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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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wie sie über die launische Veränderlichkeit des Berliner Cabinets klagen; fragt
endlich Palmerston, welcher vergeblich den preußischen Bunsen fragt: was wollt
Ihr? und wie kann man mit Euch gehen? Von den Parteien im Volk gar nicht
zu reden; weder die Altconservativen, noch unsere Partei kann sich der Regierung
ergeben. Alle Parteien, alle Regierungen sind gegen diese eine, nicht weil sie
ihnen feind ist, souderu weil sie allen unsicher ist, und sie ist unsicher, weil sie
nicht weiß, was sie will; weil weder ein Plan, eine Consequenz, noch trotz aller
ehrenwerthen Stünmnngen eine feste Ueberzeugung in ihr lebt. Es wäre viel
weniger gefährlich für Preußen und Deutschland, wenn die Regierung etwas wirk¬
lich Gefährliches mit Entschiedenheit erstrebte, Jeder würde dann wissen, was er
von ihr zu erwarten hat, sie würde vielleicht starke Feinde haben, aber auch warme
Freunde. Wie sie jetzt ist, hat sie keinen Freund, überall aber lauernde Gegner;
sie ist viel weniger frei, viel unselbständiger, schwächer und beengter, als wenn sie
gefährlicher wäre, denn Alles intriguirt gegen sie, droht ihr, ermahnt sie, weil sie
für jede Partei ein lauer und unsicherer Genosse ist. Und mit solchem unselig or-
ganisirten Geist müssen wir zusammen arbeiten, durch ihn unsere nächste Zukunft
bestimmen lassen. -- Aber nur müssen, deutlich und zwingend ist auch uns unser
Weg und unsere Pflicht vorgeschrieben. Und wen die gegenwärtige Verwirrung
in der deutschen Sache muthlos macht, der werfe einen Blick ans den Grund, aus
welchem unsere Zukunft wachsen soll. Preußen ist ein gesunder Staat, in den
Agrarvcrhältnissen, in seiner Industrie, seiner innern Organisation, seiner In¬
telligenz ist ein tüchtiges, kernhaftes, vielverheißendcs Leben. Ein solcher Staat
ist bestimmt zu leben und zu gedeihen, und Niemand kann verhindern., daß er
wachse und sich ausbreite, selbst seine eigene Negierung nicht. Und die Erkennt¬
niß, daß jetzt Energie und fester Wille Noth thue, sehlt selbst in einem Theile
der preußischen Staatsmänner nicht, welche die Aufgabe haben, die Majestät an
ihre Pflicht zu erinnern. Mit Freuden sieht der Patriot die Herren v. Manteuffel
und v. Bodelschwingh in einer oppositionellen Stellung gegen die letzten Schwan¬
kungen, deren Ungehörigkeit beiden Herren nicht entging. Und wenn wir Alle
mit tiefem Schmerz empfinde", daß Preußen wieder einmal nicht verstand, sich
-- im besten Sinne des Wortes -- populär zu macheu, und die Meinung der
Nation zu gewinnen, so geben wir deshalb doch nicht die Hoffnung ans, ans
Erfurt die Anfänge eines deutschen Staatslebens hervorgehen zu sehen. Wir
fürchten leider, daß die preußische Regierung unermüdlich fortfahren wird, sich und
ihre Freunde zu irren, aber wir hoffen auch, daß die zwingende Macht der Ver¬
hältnisse stärker sein wird, als der schwankende Sinn und die unpraktische Weisheit
Einzelner.




wie sie über die launische Veränderlichkeit des Berliner Cabinets klagen; fragt
endlich Palmerston, welcher vergeblich den preußischen Bunsen fragt: was wollt
Ihr? und wie kann man mit Euch gehen? Von den Parteien im Volk gar nicht
zu reden; weder die Altconservativen, noch unsere Partei kann sich der Regierung
ergeben. Alle Parteien, alle Regierungen sind gegen diese eine, nicht weil sie
ihnen feind ist, souderu weil sie allen unsicher ist, und sie ist unsicher, weil sie
nicht weiß, was sie will; weil weder ein Plan, eine Consequenz, noch trotz aller
ehrenwerthen Stünmnngen eine feste Ueberzeugung in ihr lebt. Es wäre viel
weniger gefährlich für Preußen und Deutschland, wenn die Regierung etwas wirk¬
lich Gefährliches mit Entschiedenheit erstrebte, Jeder würde dann wissen, was er
von ihr zu erwarten hat, sie würde vielleicht starke Feinde haben, aber auch warme
Freunde. Wie sie jetzt ist, hat sie keinen Freund, überall aber lauernde Gegner;
sie ist viel weniger frei, viel unselbständiger, schwächer und beengter, als wenn sie
gefährlicher wäre, denn Alles intriguirt gegen sie, droht ihr, ermahnt sie, weil sie
für jede Partei ein lauer und unsicherer Genosse ist. Und mit solchem unselig or-
ganisirten Geist müssen wir zusammen arbeiten, durch ihn unsere nächste Zukunft
bestimmen lassen. — Aber nur müssen, deutlich und zwingend ist auch uns unser
Weg und unsere Pflicht vorgeschrieben. Und wen die gegenwärtige Verwirrung
in der deutschen Sache muthlos macht, der werfe einen Blick ans den Grund, aus
welchem unsere Zukunft wachsen soll. Preußen ist ein gesunder Staat, in den
Agrarvcrhältnissen, in seiner Industrie, seiner innern Organisation, seiner In¬
telligenz ist ein tüchtiges, kernhaftes, vielverheißendcs Leben. Ein solcher Staat
ist bestimmt zu leben und zu gedeihen, und Niemand kann verhindern., daß er
wachse und sich ausbreite, selbst seine eigene Negierung nicht. Und die Erkennt¬
niß, daß jetzt Energie und fester Wille Noth thue, sehlt selbst in einem Theile
der preußischen Staatsmänner nicht, welche die Aufgabe haben, die Majestät an
ihre Pflicht zu erinnern. Mit Freuden sieht der Patriot die Herren v. Manteuffel
und v. Bodelschwingh in einer oppositionellen Stellung gegen die letzten Schwan¬
kungen, deren Ungehörigkeit beiden Herren nicht entging. Und wenn wir Alle
mit tiefem Schmerz empfinde», daß Preußen wieder einmal nicht verstand, sich
— im besten Sinne des Wortes — populär zu macheu, und die Meinung der
Nation zu gewinnen, so geben wir deshalb doch nicht die Hoffnung ans, ans
Erfurt die Anfänge eines deutschen Staatslebens hervorgehen zu sehen. Wir
fürchten leider, daß die preußische Regierung unermüdlich fortfahren wird, sich und
ihre Freunde zu irren, aber wir hoffen auch, daß die zwingende Macht der Ver¬
hältnisse stärker sein wird, als der schwankende Sinn und die unpraktische Weisheit
Einzelner.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/108>, abgerufen am 22.07.2024.