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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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glieder des Frankfurter Parlaments, Doeleke nndStandau, die Communistenchefs
der westlichen Schweiz, August Becker der Rothbart "ut mit ihm alle die Atten¬
täter des 3. April 1833 in Frankfurt, Fries aus Grünstadt, Rauscheiiplat, Glad-
bach, Hundeshagen, Georg Büchner, der Verfasser des Danton, und viele Andere,
deren Namen mir entfallen sind, waren in dem Vogt'schen Hanse wohl aufgenom¬
mene Gäste. Und in der That, es hat dasselbe sich den Dank und die Liebe aller
Deutschen in der Schweiz zu erwerben und zu erhalten gewußt. Wenn der un¬
glückliche Verbannte, verlasse" von der ganzen Welt, unter den kalten, egoistischen
Republikanern zuletzt in quälendem Heimweh keinen Rath und keinen Balsam mehr
wußte, dann ging er zu Vogt's und fand Beides. Im Kreise des liebenswür¬
digsten Familienlebens vergaß er, daß er fremd und verstoßen sei. Und nicht
blos Flüchtige haben in seinen Räumen frohe Stunden genossen, nein, das Vogt'-
sche Haus war wie ein Wallfahrtsort für den Strom deutscher Reisenden und nie
war dessen gastliche Pforte dem Zauberwort: ein Landsmann! -- verschlossen.

An einem andern Orte Beruf haben wir Gelegenheit, die Sterne zweiten
und dritten Grades am trüben Himmel der deutschen Demokratie keimen zu lernen.
Ich geleite Sie nach dem Cafe Milano, einem Etablissement nicht weit vom Mün¬
ster, dessen Besitzer und Wirth ein schwäbischer Musikus ist. Hier sitzen und
stehen bei Bier und Kasse, Domino und Billard fast nur deutsche unfreiwillig
Ausgewanderte. Vor Allen mache ich Sie auf jene imposante Gestalt aufmerksam,
welche dort in Schlapphut, Sackpaletot und Reiterstiefeln, eine kurze Pfeife im
Mund, an der Wand lehnt. Das ist Germain Metternich, der Mainzer Held.
Seine langen braunen Haare flattern ihm wild um den Kopf. Trotz wohnt zwi¬
schen seinen Brauen, uuter welchen die grauen Angen stets so hervorblitzen, als
entdeckten sie in jedem Moment eine Gesahr, seine Nase ist scharf gebogen, sein
Mund unsichtbar unter dem großen Vollbart, seine Gestalt ist herkulisch, aber
verhältnißmäßig gebaut. Metternich hat ein abenteuerliches, wüstes, ja verrufenes
Leben hinter sich. Ich weiß nicht mehr genau, war er es oder sein Bruder, der
als Student den Wirth der HardtmMe bei Gießen erschlug; wohl aber ist er es
gewesen, der Heinzen's Schwager, Moras, aus den Handen der preußischen Gens-
darmen befreite, als dieser vom Dampfboot in den Rhein gesprungen war; er ist
es, der die blutige Schuld der Frankfurter Septembertage zum größten Theil auf
der Seele lasten hat. Germain Metternich hat dann in der Pfalz und in Baden
seine Rolle zu Ende gespielt; wie und in welchem Geist er das gethan, darüber
mangeln mir die näheren Nachrichten. Jetzt gedenkt er in wenigen Tagen nach
Amerika -abzusegeln; sein Arm ist für die Kläraxt geschaffen und vor den India¬
nern braucht er sich nicht zu fürchten. Er unterhält sich eben mit dem Studenten
Kieselhausen aus Chemnitz, einem lang aufgeschossenen, blonden Musensohn, der
sich ebenfalls in mancherlei Revolten versucht, es aber vorgezogen hat, von Dres¬
den aus bei Zeiten zu verschwinden, während sein Freund und Genosse Böttcher


glieder des Frankfurter Parlaments, Doeleke nndStandau, die Communistenchefs
der westlichen Schweiz, August Becker der Rothbart »ut mit ihm alle die Atten¬
täter des 3. April 1833 in Frankfurt, Fries aus Grünstadt, Rauscheiiplat, Glad-
bach, Hundeshagen, Georg Büchner, der Verfasser des Danton, und viele Andere,
deren Namen mir entfallen sind, waren in dem Vogt'schen Hanse wohl aufgenom¬
mene Gäste. Und in der That, es hat dasselbe sich den Dank und die Liebe aller
Deutschen in der Schweiz zu erwerben und zu erhalten gewußt. Wenn der un¬
glückliche Verbannte, verlasse» von der ganzen Welt, unter den kalten, egoistischen
Republikanern zuletzt in quälendem Heimweh keinen Rath und keinen Balsam mehr
wußte, dann ging er zu Vogt's und fand Beides. Im Kreise des liebenswür¬
digsten Familienlebens vergaß er, daß er fremd und verstoßen sei. Und nicht
blos Flüchtige haben in seinen Räumen frohe Stunden genossen, nein, das Vogt'-
sche Haus war wie ein Wallfahrtsort für den Strom deutscher Reisenden und nie
war dessen gastliche Pforte dem Zauberwort: ein Landsmann! — verschlossen.

An einem andern Orte Beruf haben wir Gelegenheit, die Sterne zweiten
und dritten Grades am trüben Himmel der deutschen Demokratie keimen zu lernen.
Ich geleite Sie nach dem Cafe Milano, einem Etablissement nicht weit vom Mün¬
ster, dessen Besitzer und Wirth ein schwäbischer Musikus ist. Hier sitzen und
stehen bei Bier und Kasse, Domino und Billard fast nur deutsche unfreiwillig
Ausgewanderte. Vor Allen mache ich Sie auf jene imposante Gestalt aufmerksam,
welche dort in Schlapphut, Sackpaletot und Reiterstiefeln, eine kurze Pfeife im
Mund, an der Wand lehnt. Das ist Germain Metternich, der Mainzer Held.
Seine langen braunen Haare flattern ihm wild um den Kopf. Trotz wohnt zwi¬
schen seinen Brauen, uuter welchen die grauen Angen stets so hervorblitzen, als
entdeckten sie in jedem Moment eine Gesahr, seine Nase ist scharf gebogen, sein
Mund unsichtbar unter dem großen Vollbart, seine Gestalt ist herkulisch, aber
verhältnißmäßig gebaut. Metternich hat ein abenteuerliches, wüstes, ja verrufenes
Leben hinter sich. Ich weiß nicht mehr genau, war er es oder sein Bruder, der
als Student den Wirth der HardtmMe bei Gießen erschlug; wohl aber ist er es
gewesen, der Heinzen's Schwager, Moras, aus den Handen der preußischen Gens-
darmen befreite, als dieser vom Dampfboot in den Rhein gesprungen war; er ist
es, der die blutige Schuld der Frankfurter Septembertage zum größten Theil auf
der Seele lasten hat. Germain Metternich hat dann in der Pfalz und in Baden
seine Rolle zu Ende gespielt; wie und in welchem Geist er das gethan, darüber
mangeln mir die näheren Nachrichten. Jetzt gedenkt er in wenigen Tagen nach
Amerika -abzusegeln; sein Arm ist für die Kläraxt geschaffen und vor den India¬
nern braucht er sich nicht zu fürchten. Er unterhält sich eben mit dem Studenten
Kieselhausen aus Chemnitz, einem lang aufgeschossenen, blonden Musensohn, der
sich ebenfalls in mancherlei Revolten versucht, es aber vorgezogen hat, von Dres¬
den aus bei Zeiten zu verschwinden, während sein Freund und Genosse Böttcher


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[0074] glieder des Frankfurter Parlaments, Doeleke nndStandau, die Communistenchefs der westlichen Schweiz, August Becker der Rothbart »ut mit ihm alle die Atten¬ täter des 3. April 1833 in Frankfurt, Fries aus Grünstadt, Rauscheiiplat, Glad- bach, Hundeshagen, Georg Büchner, der Verfasser des Danton, und viele Andere, deren Namen mir entfallen sind, waren in dem Vogt'schen Hanse wohl aufgenom¬ mene Gäste. Und in der That, es hat dasselbe sich den Dank und die Liebe aller Deutschen in der Schweiz zu erwerben und zu erhalten gewußt. Wenn der un¬ glückliche Verbannte, verlasse» von der ganzen Welt, unter den kalten, egoistischen Republikanern zuletzt in quälendem Heimweh keinen Rath und keinen Balsam mehr wußte, dann ging er zu Vogt's und fand Beides. Im Kreise des liebenswür¬ digsten Familienlebens vergaß er, daß er fremd und verstoßen sei. Und nicht blos Flüchtige haben in seinen Räumen frohe Stunden genossen, nein, das Vogt'- sche Haus war wie ein Wallfahrtsort für den Strom deutscher Reisenden und nie war dessen gastliche Pforte dem Zauberwort: ein Landsmann! — verschlossen. An einem andern Orte Beruf haben wir Gelegenheit, die Sterne zweiten und dritten Grades am trüben Himmel der deutschen Demokratie keimen zu lernen. Ich geleite Sie nach dem Cafe Milano, einem Etablissement nicht weit vom Mün¬ ster, dessen Besitzer und Wirth ein schwäbischer Musikus ist. Hier sitzen und stehen bei Bier und Kasse, Domino und Billard fast nur deutsche unfreiwillig Ausgewanderte. Vor Allen mache ich Sie auf jene imposante Gestalt aufmerksam, welche dort in Schlapphut, Sackpaletot und Reiterstiefeln, eine kurze Pfeife im Mund, an der Wand lehnt. Das ist Germain Metternich, der Mainzer Held. Seine langen braunen Haare flattern ihm wild um den Kopf. Trotz wohnt zwi¬ schen seinen Brauen, uuter welchen die grauen Angen stets so hervorblitzen, als entdeckten sie in jedem Moment eine Gesahr, seine Nase ist scharf gebogen, sein Mund unsichtbar unter dem großen Vollbart, seine Gestalt ist herkulisch, aber verhältnißmäßig gebaut. Metternich hat ein abenteuerliches, wüstes, ja verrufenes Leben hinter sich. Ich weiß nicht mehr genau, war er es oder sein Bruder, der als Student den Wirth der HardtmMe bei Gießen erschlug; wohl aber ist er es gewesen, der Heinzen's Schwager, Moras, aus den Handen der preußischen Gens- darmen befreite, als dieser vom Dampfboot in den Rhein gesprungen war; er ist es, der die blutige Schuld der Frankfurter Septembertage zum größten Theil auf der Seele lasten hat. Germain Metternich hat dann in der Pfalz und in Baden seine Rolle zu Ende gespielt; wie und in welchem Geist er das gethan, darüber mangeln mir die näheren Nachrichten. Jetzt gedenkt er in wenigen Tagen nach Amerika -abzusegeln; sein Arm ist für die Kläraxt geschaffen und vor den India¬ nern braucht er sich nicht zu fürchten. Er unterhält sich eben mit dem Studenten Kieselhausen aus Chemnitz, einem lang aufgeschossenen, blonden Musensohn, der sich ebenfalls in mancherlei Revolten versucht, es aber vorgezogen hat, von Dres¬ den aus bei Zeiten zu verschwinden, während sein Freund und Genosse Böttcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/74>, abgerufen am 15.01.2025.