Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Deutschland mit anderen Ländern dieses Erdtheils, so finden wir hier nach allen Nicht jenem Körper, aus dem das Leben längst gewichen ist, wollen wir Indem wir aber den Einheitsstaat erstreben, wollen wir nicht etwa dem 1*
Deutschland mit anderen Ländern dieses Erdtheils, so finden wir hier nach allen Nicht jenem Körper, aus dem das Leben längst gewichen ist, wollen wir Indem wir aber den Einheitsstaat erstreben, wollen wir nicht etwa dem 1*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279555"/> <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> Deutschland mit anderen Ländern dieses Erdtheils, so finden wir hier nach allen<lb/> Seiten hin natürliche Grenzen, dort kaum nach einer Seite hin: denn die Wand,<lb/> welche einen Theil der Südgrenze bildet, galt den Deutschen zu keiner Zeit als<lb/> solche, sie haben dieselbe unzähligemal durchbrochen, um nach den jenseitigen Ita¬<lb/> lien — wohin der Strom der Weltgeschichte durch ihre Alarich, ihre Ottonen,<lb/> ihre Hohenstaufen sie führte — ihre Waffen zu tragen, um Cultur von dort<lb/> in ihr eigenes Land zu verpflanzen; und die Ardennen und Vogesen dienten ja<lb/> bekanntlich Gallien als die Grenzscheide gegen Deutschland, aber nicht Deutschland<lb/> gegen Gallien.</p><lb/> <p xml:id="ID_8"> Nicht jenem Körper, aus dem das Leben längst gewichen ist, wollen wir<lb/> unser Leben einhauchen; lassen wir jenes der Geschichte angehörende Reich, um<lb/> dessen Oberherrschaft einst Päpste und Kaiser gestritten, bis Päpste, Kaiser und<lb/> Reich fast zu gleicher Zeit ihre Bedeutung verloren. Wir bedürfen zur Gründung<lb/> des deutschen Staates keinerlei Berechtigung in der Vergangenheit; wenn wir<lb/> diesen Staat wollen, so liegt in diesem Wollen unsere vollkommen genügende Be¬<lb/> rechtigung. Wir müssen ihn aber wollen, nicht blos um des materiellen Vortheils<lb/> willen, den uns dieser Staat brächte, sondern deswegen, weil wir ohne^ihn unter¬<lb/> gingen, weil wir ohne ihn nicht das ewige Leben auf Erden hätten, für das wir<lb/> allein ein Verständniß besitzen. Die Deutschen hatten eine Geschichte, ohne ein<lb/> Staat zu sein, zu der Zeit, als es noch keine Staaten in Europa gab; das Reich<lb/> zerfiel, als diese entstanden, und weil diese entstanden. Jetzt, zwischen Frank¬<lb/> reich und Nußland eingekeilt, können wir nicht aus die Dauer als Föderativstaat<lb/> bestehen, sondern wir müssen Einen Körper bilden, einen Fels, an dein der Aus¬<lb/> länder sich den Kopf zerschellt, wenn er gegen ihn anprallt. Nur der Einheits¬<lb/> staat kann uns retten und die Centralisation, und Deutschland kann nnr als Ein¬<lb/> heitsstaat bestehen und wirken für die Menschheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> Indem wir aber den Einheitsstaat erstreben, wollen wir nicht etwa dem<lb/> Geiste unserer Nation Gewalt anthun, sondern wir wollen die Fesseln brechen,<lb/> welche man diesem Geiste angelegt, ehe er noch erwacht war. Auch die Völker<lb/> haben ihre Kindheit, wo sie zu dem Rechten geführt nud erzogen werden müssen,<lb/> weil ihnen dieses nicht Bedürfniß ist; unser Volk hat in seiner Kindheit das Be¬<lb/> dürfniß des Staates nicht gehabt, und daher konnte es in jene kleinen Kreise<lb/> gebannt werden. Dieses ist ein unnatürlicher Zustand, der uns bereits unsäg¬<lb/> liches Unheil gebracht, der uns mit Untergang bedroht; und weil wir dieses er¬<lb/> kannt haben, müssen wir gänzlich aus ihm herauszukommen suchen. Wir dürfen<lb/> uns nicht durch die französische Centralisation schrecken lassen; wir dürfen es nicht<lb/> glauben, weder unsern theoretischen Gelehrten, noch unsern praktischen Hofphiloso¬<lb/> phen und Hofhistoriographen, daß es unsere Bestimmung sei, in kleinen Kreisen<lb/> zu leben. Erst ein Menschenalter ist verflossen, seit die Leibeigenschaft bei uns</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 1*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Deutschland mit anderen Ländern dieses Erdtheils, so finden wir hier nach allen
Seiten hin natürliche Grenzen, dort kaum nach einer Seite hin: denn die Wand,
welche einen Theil der Südgrenze bildet, galt den Deutschen zu keiner Zeit als
solche, sie haben dieselbe unzähligemal durchbrochen, um nach den jenseitigen Ita¬
lien — wohin der Strom der Weltgeschichte durch ihre Alarich, ihre Ottonen,
ihre Hohenstaufen sie führte — ihre Waffen zu tragen, um Cultur von dort
in ihr eigenes Land zu verpflanzen; und die Ardennen und Vogesen dienten ja
bekanntlich Gallien als die Grenzscheide gegen Deutschland, aber nicht Deutschland
gegen Gallien.
Nicht jenem Körper, aus dem das Leben längst gewichen ist, wollen wir
unser Leben einhauchen; lassen wir jenes der Geschichte angehörende Reich, um
dessen Oberherrschaft einst Päpste und Kaiser gestritten, bis Päpste, Kaiser und
Reich fast zu gleicher Zeit ihre Bedeutung verloren. Wir bedürfen zur Gründung
des deutschen Staates keinerlei Berechtigung in der Vergangenheit; wenn wir
diesen Staat wollen, so liegt in diesem Wollen unsere vollkommen genügende Be¬
rechtigung. Wir müssen ihn aber wollen, nicht blos um des materiellen Vortheils
willen, den uns dieser Staat brächte, sondern deswegen, weil wir ohne^ihn unter¬
gingen, weil wir ohne ihn nicht das ewige Leben auf Erden hätten, für das wir
allein ein Verständniß besitzen. Die Deutschen hatten eine Geschichte, ohne ein
Staat zu sein, zu der Zeit, als es noch keine Staaten in Europa gab; das Reich
zerfiel, als diese entstanden, und weil diese entstanden. Jetzt, zwischen Frank¬
reich und Nußland eingekeilt, können wir nicht aus die Dauer als Föderativstaat
bestehen, sondern wir müssen Einen Körper bilden, einen Fels, an dein der Aus¬
länder sich den Kopf zerschellt, wenn er gegen ihn anprallt. Nur der Einheits¬
staat kann uns retten und die Centralisation, und Deutschland kann nnr als Ein¬
heitsstaat bestehen und wirken für die Menschheit.
Indem wir aber den Einheitsstaat erstreben, wollen wir nicht etwa dem
Geiste unserer Nation Gewalt anthun, sondern wir wollen die Fesseln brechen,
welche man diesem Geiste angelegt, ehe er noch erwacht war. Auch die Völker
haben ihre Kindheit, wo sie zu dem Rechten geführt nud erzogen werden müssen,
weil ihnen dieses nicht Bedürfniß ist; unser Volk hat in seiner Kindheit das Be¬
dürfniß des Staates nicht gehabt, und daher konnte es in jene kleinen Kreise
gebannt werden. Dieses ist ein unnatürlicher Zustand, der uns bereits unsäg¬
liches Unheil gebracht, der uns mit Untergang bedroht; und weil wir dieses er¬
kannt haben, müssen wir gänzlich aus ihm herauszukommen suchen. Wir dürfen
uns nicht durch die französische Centralisation schrecken lassen; wir dürfen es nicht
glauben, weder unsern theoretischen Gelehrten, noch unsern praktischen Hofphiloso¬
phen und Hofhistoriographen, daß es unsere Bestimmung sei, in kleinen Kreisen
zu leben. Erst ein Menschenalter ist verflossen, seit die Leibeigenschaft bei uns
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