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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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mand auf die deutschen Flüchtlinge, wie das alte Berner Patriziervollblut, welches
sich jetzt nirgends mehr hinwenden kann, ohne daß ihm ein Demagoge auf den
Fuß tritt. Glauben Sie mir, die enragirtestcn Monarchisten reichen in ihrem
Absolutismus noch bei Weitem nicht an diese geld- und ahnenstolzen Bürger eines
republikanischen Staates. Schon einmal ist das Weh eiuer deutschen Demagvgen-
einwanderung über sie ergangen, in dem Anfang der dreißiger Jahre. Sie sperrten
sich dagegen, so sehr sie konnten, aber damals warf der Sturm der Julitage auch
in den Alpencantonen die alten Verfassungsbvllwerke über den Haufen, und in
dem Wirbel und Kampf der Neuerungen hatten auch plötzlich die aus Deutschland
verbannten Fürstenhasser einen festen Posten innerhalb der Schweiz gefunden. Be¬
sonders ward die junge Berner Hochschule das Asyl Vieler derselben. Der Jurist
Wilhelm Snell aus Nassau, der Theologe Huudeshagen aus Gießen habilitirten
sich an ihr als Docenten, ebenso Professor Vogt, ein tüchtiger Arzt. Der letztere
und sein Hans bildeten bald genng den Mittelpunkt des gesammten Flüchtlingthums
in der Schweiz, nicht minder aber auch den Focus, in dem sich aller Haß der
Geldbären gegen Ausländer, besonders Deutsche, und noch gar Demagogen, con-
centrirte.

Treten Sie heute mit mir in das gastliche Haus. Ich weiß nicht mehr ge¬
nau, liegt es auf der Junker- oder der Herrcnstraße in Bern, einer jener düsteren
todten Gassen, welche mit der allein lebendigen Hauptstraße parallel laufen. An
der Klingel ist der Namen des Besitzers deutlich zu lese", man führt uus eine
Treppe hinauf, und bald stehen wir auf eiuer freie" Terrasse oder einem großen
Balkon an der Hinterseite des Hauses. Das ist eiuer der schönsten Plätze der
Welt. Tief unter uns senken sich in ziemlich steilem Absturz die bunten, stufen¬
weise sich erhebenden Gärtchen der Berner hinab, bis zum Ufer der Aar, die
sich hier in einem breiten Bogen über eine quer durchgehende Stromschnelle er¬
gießt. Rechts und links die lange Mauer der schmalen Häuser, unten Insel und
Aarzichle, jenseits des Flusses der Gurteuberg, umsäumt vom lachendsten Kranze
in Gärten versteckter Villen, und in der Ferne über die grünen Höhen hinweg
die diamantnen Riesenhäupter der Berner Alpen, vom Wettcrhorn an bis zum gi¬
gantische" Dach der Altels. Der Blick, der wie gebleiidet das großartige Pano¬
rama anstaunt, lenkt sich endlich auf die vielen Personen, welche den Balkon und
den daranstoßenden Salon beleben. Zuerst die Familie Vogt. Es sind die schön¬
sten Leute, welche man zusammen finden kann. Der Vater, eine hohe, eckig kräf¬
tige Gestalt, aufrecht, frei das Haupt, das die langen Haare, den alten Schmuck
der Burschenschaft, nicht geopfert hat, -- mit klarem, verständigem Blick, Jüng-
lingsfener in der Seele, Kraft und Leben in allen Gliedern. Die Mutter, eine
Schwester der Follcue, könnte mau für das Aelteste ihrer Kinder halten, so gut
hat sie sich zu halten gewußt. Von ihren Brüdern ist ihr eine fliegende Schwär¬
merei geblieben, welche bei ihr gleich in Feuer und Flammen zum Kopf heraus-


mand auf die deutschen Flüchtlinge, wie das alte Berner Patriziervollblut, welches
sich jetzt nirgends mehr hinwenden kann, ohne daß ihm ein Demagoge auf den
Fuß tritt. Glauben Sie mir, die enragirtestcn Monarchisten reichen in ihrem
Absolutismus noch bei Weitem nicht an diese geld- und ahnenstolzen Bürger eines
republikanischen Staates. Schon einmal ist das Weh eiuer deutschen Demagvgen-
einwanderung über sie ergangen, in dem Anfang der dreißiger Jahre. Sie sperrten
sich dagegen, so sehr sie konnten, aber damals warf der Sturm der Julitage auch
in den Alpencantonen die alten Verfassungsbvllwerke über den Haufen, und in
dem Wirbel und Kampf der Neuerungen hatten auch plötzlich die aus Deutschland
verbannten Fürstenhasser einen festen Posten innerhalb der Schweiz gefunden. Be¬
sonders ward die junge Berner Hochschule das Asyl Vieler derselben. Der Jurist
Wilhelm Snell aus Nassau, der Theologe Huudeshagen aus Gießen habilitirten
sich an ihr als Docenten, ebenso Professor Vogt, ein tüchtiger Arzt. Der letztere
und sein Hans bildeten bald genng den Mittelpunkt des gesammten Flüchtlingthums
in der Schweiz, nicht minder aber auch den Focus, in dem sich aller Haß der
Geldbären gegen Ausländer, besonders Deutsche, und noch gar Demagogen, con-
centrirte.

Treten Sie heute mit mir in das gastliche Haus. Ich weiß nicht mehr ge¬
nau, liegt es auf der Junker- oder der Herrcnstraße in Bern, einer jener düsteren
todten Gassen, welche mit der allein lebendigen Hauptstraße parallel laufen. An
der Klingel ist der Namen des Besitzers deutlich zu lese», man führt uus eine
Treppe hinauf, und bald stehen wir auf eiuer freie» Terrasse oder einem großen
Balkon an der Hinterseite des Hauses. Das ist eiuer der schönsten Plätze der
Welt. Tief unter uns senken sich in ziemlich steilem Absturz die bunten, stufen¬
weise sich erhebenden Gärtchen der Berner hinab, bis zum Ufer der Aar, die
sich hier in einem breiten Bogen über eine quer durchgehende Stromschnelle er¬
gießt. Rechts und links die lange Mauer der schmalen Häuser, unten Insel und
Aarzichle, jenseits des Flusses der Gurteuberg, umsäumt vom lachendsten Kranze
in Gärten versteckter Villen, und in der Ferne über die grünen Höhen hinweg
die diamantnen Riesenhäupter der Berner Alpen, vom Wettcrhorn an bis zum gi¬
gantische» Dach der Altels. Der Blick, der wie gebleiidet das großartige Pano¬
rama anstaunt, lenkt sich endlich auf die vielen Personen, welche den Balkon und
den daranstoßenden Salon beleben. Zuerst die Familie Vogt. Es sind die schön¬
sten Leute, welche man zusammen finden kann. Der Vater, eine hohe, eckig kräf¬
tige Gestalt, aufrecht, frei das Haupt, das die langen Haare, den alten Schmuck
der Burschenschaft, nicht geopfert hat, — mit klarem, verständigem Blick, Jüng-
lingsfener in der Seele, Kraft und Leben in allen Gliedern. Die Mutter, eine
Schwester der Follcue, könnte mau für das Aelteste ihrer Kinder halten, so gut
hat sie sich zu halten gewußt. Von ihren Brüdern ist ihr eine fliegende Schwär¬
merei geblieben, welche bei ihr gleich in Feuer und Flammen zum Kopf heraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/71>, abgerufen am 15.01.2025.