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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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in Ufer des Genfer Sees Hansen wohl auch die drei Mainzer Zitz, Bamberger und
Schütz, aber wohlweislich halten sie ihren Aufenthaltsort so geheim als möglich. Sie
haben Recht -- sie thäten noch besser daran, wenn sie sich die Haare abrasiren
oder färben ließen und andere Namen annähmen und wo möglich sich für Boto-
kuden aufgaben, anstatt für Deutsche. Deal von alleu Flüchen lastet auf dem
Menschen am schwersten und drückendsten der Fluch der Lächerlichkeit nud Feigheit.
Und jene Herren haben in der Pölitz und in Baden das Ihrige redlich gethan,
denselben auf sich zu lade". Herr Bamberger hat seine langen Beine vortrefflich
zu benutzen verstanden, daß aber der große Zitz die Behendigkeit eiues Schnell¬
läufers entwickeln würde, daran hatte früher Niemand gedacht. O die entsetzliche
Erfindung der Schrappnells!

Mit einem gewagten Sprung führe ich Sie nach einer andern Hauptstadt
der Schweiz, nach Zürich, dem sogenannten Alpathcn. Hier, in der Stadt, welche
von allen verhältnißmäßig am meisten den Fremden von jeher zugänglich gewesen
ist, hält sich die bedeutendste Auzahl vou Flüchtlingen ans, wenn auch gerade nur
wenige ihrer Häupter darunter siud. Wir finden dieselben allenthalben zerstreut.
Ihr Hauptversammlungsort ist aber das Caso litteraire am Weinplatz, dessen Wirth,
Herr Groß, dermaleinst den bekannten Robert Steiger aus dem Kerker zu Luzern
befreit hat. Hier, längst dem Zusammenkunftsort aller Liberalen in Zürich, zeige ich
Ihnen zuerst die Sachsen. Sie gruppiren sich um das ehemalige provisorische Negie-
rungsnntglied Todt; der Mann ist sehr alt geworden, und sucht umsonst unbehag¬
liche Stimmen in seinem Innern zu betäube". Neben ihm krümmt sich wie ein mi߬
ratenes Fragezeichen die armselige Gestalt des einstigen LandtagsabgeordnetenJ äckel
in Dresden, des glücklichen Besitzers des bekannten "blauen Rocks." Der Kapellmeister
Wagner dagegen, der geniale Tonsetzer des Tannhäusers, schwimmt noch kräftig
oben und will sich vom Geschick nicht beugen lassen. Bei ihm ist die Begeisterung
"ehe, ohne Haken und Häkchen gewesen -- von wie Vielen außer ihm wird sich
das noch sagen lassen,?") Dort stehen in eifrigem Gespräch miteinander der Ezlicu-
tenant von Zychlinsky und die beiden Redacteure der Dresdner Zeitung, Wittig
und von Lindemann. Auch den Preußen Arrete, den verunglücklichen Heerführer,
steht man häufig im Cafe litteraire. Derselbe versucht allerlei Speculationen, um
dem trostlosen Zustand seiner Finanzen aufzuhelfen; jetzt beabsichtigt er, eine neue
Zeitung zu gründen, kann aber weder Verleger, noch Druck- und Papier-Borger



A um. d. Red.
*) Vielleicht in keiner Jnsurrection haben sich neben vielen schlechten Elementen auch
s° Viel ehrenwerthe, wen" auch verirrte Motive eingemischt, als in die Dresdener; Männer
von hohem wissenschaftlichem Werth und ehrenfestem Charakter, die man bedauern, aber nicht
^gen einer Erregung verdammen darf, von den wir alle mehr oder weniger ergriffen waren.
Grenzboten. lo. 184S. 1t)

in Ufer des Genfer Sees Hansen wohl auch die drei Mainzer Zitz, Bamberger und
Schütz, aber wohlweislich halten sie ihren Aufenthaltsort so geheim als möglich. Sie
haben Recht — sie thäten noch besser daran, wenn sie sich die Haare abrasiren
oder färben ließen und andere Namen annähmen und wo möglich sich für Boto-
kuden aufgaben, anstatt für Deutsche. Deal von alleu Flüchen lastet auf dem
Menschen am schwersten und drückendsten der Fluch der Lächerlichkeit nud Feigheit.
Und jene Herren haben in der Pölitz und in Baden das Ihrige redlich gethan,
denselben auf sich zu lade«. Herr Bamberger hat seine langen Beine vortrefflich
zu benutzen verstanden, daß aber der große Zitz die Behendigkeit eiues Schnell¬
läufers entwickeln würde, daran hatte früher Niemand gedacht. O die entsetzliche
Erfindung der Schrappnells!

Mit einem gewagten Sprung führe ich Sie nach einer andern Hauptstadt
der Schweiz, nach Zürich, dem sogenannten Alpathcn. Hier, in der Stadt, welche
von allen verhältnißmäßig am meisten den Fremden von jeher zugänglich gewesen
ist, hält sich die bedeutendste Auzahl vou Flüchtlingen ans, wenn auch gerade nur
wenige ihrer Häupter darunter siud. Wir finden dieselben allenthalben zerstreut.
Ihr Hauptversammlungsort ist aber das Caso litteraire am Weinplatz, dessen Wirth,
Herr Groß, dermaleinst den bekannten Robert Steiger aus dem Kerker zu Luzern
befreit hat. Hier, längst dem Zusammenkunftsort aller Liberalen in Zürich, zeige ich
Ihnen zuerst die Sachsen. Sie gruppiren sich um das ehemalige provisorische Negie-
rungsnntglied Todt; der Mann ist sehr alt geworden, und sucht umsonst unbehag¬
liche Stimmen in seinem Innern zu betäube«. Neben ihm krümmt sich wie ein mi߬
ratenes Fragezeichen die armselige Gestalt des einstigen LandtagsabgeordnetenJ äckel
in Dresden, des glücklichen Besitzers des bekannten „blauen Rocks." Der Kapellmeister
Wagner dagegen, der geniale Tonsetzer des Tannhäusers, schwimmt noch kräftig
oben und will sich vom Geschick nicht beugen lassen. Bei ihm ist die Begeisterung
»ehe, ohne Haken und Häkchen gewesen — von wie Vielen außer ihm wird sich
das noch sagen lassen,?") Dort stehen in eifrigem Gespräch miteinander der Ezlicu-
tenant von Zychlinsky und die beiden Redacteure der Dresdner Zeitung, Wittig
und von Lindemann. Auch den Preußen Arrete, den verunglücklichen Heerführer,
steht man häufig im Cafe litteraire. Derselbe versucht allerlei Speculationen, um
dem trostlosen Zustand seiner Finanzen aufzuhelfen; jetzt beabsichtigt er, eine neue
Zeitung zu gründen, kann aber weder Verleger, noch Druck- und Papier-Borger



A um. d. Red.
*) Vielleicht in keiner Jnsurrection haben sich neben vielen schlechten Elementen auch
s° Viel ehrenwerthe, wen» auch verirrte Motive eingemischt, als in die Dresdener; Männer
von hohem wissenschaftlichem Werth und ehrenfestem Charakter, die man bedauern, aber nicht
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/77>, abgerufen am 15.01.2025.