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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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gegen jede Entwicklung sträuben, welche diese ihre Voraussetzung in Frage stellt.
Allein dieses Sträuben hat nicht viel zu sagen. Die östreichische Partei dagegen
ist durch eine Verständigung der beiden Großstaaten eben so zu befriedigen, als die
spezifisch Preußische.

Was die eigentlich konstitutionelle, kleiudeutsche, erbkaiserliche Partei betrifft,
so scheidet sie sich jetzt von den g child eden Demokraten nur noch durch die historische
Reminiscenz, und durch die Gradation in den Ansprüchen. Beide haben gemein¬
sam, daß sie Bürger eines nicht nur dem Namen sondern der That nach unab¬
hängigen Staats, und in diesem politisch gleichberechtigt und im Privatleben auto¬
nom sein wollen. Sie wollen die unmittelbare Selbstregierung des Volks in den
kleinen Kreisen, die mittelbare Betheiligung des Volks an der großen Politik
durch Repräsentanten." Wie weit man die Grenze steckt, darüber bestehn Diffe¬
renzen, sie lassen sich aber ausgleichen, wenn man nicht die Leidenschaft, sondern
die Vernunft walten läßt. Vor allem aber müssen sie bedenken, daß eine consti-
tutionelle und demokratische Entwicklung sich nur in einem Falle den?en läßt: auf
einer wirklich vorhandenen staatlichen Basis. Darum haben sich die kleinen deut¬
schen Staaten seit 30 Jahren vergeblich abgemüht, über die Scheinverfassung hin-
auszugehn, denn nur ein souveräner Staat kann frei sein, darum wurden die
Verheißungen der preußischen Krone eine Illusion, denn auch Preußen ist in sei¬
nem gegenwärtigen Umfang ein Provisorium, ein dauerndes Kriegslager. Aus
diesem Zustand muß Preußen, müssen die kleinen Staaten heraus. Wenn bei der
Abgrenzung der verschiedenen Kreise des deutschen Staatslebens es den Anschein
hatte, als ob ich nur die Functionen der politischen Thätigkeit scheiden wolle,
so versteht sich von selbst, daß damit auch eine wirkliche Scheidung der Träger
dieser Functionen entweder unmittelbar verknüpft sei", aber daraus sich ergeben
muß. Das die nördlichen Küsten beherrschende Deutschland, und das im Süden
mächtige, muß eine Einheit bilden, aber nicht ineinander, sondern nebeneinander.
Die Anarchisten freilich können sich nur geltend machen in einem unfertigen Staate,
der wahre Demokrat aber muß sein erstes Streben darnach richten, den festen Bo¬
den zu gewinnen, auf dem er das Fundament seines politischen Gebäudes mit
Zuversicht errichten kann. Wer also für die Fortsetzung des alten Bundestags,
d. h. die Fortdauer der gesetzlich scmktionirten staatlichen Lüge des fixirten Wi¬
derspruchs, arbeitet, ist nicht Demokrat, sondern Anarchist.




Verlag von F. L. Herbig. -- Redacteure- Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.

gegen jede Entwicklung sträuben, welche diese ihre Voraussetzung in Frage stellt.
Allein dieses Sträuben hat nicht viel zu sagen. Die östreichische Partei dagegen
ist durch eine Verständigung der beiden Großstaaten eben so zu befriedigen, als die
spezifisch Preußische.

Was die eigentlich konstitutionelle, kleiudeutsche, erbkaiserliche Partei betrifft,
so scheidet sie sich jetzt von den g child eden Demokraten nur noch durch die historische
Reminiscenz, und durch die Gradation in den Ansprüchen. Beide haben gemein¬
sam, daß sie Bürger eines nicht nur dem Namen sondern der That nach unab¬
hängigen Staats, und in diesem politisch gleichberechtigt und im Privatleben auto¬
nom sein wollen. Sie wollen die unmittelbare Selbstregierung des Volks in den
kleinen Kreisen, die mittelbare Betheiligung des Volks an der großen Politik
durch Repräsentanten.« Wie weit man die Grenze steckt, darüber bestehn Diffe¬
renzen, sie lassen sich aber ausgleichen, wenn man nicht die Leidenschaft, sondern
die Vernunft walten läßt. Vor allem aber müssen sie bedenken, daß eine consti-
tutionelle und demokratische Entwicklung sich nur in einem Falle den?en läßt: auf
einer wirklich vorhandenen staatlichen Basis. Darum haben sich die kleinen deut¬
schen Staaten seit 30 Jahren vergeblich abgemüht, über die Scheinverfassung hin-
auszugehn, denn nur ein souveräner Staat kann frei sein, darum wurden die
Verheißungen der preußischen Krone eine Illusion, denn auch Preußen ist in sei¬
nem gegenwärtigen Umfang ein Provisorium, ein dauerndes Kriegslager. Aus
diesem Zustand muß Preußen, müssen die kleinen Staaten heraus. Wenn bei der
Abgrenzung der verschiedenen Kreise des deutschen Staatslebens es den Anschein
hatte, als ob ich nur die Functionen der politischen Thätigkeit scheiden wolle,
so versteht sich von selbst, daß damit auch eine wirkliche Scheidung der Träger
dieser Functionen entweder unmittelbar verknüpft sei», aber daraus sich ergeben
muß. Das die nördlichen Küsten beherrschende Deutschland, und das im Süden
mächtige, muß eine Einheit bilden, aber nicht ineinander, sondern nebeneinander.
Die Anarchisten freilich können sich nur geltend machen in einem unfertigen Staate,
der wahre Demokrat aber muß sein erstes Streben darnach richten, den festen Bo¬
den zu gewinnen, auf dem er das Fundament seines politischen Gebäudes mit
Zuversicht errichten kann. Wer also für die Fortsetzung des alten Bundestags,
d. h. die Fortdauer der gesetzlich scmktionirten staatlichen Lüge des fixirten Wi¬
derspruchs, arbeitet, ist nicht Demokrat, sondern Anarchist.




Verlag von F. L. Herbig. — Redacteure- Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/84>, abgerufen am 15.01.2025.