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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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finden. Seine Frau, ein kleines, blondes Dämchen mit offenen aber wenig Sagen¬
den Zügen, hat die Amazonenjacke und die Hosen wieder abgelegt und statt der
Bajonnettbüchse die Stricknadel ergriffen. Es ist besser so. Unter allen Flüchtlin¬
gen hat sich in Zürich der Dresdner Advocat Marschall v. Biber se ein am schnell¬
sten in ein neues Leben geworfen; er hat sich als Privatdocent der Staatswis--
senschaften an der Universität habilitirt. Viele Andre, denen sonst gar oft zu
wohl war, klagen jetzt und nagen am Hungertuch und siud seelenfroh, wenn sie
irgendwo und irgendwelche Arbeit finden. Mit der Fluth der Einwanderung sind
natürlich auch viele höchst unsaubere und verwerfliche Elemente in die Schweiz
geschwemmt worden. Man begegnet nur zu häufig Leuten, welche aus dem poli¬
tischen Martyrthum ein Geschäft gemacht haben, Abenteurern, denen es gleich
gilt, wann und wo sie die Fahne der Unordnung und der Verwirrung aufpflan¬
zen, wenn es nur geschieht, Subjecten, die von der Gesellschaft ausgestoßen, nichts
Besseres thun zu können glaubten, als im Namen der Republik wohl zu leben
und zu brandschatzen. Unter solchen Gesellen ist der verrufenste der Wiener Bar¬
biergehilfe Chaizes, der, in Wien zuerst Gelegenheitsmacher, baun Freicorpshäupt¬
ling, in Dresden falscher Wechsel wegen arretirt, nun in Zürich plötzlich als pfäl¬
zischer Freiheitskämpfer auftaucht, ohne daß sich eine Seele erinnerte ihn jemals
in der Nähe eines Kampfplatzes erblickt zu habe". Eine zweifelhafte Figur ist auch
Türr, der Commandant der Mannheimer Volkswehr, der sich für einen kaiserlichen
Offizier ausgegeben, aber nichts weiter war, als ein entlaufener ungarischer Tam¬
bour. Unbegreiflich ist mir, wie sich die Mannheimer Bürgerschaft von diesem Men¬
schen, dessen überladener, theatralischer Aufputz schon zur Genüge den Kern verrieth,
so konnte tyrannisiren lasse", wie sie es that. Hier, in der Schweiz, spielen diese
kleinen Feldherrn jetzt eine gar erbärmliche Rolle, und wer noch ein Bischen Ehr¬
gefühl hat, hält sich von ihnen so fern, als möglich. So befinden sich Beck, der
eine Zeit lang nach Sigeth Abdankung General der Badenser gewesen, und der
Wiener Kuchenbecker, zuerst Messenhausers, dann in der Pfalz des Nodomont von
Fenneberg Adjutant, jetzt in einer keineswegs beneidenswerthen Lage und Jsolirung.

Nach Luzern hatte sich Brentano gewandt. Es ist in diesen Blättern
schon von anderer Hand der Charakter und die politische Bedeutung dieses
Mannes, der in der deutschen Revolution jedenfalls eine der hervorragendsten
Rollen gespielt hat, gegeben worden und ich kann mich darauf beschränken, von
ihm zu sagen: Brentano war ein Idealist, dessen Kopf stets mit dem Herzen, da-
von lief, wenn es ihm an Raum zu Thaten fehlte, der aber nichts destoweniger
in kritischen Momenten beide auf dem rechten Fleck getragen hat und niemals un¬
ehrlich war. Gegen seine einfache Rechtfertigung, die das Gepräge der vollen
Wahrheit allzu deutlich trägt, werden seine ergrimmten Feinde und Neider um¬
sonst ihre vergifteten Pfeile schleudern. Brentano ist im Begriff, mit seinen Freunden
Mercy, Thibaut, Eichseld und Ziegler nach Nordamerika auszuwandern, wo er sich


finden. Seine Frau, ein kleines, blondes Dämchen mit offenen aber wenig Sagen¬
den Zügen, hat die Amazonenjacke und die Hosen wieder abgelegt und statt der
Bajonnettbüchse die Stricknadel ergriffen. Es ist besser so. Unter allen Flüchtlin¬
gen hat sich in Zürich der Dresdner Advocat Marschall v. Biber se ein am schnell¬
sten in ein neues Leben geworfen; er hat sich als Privatdocent der Staatswis--
senschaften an der Universität habilitirt. Viele Andre, denen sonst gar oft zu
wohl war, klagen jetzt und nagen am Hungertuch und siud seelenfroh, wenn sie
irgendwo und irgendwelche Arbeit finden. Mit der Fluth der Einwanderung sind
natürlich auch viele höchst unsaubere und verwerfliche Elemente in die Schweiz
geschwemmt worden. Man begegnet nur zu häufig Leuten, welche aus dem poli¬
tischen Martyrthum ein Geschäft gemacht haben, Abenteurern, denen es gleich
gilt, wann und wo sie die Fahne der Unordnung und der Verwirrung aufpflan¬
zen, wenn es nur geschieht, Subjecten, die von der Gesellschaft ausgestoßen, nichts
Besseres thun zu können glaubten, als im Namen der Republik wohl zu leben
und zu brandschatzen. Unter solchen Gesellen ist der verrufenste der Wiener Bar¬
biergehilfe Chaizes, der, in Wien zuerst Gelegenheitsmacher, baun Freicorpshäupt¬
ling, in Dresden falscher Wechsel wegen arretirt, nun in Zürich plötzlich als pfäl¬
zischer Freiheitskämpfer auftaucht, ohne daß sich eine Seele erinnerte ihn jemals
in der Nähe eines Kampfplatzes erblickt zu habe». Eine zweifelhafte Figur ist auch
Türr, der Commandant der Mannheimer Volkswehr, der sich für einen kaiserlichen
Offizier ausgegeben, aber nichts weiter war, als ein entlaufener ungarischer Tam¬
bour. Unbegreiflich ist mir, wie sich die Mannheimer Bürgerschaft von diesem Men¬
schen, dessen überladener, theatralischer Aufputz schon zur Genüge den Kern verrieth,
so konnte tyrannisiren lasse», wie sie es that. Hier, in der Schweiz, spielen diese
kleinen Feldherrn jetzt eine gar erbärmliche Rolle, und wer noch ein Bischen Ehr¬
gefühl hat, hält sich von ihnen so fern, als möglich. So befinden sich Beck, der
eine Zeit lang nach Sigeth Abdankung General der Badenser gewesen, und der
Wiener Kuchenbecker, zuerst Messenhausers, dann in der Pfalz des Nodomont von
Fenneberg Adjutant, jetzt in einer keineswegs beneidenswerthen Lage und Jsolirung.

Nach Luzern hatte sich Brentano gewandt. Es ist in diesen Blättern
schon von anderer Hand der Charakter und die politische Bedeutung dieses
Mannes, der in der deutschen Revolution jedenfalls eine der hervorragendsten
Rollen gespielt hat, gegeben worden und ich kann mich darauf beschränken, von
ihm zu sagen: Brentano war ein Idealist, dessen Kopf stets mit dem Herzen, da-
von lief, wenn es ihm an Raum zu Thaten fehlte, der aber nichts destoweniger
in kritischen Momenten beide auf dem rechten Fleck getragen hat und niemals un¬
ehrlich war. Gegen seine einfache Rechtfertigung, die das Gepräge der vollen
Wahrheit allzu deutlich trägt, werden seine ergrimmten Feinde und Neider um¬
sonst ihre vergifteten Pfeile schleudern. Brentano ist im Begriff, mit seinen Freunden
Mercy, Thibaut, Eichseld und Ziegler nach Nordamerika auszuwandern, wo er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/78>, abgerufen am 15.01.2025.