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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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legt; der Beisitz abdcputirter Gemeinderäthe wird auf des Ermessen das Ministerial-
beamten keinen Einfluß üben. Hiergegen sind Geistliche, Beamte und Militärs
vom Amt der Geschworenen ausgeschlossen.

Diese Mischung von liberalen und abhängig machenden Vorschriften findet sich
in allen Verfügungen der Regierung. So gerecht die Opposition gegen letztere ist,
so bereitwillig muß man erstere anerkenne", und selbst die hohle Phrase dient zur
Basis des Weiterstrebens. Wichtiger aber als die Ordonnanzen ist die begründete
Muthmaßung, daß das Ministerium die baldige Versammlung des Reichstags be¬
zwecke. Der Sieg "ach Unten ist vollkommen. Nicht blos die Revolution ist ge¬
knebelt, anch die überstürzenden Bestrebungen der Provinzen und Nationen legen
sich Schranken an, um nicht demi Schicksale der Magyaren und des Magyaren¬
reiches zu verfallen. Die Ideologen nnter den Politikern haben sich zurückgezogen,
vielleicht günstigere Zeiten abwartend, die Practiker fügen sich. Kroatien hat nach
einigem Widerstreben die oktroyirte Charte publiciren lassen, und die altconserva-
tiven Ungarn schließen sich dem Einhcitöstaate an; nur Mailand hat noch keine
Deputation zu den Stufen des Thrones gesandt. Von Unten hat die Negierung
keinen Widerstand zu erwarten, und auf das Vertrauen und die Zuneigung des
Volkes glaubt sie verzichten zu könne". Von Oben aber drohen Gefahren, schlim¬
mer als die mit Bajonnetten zu bewältigenden. Das Werk der Minister steht nicht
so fest, daß uur ein Simson es zerstören könnte, nud selbst für diesen fände sich
eine Delila. Das östreichische Ministerium besteht aus Männer", welche das Zu¬
rückgehen in die frühere Zeit nicht für heilsam halten; selbst der Premier Schwar¬
zenberg gehört nicht zu den Anhängern Metternichs, und hat sich nicht gescheut,
dem todten Kaiser Franz manch' wahres Wort zu sagen. Man will Zugeständ¬
nisse machen an Volk und Zeit, obwohl man sie verklausulirt; man will aber auch
Garantie" baue" gegen Uebergriffe der Krone. Mächtige Parteien wollen beides
verhindern. Der Waffcusieg hat Uebermuth erzeugt. Eine Berufung des Reichs¬
tags würde diese Reaktion in Schranken halten. Die Macht der Volksvertretung
würde Hof und Camarilla fühlen lassen, daß man geben muß, was nicht vorzu¬
enthalten ist. Die oktroyirte Charte steht aber der Einberufung des Reichstags
entgegen, da das Oberhaus von den Landtagen der Provinzen gewählt werden
soll. Ein Journal, daß dem Minister Stadion durch Dick und Dünn folgte, bis
^ sich irrsinnig in Gräfenberg verlor, nennt diesen Paragraph den größten Feh¬
ler der Verfassung, da hiedurch ein ans den nationalen Parteigeistcrn der Provin¬
zen hervorgehendes Oberhaus auf zehn Jahre gebildet wird, das stets in Oppo-
sition zur Regierung bleibt. Dieser Paragraph soll umgestoßen, die directe
Aolkswahl oktroyirt, und alsobald der Reichstag zur Revision der Verfassung ein¬
berufen werden!

Das Ministerium hegt einen so kühnen Gedanken auch deshalb, um die Geld¬
verlegenheiten endlich bemeistern zu können, denen das Finanzpatent und das neue


legt; der Beisitz abdcputirter Gemeinderäthe wird auf des Ermessen das Ministerial-
beamten keinen Einfluß üben. Hiergegen sind Geistliche, Beamte und Militärs
vom Amt der Geschworenen ausgeschlossen.

Diese Mischung von liberalen und abhängig machenden Vorschriften findet sich
in allen Verfügungen der Regierung. So gerecht die Opposition gegen letztere ist,
so bereitwillig muß man erstere anerkenne», und selbst die hohle Phrase dient zur
Basis des Weiterstrebens. Wichtiger aber als die Ordonnanzen ist die begründete
Muthmaßung, daß das Ministerium die baldige Versammlung des Reichstags be¬
zwecke. Der Sieg »ach Unten ist vollkommen. Nicht blos die Revolution ist ge¬
knebelt, anch die überstürzenden Bestrebungen der Provinzen und Nationen legen
sich Schranken an, um nicht demi Schicksale der Magyaren und des Magyaren¬
reiches zu verfallen. Die Ideologen nnter den Politikern haben sich zurückgezogen,
vielleicht günstigere Zeiten abwartend, die Practiker fügen sich. Kroatien hat nach
einigem Widerstreben die oktroyirte Charte publiciren lassen, und die altconserva-
tiven Ungarn schließen sich dem Einhcitöstaate an; nur Mailand hat noch keine
Deputation zu den Stufen des Thrones gesandt. Von Unten hat die Negierung
keinen Widerstand zu erwarten, und auf das Vertrauen und die Zuneigung des
Volkes glaubt sie verzichten zu könne». Von Oben aber drohen Gefahren, schlim¬
mer als die mit Bajonnetten zu bewältigenden. Das Werk der Minister steht nicht
so fest, daß uur ein Simson es zerstören könnte, nud selbst für diesen fände sich
eine Delila. Das östreichische Ministerium besteht aus Männer», welche das Zu¬
rückgehen in die frühere Zeit nicht für heilsam halten; selbst der Premier Schwar¬
zenberg gehört nicht zu den Anhängern Metternichs, und hat sich nicht gescheut,
dem todten Kaiser Franz manch' wahres Wort zu sagen. Man will Zugeständ¬
nisse machen an Volk und Zeit, obwohl man sie verklausulirt; man will aber auch
Garantie» baue» gegen Uebergriffe der Krone. Mächtige Parteien wollen beides
verhindern. Der Waffcusieg hat Uebermuth erzeugt. Eine Berufung des Reichs¬
tags würde diese Reaktion in Schranken halten. Die Macht der Volksvertretung
würde Hof und Camarilla fühlen lassen, daß man geben muß, was nicht vorzu¬
enthalten ist. Die oktroyirte Charte steht aber der Einberufung des Reichstags
entgegen, da das Oberhaus von den Landtagen der Provinzen gewählt werden
soll. Ein Journal, daß dem Minister Stadion durch Dick und Dünn folgte, bis
^ sich irrsinnig in Gräfenberg verlor, nennt diesen Paragraph den größten Feh¬
ler der Verfassung, da hiedurch ein ans den nationalen Parteigeistcrn der Provin¬
zen hervorgehendes Oberhaus auf zehn Jahre gebildet wird, das stets in Oppo-
sition zur Regierung bleibt. Dieser Paragraph soll umgestoßen, die directe
Aolkswahl oktroyirt, und alsobald der Reichstag zur Revision der Verfassung ein¬
berufen werden!

Das Ministerium hegt einen so kühnen Gedanken auch deshalb, um die Geld¬
verlegenheiten endlich bemeistern zu können, denen das Finanzpatent und das neue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/67>, abgerufen am 15.01.2025.