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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Die auswärtige Politik Deutschlands geht nach vier Richtungen hin. 1) Rußland,
2) Frankreich, 3) die Ost- und Nordsee, 4) Italien und die Donauländer. Was
die beiden ersten Punkte betrifft, so liegt es im Interesse Deutschlands, wie im
Interesse beider deutschen Großmächte, daß die Haltung eine gemeinsame sei. Zwar
ist Oestreich dem russischen Kaiser Dank schuldig für die Rettung aus der schwersten
Gefahr, aber diese Dankbarkeit würde für seine Existenz gefährlich sein, wenn es
allein in der societ.-^ leoniiul bliebe. Die Grenze Deutschlands gegen Frankreich
scheint für den Augenblick durch die Occupation des Großherzogthums Baden
Preußen allein übertragen zu sein, allein ich bezweifle, ob es in diesem Augen¬
blick, gelähmt durch die wunderlichste innere Verwirrung, dazu die Kraft hat.
Preußen kaun nur dann eine welthistorische Bedeutung gewinnen, wenn es
eine Seemacht wird; dazu bedarf es eiuer Concentration aller seiner Kräfte.
Aber Baden kann nicht sich allein überlassen bleiben, weil das eine Bresche
wäre für Frankreich, noch weniger kann es unter bairischen Schutz gestellt
werden, denn das wäre der Keim zu einem neuen Rheinbund. Eine gemeinsame
Besetzung durch Oestreich und Preußen hat sich schon in Mainz als unzweckmäßig
erwiesen. Es bliebe also nichts übrig, als Baden dem östreichischen Schutz zu
überlassen, woraus unmittelbar folgt, daß Baiern und Würtemberg in denselben
Kreis zu ziehen wären. Oestreich möchte dann zusehen, wie es diesen Staaten
die alten Rheinbundsgelüste austriebe; es ist ihm das leichter, weil es sich mit
ihnen schwäbisch unterhalten kann.

Daß die Angelegenheit Deutschlands in Italien, dem adriatischen Meer und
der Donau von Oestreich allein geführt werden müssen, versteht sich von selbst.
Dasselbe gilt von Preußen in den norddeutschen Verhältnissen. Preußen hat die
Aufgabe, in Dänemark und den Niederlanden dieselbe Rolle zu spielen, die
Oestreich in Italien behauptet; es hat endlich in Concurrenz mit England zu
treten. Zu diesem Zweck müssen die Kräfte Norddeutschlands ausschließlich zu
seiner Verfügung stehn -- im Interesse der Hannoveraner, Sachsen, Hessen u. s. w.
eben so als im Preußischen.

Das sind die materiellen Grundlagen, nach denen sich die Form des Ver¬
trages zu bestimmen hat. Freilich ist der Eigensinn nichts weniger als rationell,
und wird dnrch Vernunftgründe nicht überwunden. Aber doch nur, wenn er einen
andern Weg vor sich sieht. Ist aber Oestreich und Preußen einig, so läßt sich
wenigstens ein Ende der Unterhandlung absehn.

Eine andere Frage ist es, wie sich die politischen Parteien innerhalb des Vol¬
kes zu einem solchen Vertrage verhalten werden. -- Die sogenannte Groß deutsche
Partei besteht ans zwei ganz verschiedenen Elementen: den Anhängern Oestreichs
und dem Gesinde der Kleinstaaten. Die letztere Fraction ist mit ihrer Existenz an die
angebliche Souveränität dieser primitiven Staatsbildungen geknüpft, sie wird sich also


Die auswärtige Politik Deutschlands geht nach vier Richtungen hin. 1) Rußland,
2) Frankreich, 3) die Ost- und Nordsee, 4) Italien und die Donauländer. Was
die beiden ersten Punkte betrifft, so liegt es im Interesse Deutschlands, wie im
Interesse beider deutschen Großmächte, daß die Haltung eine gemeinsame sei. Zwar
ist Oestreich dem russischen Kaiser Dank schuldig für die Rettung aus der schwersten
Gefahr, aber diese Dankbarkeit würde für seine Existenz gefährlich sein, wenn es
allein in der societ.-^ leoniiul bliebe. Die Grenze Deutschlands gegen Frankreich
scheint für den Augenblick durch die Occupation des Großherzogthums Baden
Preußen allein übertragen zu sein, allein ich bezweifle, ob es in diesem Augen¬
blick, gelähmt durch die wunderlichste innere Verwirrung, dazu die Kraft hat.
Preußen kaun nur dann eine welthistorische Bedeutung gewinnen, wenn es
eine Seemacht wird; dazu bedarf es eiuer Concentration aller seiner Kräfte.
Aber Baden kann nicht sich allein überlassen bleiben, weil das eine Bresche
wäre für Frankreich, noch weniger kann es unter bairischen Schutz gestellt
werden, denn das wäre der Keim zu einem neuen Rheinbund. Eine gemeinsame
Besetzung durch Oestreich und Preußen hat sich schon in Mainz als unzweckmäßig
erwiesen. Es bliebe also nichts übrig, als Baden dem östreichischen Schutz zu
überlassen, woraus unmittelbar folgt, daß Baiern und Würtemberg in denselben
Kreis zu ziehen wären. Oestreich möchte dann zusehen, wie es diesen Staaten
die alten Rheinbundsgelüste austriebe; es ist ihm das leichter, weil es sich mit
ihnen schwäbisch unterhalten kann.

Daß die Angelegenheit Deutschlands in Italien, dem adriatischen Meer und
der Donau von Oestreich allein geführt werden müssen, versteht sich von selbst.
Dasselbe gilt von Preußen in den norddeutschen Verhältnissen. Preußen hat die
Aufgabe, in Dänemark und den Niederlanden dieselbe Rolle zu spielen, die
Oestreich in Italien behauptet; es hat endlich in Concurrenz mit England zu
treten. Zu diesem Zweck müssen die Kräfte Norddeutschlands ausschließlich zu
seiner Verfügung stehn — im Interesse der Hannoveraner, Sachsen, Hessen u. s. w.
eben so als im Preußischen.

Das sind die materiellen Grundlagen, nach denen sich die Form des Ver¬
trages zu bestimmen hat. Freilich ist der Eigensinn nichts weniger als rationell,
und wird dnrch Vernunftgründe nicht überwunden. Aber doch nur, wenn er einen
andern Weg vor sich sieht. Ist aber Oestreich und Preußen einig, so läßt sich
wenigstens ein Ende der Unterhandlung absehn.

Eine andere Frage ist es, wie sich die politischen Parteien innerhalb des Vol¬
kes zu einem solchen Vertrage verhalten werden. — Die sogenannte Groß deutsche
Partei besteht ans zwei ganz verschiedenen Elementen: den Anhängern Oestreichs
und dem Gesinde der Kleinstaaten. Die letztere Fraction ist mit ihrer Existenz an die
angebliche Souveränität dieser primitiven Staatsbildungen geknüpft, sie wird sich also


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/83>, abgerufen am 24.01.2025.