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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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im Staat Ohio in der Nähe seines Freundes Hecker ankaufen will. Der Regie¬
rungsrath des Cantons Luzern will ihm einen längern Aufenthalt in letzterem nicht
mehr gestatten!

Nicht wenige deutsche Flüchtlinge beherbergen auch die Cantone Thurgau,
Aarau und Basellandschaft. Im ersteren haben sie sehr weit in's Innere verlegt
werden müssen, weil Oestreich im Vorarlberg! eine drohende Macht zusammenzog.
Ich wußte nur wenige hervorragende Persönlichkeiten unter den Verbannten in
jenen drei Landen aufzuzählen. In Lenzburg hat sich der Advocat Erbe, der Al-
tenburger Barrikadeuheld niedergelassen, dessen Tactik der Militärverführung ihm
seiner Zeit so oft übelbekommen ist. Ein sehr unbedeutender Mensch, nur den
Leipzigern als Wühler von Profession bekannt, ist der Buchdrucker Hoßfeld, der
jetzt als Factor in Baden bei Aarau redlich sein Brot verdient, während seine
Gläubiger in Leipzig die Revolutionen verwünschen, die so raschen und willkom¬
menen Anlaß zum plötzlichen Verschwinden geben. Durch das Baselland wandelt
mit langen Schritten der Seidenhannes. Sie kennen ihn nicht? Wohlan, ich will
seinen Namen und Titel vollständig enthüllen. Jene große, breitschultrige Gestalt,
mit dem glatten Haar und dem pockennarbigen Gesicht, dessen Züge vor Allem
Sinnlichkeit ausdrücken, ist der Herr Theodor Mögling, ni-nov-me königl. würtem-
bergischer Oekonomierath und Professor des Seitenbauch an der Akademie Hohen-
heim, Mitglied der zweiten Kammer der Stände -- vui^o der Seidenhannes.
Er hat alles Mögliche gethan und getrieben, bis er's dahin gebracht, wo er nun
ist. Schon als ziemlich junger Mann hat er verschiedener Streiche wegen, erfahren,
wie es auf dem Asberg aussieht, dann schwang er sich plötzlich zum Lehrer des
Seidenbau's empor, schloß Kameradschaften mit den Kirchheimer Bauern, die ihn
zum Deputirten wählten, gipfelte sich gutmüthig und ohne viel dabei zu denken
auf die Höhe eines maßlosen Radikalismus hinauf und war eines schönen Ta¬
ges plötzlich Oberst im Heer Henkers geworden. Er brach mit der einen Colonne
desselben über den Schwarzwald nach Schwaben ein, aber seine Leute waren ab¬
trünnige Bestien, so daß er einmal aus einem Mittagsschlaf erwachend, sich end¬
lich ganz allein fand, und uun nichts eiliger zu thun wußte, als spornstreichs
in die Schweiz zurückzukaufen. Bei dem badischen Aufstand soll es dem Oberst
Mögling nicht besser gegangen sein. Armer Seidenhannes, das sind andere Zei¬
ten, als die, in welchen du so flott mit den Tübinger Studenten in Derendingcn
und Bebenhausen kneiptest! Wie ärmlich und hungrig siehst du aus -- aber du
Hast's um einen Mann verdient, der, sei er, wie er wolle, gegen dich doch gütig
gewesen ist! Ein gleiches Asyl mit dem Seidenhannes theilt Tzschirner, der
Sachs. Kammerpräsident, der Unwissendste unter allen bösartigen Confuflonarien die
nur jemals existirt haben. Er hat das Maß seiner Blanc in Baden gerüttelt
und geschüttelt voll wevdeu lassen.

Sie fragen mich, wie ist die Stimmung unter den Flüchtlingen? Auf was


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im Staat Ohio in der Nähe seines Freundes Hecker ankaufen will. Der Regie¬
rungsrath des Cantons Luzern will ihm einen längern Aufenthalt in letzterem nicht
mehr gestatten!

Nicht wenige deutsche Flüchtlinge beherbergen auch die Cantone Thurgau,
Aarau und Basellandschaft. Im ersteren haben sie sehr weit in's Innere verlegt
werden müssen, weil Oestreich im Vorarlberg! eine drohende Macht zusammenzog.
Ich wußte nur wenige hervorragende Persönlichkeiten unter den Verbannten in
jenen drei Landen aufzuzählen. In Lenzburg hat sich der Advocat Erbe, der Al-
tenburger Barrikadeuheld niedergelassen, dessen Tactik der Militärverführung ihm
seiner Zeit so oft übelbekommen ist. Ein sehr unbedeutender Mensch, nur den
Leipzigern als Wühler von Profession bekannt, ist der Buchdrucker Hoßfeld, der
jetzt als Factor in Baden bei Aarau redlich sein Brot verdient, während seine
Gläubiger in Leipzig die Revolutionen verwünschen, die so raschen und willkom¬
menen Anlaß zum plötzlichen Verschwinden geben. Durch das Baselland wandelt
mit langen Schritten der Seidenhannes. Sie kennen ihn nicht? Wohlan, ich will
seinen Namen und Titel vollständig enthüllen. Jene große, breitschultrige Gestalt,
mit dem glatten Haar und dem pockennarbigen Gesicht, dessen Züge vor Allem
Sinnlichkeit ausdrücken, ist der Herr Theodor Mögling, ni-nov-me königl. würtem-
bergischer Oekonomierath und Professor des Seitenbauch an der Akademie Hohen-
heim, Mitglied der zweiten Kammer der Stände — vui^o der Seidenhannes.
Er hat alles Mögliche gethan und getrieben, bis er's dahin gebracht, wo er nun
ist. Schon als ziemlich junger Mann hat er verschiedener Streiche wegen, erfahren,
wie es auf dem Asberg aussieht, dann schwang er sich plötzlich zum Lehrer des
Seidenbau's empor, schloß Kameradschaften mit den Kirchheimer Bauern, die ihn
zum Deputirten wählten, gipfelte sich gutmüthig und ohne viel dabei zu denken
auf die Höhe eines maßlosen Radikalismus hinauf und war eines schönen Ta¬
ges plötzlich Oberst im Heer Henkers geworden. Er brach mit der einen Colonne
desselben über den Schwarzwald nach Schwaben ein, aber seine Leute waren ab¬
trünnige Bestien, so daß er einmal aus einem Mittagsschlaf erwachend, sich end¬
lich ganz allein fand, und uun nichts eiliger zu thun wußte, als spornstreichs
in die Schweiz zurückzukaufen. Bei dem badischen Aufstand soll es dem Oberst
Mögling nicht besser gegangen sein. Armer Seidenhannes, das sind andere Zei¬
ten, als die, in welchen du so flott mit den Tübinger Studenten in Derendingcn
und Bebenhausen kneiptest! Wie ärmlich und hungrig siehst du aus — aber du
Hast's um einen Mann verdient, der, sei er, wie er wolle, gegen dich doch gütig
gewesen ist! Ein gleiches Asyl mit dem Seidenhannes theilt Tzschirner, der
Sachs. Kammerpräsident, der Unwissendste unter allen bösartigen Confuflonarien die
nur jemals existirt haben. Er hat das Maß seiner Blanc in Baden gerüttelt
und geschüttelt voll wevdeu lassen.

Sie fragen mich, wie ist die Stimmung unter den Flüchtlingen? Auf was


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[0079] im Staat Ohio in der Nähe seines Freundes Hecker ankaufen will. Der Regie¬ rungsrath des Cantons Luzern will ihm einen längern Aufenthalt in letzterem nicht mehr gestatten! Nicht wenige deutsche Flüchtlinge beherbergen auch die Cantone Thurgau, Aarau und Basellandschaft. Im ersteren haben sie sehr weit in's Innere verlegt werden müssen, weil Oestreich im Vorarlberg! eine drohende Macht zusammenzog. Ich wußte nur wenige hervorragende Persönlichkeiten unter den Verbannten in jenen drei Landen aufzuzählen. In Lenzburg hat sich der Advocat Erbe, der Al- tenburger Barrikadeuheld niedergelassen, dessen Tactik der Militärverführung ihm seiner Zeit so oft übelbekommen ist. Ein sehr unbedeutender Mensch, nur den Leipzigern als Wühler von Profession bekannt, ist der Buchdrucker Hoßfeld, der jetzt als Factor in Baden bei Aarau redlich sein Brot verdient, während seine Gläubiger in Leipzig die Revolutionen verwünschen, die so raschen und willkom¬ menen Anlaß zum plötzlichen Verschwinden geben. Durch das Baselland wandelt mit langen Schritten der Seidenhannes. Sie kennen ihn nicht? Wohlan, ich will seinen Namen und Titel vollständig enthüllen. Jene große, breitschultrige Gestalt, mit dem glatten Haar und dem pockennarbigen Gesicht, dessen Züge vor Allem Sinnlichkeit ausdrücken, ist der Herr Theodor Mögling, ni-nov-me königl. würtem- bergischer Oekonomierath und Professor des Seitenbauch an der Akademie Hohen- heim, Mitglied der zweiten Kammer der Stände — vui^o der Seidenhannes. Er hat alles Mögliche gethan und getrieben, bis er's dahin gebracht, wo er nun ist. Schon als ziemlich junger Mann hat er verschiedener Streiche wegen, erfahren, wie es auf dem Asberg aussieht, dann schwang er sich plötzlich zum Lehrer des Seidenbau's empor, schloß Kameradschaften mit den Kirchheimer Bauern, die ihn zum Deputirten wählten, gipfelte sich gutmüthig und ohne viel dabei zu denken auf die Höhe eines maßlosen Radikalismus hinauf und war eines schönen Ta¬ ges plötzlich Oberst im Heer Henkers geworden. Er brach mit der einen Colonne desselben über den Schwarzwald nach Schwaben ein, aber seine Leute waren ab¬ trünnige Bestien, so daß er einmal aus einem Mittagsschlaf erwachend, sich end¬ lich ganz allein fand, und uun nichts eiliger zu thun wußte, als spornstreichs in die Schweiz zurückzukaufen. Bei dem badischen Aufstand soll es dem Oberst Mögling nicht besser gegangen sein. Armer Seidenhannes, das sind andere Zei¬ ten, als die, in welchen du so flott mit den Tübinger Studenten in Derendingcn und Bebenhausen kneiptest! Wie ärmlich und hungrig siehst du aus — aber du Hast's um einen Mann verdient, der, sei er, wie er wolle, gegen dich doch gütig gewesen ist! Ein gleiches Asyl mit dem Seidenhannes theilt Tzschirner, der Sachs. Kammerpräsident, der Unwissendste unter allen bösartigen Confuflonarien die nur jemals existirt haben. Er hat das Maß seiner Blanc in Baden gerüttelt und geschüttelt voll wevdeu lassen. Sie fragen mich, wie ist die Stimmung unter den Flüchtlingen? Auf was 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/79>, abgerufen am 15.01.2025.