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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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sah Deutschland mit größer Resignation auf die Täuschung seiner Hoffnungen.
Der regelmäßige Mechanismus des constitutionellen Regiments sprach nicht leb¬
haft genug zu der erhitzten Einbildungskraft vou 1^10, um ein langes Bedauern
zu hinterlassen. Auf deu in der Oberfläche so aufgeregten, im Gründe so fried¬
lichen Universitäten, verhehlte mau uicht die Furcht, in der allgemeine" Gleichheit
seine erblichen Vorrechte zu verliere", und die ausgezeichnetsten Geister fürchtete",
in dem Lärm und de" gemeinen Ereignissen des politischen Treibens dieses Leben
der Wissenschaft, die (Einsamkeit der Poesie und Religion verschwinden zu sehe".
So hörte ich Männer von eiuer seltenen Unabhängigkeit des Geistes sich gegen
die Preßfreiheit erheben, nicht aus den gewöhnlichen Gründen, sondern aus Sorge
für die Wissenschaft und Kunst, die bedroht waren, die erste Stelle im Interesse
des Landes, zu verlieren. -- Dann kam in diesen aufgeregten Gemüthern ein ge¬
heimer Widerwille da>.u, von Neuem der Nachahmung Frankreichs zu verfallen.
Sie kämpften gegen die Oeffentlichkeit der Gerichte und gegen die Geschworenen,
wie gegen die drei Einheiten unserer alten Tragödie.--Der Hauptgrund
übrigens, warum die constitutionelle Freiheit leine erheblichen Fortschritte in Deutsch¬
land gemacht hat, liegt darin, daß sie unter deu Bedürfnissen des Lan¬
des nicht in der ersten Reihe steht. Diese Localsreiheiten, nach allen
Seiten hin durch die Grenzpfähle dieser oder jener großherzoglichen Souveränetät
eingezwängt, drehten sich in einem Liicrrlas vitiosus. Logisch können sie nur
dann bestehen und sich entwickeln, wenn sie zur Grundlage die politische
Einheit Deutschlands haben. Die Einheit, das ist der tiefe, unausgesetzte
nothwendige Gedanke, welcher das Land nach allen Seiten hin bearbeitet. Re¬
ligion, Ncchtswcsen, Handel, Liberalismus und Despotismus, alles drängt, wenn
auch aus verschiedene Weise, "ach dieser Entwickelung hin. . . Seit der factischen
Auflösung des Reichs waren es zwei Umstände, welche dem Staat ein Selbstbe-
wußtsein gaben. Einmal die philosophische und literarische Bewegung Deutsch¬
lands. Sie war eine Reaction gegen das fremde Wesen, ein genauer Ausdruck
der Nation, und bei dem Maugel aller gesetzlichen Institutionen eine sociale Ge¬
walt, ein politisches Band, eine Macht im Staat. Es ist eine Ehre für Deutsch¬
land , daß es sich in der Ermangelung jedes organischen Gesetzes durch die bloße
Kraft des Denkens mit den andern Völkern auf eiuer ebenbürtigen Stufe gehalten
hat. -- Nach der Literatur war die zweite Macht, welche an der Einheit Deutsch-
lands arbeitete -- Napoleon. Mit eiuer gewissen Wehmuth stellt mau sich das
damalige Deutschland vor, so gläubig und so jung, das Laud des frommen Dithy¬
ramben, der sinnigen Begeisterung, im schönsten Augenblick seines sittlichen Lebens
durch die Fanfaren des kaiserlichen Heeres überrascht. Welches Erwachen! und
uach welchen Träumen! Aber diesmal wurde die Saat des Feldes uicht vou deu
Hufen eiues huuuischeu Eroberers zertrete", der nationale Geist setzte ruhig seine
Arbeit u"ter dem Joch von 600,000 Feinden weiter fort. Die Völkerschaften,


Grenzboten. II. 18S0.

sah Deutschland mit größer Resignation auf die Täuschung seiner Hoffnungen.
Der regelmäßige Mechanismus des constitutionellen Regiments sprach nicht leb¬
haft genug zu der erhitzten Einbildungskraft vou 1^10, um ein langes Bedauern
zu hinterlassen. Auf deu in der Oberfläche so aufgeregten, im Gründe so fried¬
lichen Universitäten, verhehlte mau uicht die Furcht, in der allgemeine» Gleichheit
seine erblichen Vorrechte zu verliere«, und die ausgezeichnetsten Geister fürchtete»,
in dem Lärm und de» gemeinen Ereignissen des politischen Treibens dieses Leben
der Wissenschaft, die (Einsamkeit der Poesie und Religion verschwinden zu sehe».
So hörte ich Männer von eiuer seltenen Unabhängigkeit des Geistes sich gegen
die Preßfreiheit erheben, nicht aus den gewöhnlichen Gründen, sondern aus Sorge
für die Wissenschaft und Kunst, die bedroht waren, die erste Stelle im Interesse
des Landes, zu verlieren. — Dann kam in diesen aufgeregten Gemüthern ein ge¬
heimer Widerwille da>.u, von Neuem der Nachahmung Frankreichs zu verfallen.
Sie kämpften gegen die Oeffentlichkeit der Gerichte und gegen die Geschworenen,
wie gegen die drei Einheiten unserer alten Tragödie.--Der Hauptgrund
übrigens, warum die constitutionelle Freiheit leine erheblichen Fortschritte in Deutsch¬
land gemacht hat, liegt darin, daß sie unter deu Bedürfnissen des Lan¬
des nicht in der ersten Reihe steht. Diese Localsreiheiten, nach allen
Seiten hin durch die Grenzpfähle dieser oder jener großherzoglichen Souveränetät
eingezwängt, drehten sich in einem Liicrrlas vitiosus. Logisch können sie nur
dann bestehen und sich entwickeln, wenn sie zur Grundlage die politische
Einheit Deutschlands haben. Die Einheit, das ist der tiefe, unausgesetzte
nothwendige Gedanke, welcher das Land nach allen Seiten hin bearbeitet. Re¬
ligion, Ncchtswcsen, Handel, Liberalismus und Despotismus, alles drängt, wenn
auch aus verschiedene Weise, »ach dieser Entwickelung hin. . . Seit der factischen
Auflösung des Reichs waren es zwei Umstände, welche dem Staat ein Selbstbe-
wußtsein gaben. Einmal die philosophische und literarische Bewegung Deutsch¬
lands. Sie war eine Reaction gegen das fremde Wesen, ein genauer Ausdruck
der Nation, und bei dem Maugel aller gesetzlichen Institutionen eine sociale Ge¬
walt, ein politisches Band, eine Macht im Staat. Es ist eine Ehre für Deutsch¬
land , daß es sich in der Ermangelung jedes organischen Gesetzes durch die bloße
Kraft des Denkens mit den andern Völkern auf eiuer ebenbürtigen Stufe gehalten
hat. — Nach der Literatur war die zweite Macht, welche an der Einheit Deutsch-
lands arbeitete — Napoleon. Mit eiuer gewissen Wehmuth stellt mau sich das
damalige Deutschland vor, so gläubig und so jung, das Laud des frommen Dithy¬
ramben, der sinnigen Begeisterung, im schönsten Augenblick seines sittlichen Lebens
durch die Fanfaren des kaiserlichen Heeres überrascht. Welches Erwachen! und
uach welchen Träumen! Aber diesmal wurde die Saat des Feldes uicht vou deu
Hufen eiues huuuischeu Eroberers zertrete», der nationale Geist setzte ruhig seine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/105>, abgerufen am 22.07.2024.