu Waffen ein stolzes Selbstgefühl, und wenn er sich auch, in Betracht der Nothwendigkeit, eine kleine Dosis militärischer Disciplin gefallen läßt, so darf doch der Officier nie vergessen, daß er selbst, wie jeder Sensenmann, uur ein Leben hat, welches er dem Vaterlande opfern tan», daß seine Charge nnr provisorisch ist, und seine Untergebenen früher Mitbürger als Soldaten waren. Dies hat seine schlechten Seiten, macht aber das Lagerleben äußerst gemüthlich. - Wenn General Bem mit seinen Szeklcrn ans einer Flasche trinkt, oder der alte Fritz zum Beweis, daß das Commis- brot doch nicht so schlecht sei, vor dem ganzen Regiment eine Portion von 2 Pfun¬ den verspeist, so bleibt das doch immer nur ein Act officieller Herablassung; der Landstnrmler aber schiebt seinem Hauptmann den Klößenkcssel oder die Holzflasche mit einem ungenirter Wohlwollen hin, weil er sehr wohl weiß, daß der Herr Hauptmann derselbe ist, deu mau zu Hause „Meister Schmied" nannte, und der Herr Hauptmann findet eS ganz natürlich, daß er mit dem lustigen Müller, dessen rothwangige Ehehälfte die besten Bratwürste im Dorfe macht, in dieser schweren Zeit aus einem Mantelsack speist und mit ihm eine Flasche 34er anf's Wohl des zu rettenden Vaterlandes leert. Hier ist also jeder Tropfen militärischer Regel¬ mäßigkeit durch eine Kanne individueller Freiheit verdünnt. Der Wachtposten geht anch hier mit gemessenen Schritten vor dem Waffendepot aus und nieder, aber das hindert ihn gar nicht, dem Vetter, der im Gespräch mit seine» Cameraden vertieft, das Feuer unter dem Fleischkessel erlöschen läßt, ein „Habt Acht", nämlich auf den Kessel, zuzurufen. Selbst die Waffen müssen hier, trotz der auffallend¬ sten Verschiedenheit des Ranges sich dem Gesetze der Gleichheit fügen, und in der Pyramide ragt sogar die geradgeschmiedete Sense mit ihrem ungehobelten langen Stiele über die hellpolirte, kostbare Drahtlansflinte von Mich her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/119>, abgerufen am 22.07.2024.