Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es kann unter uns Edelleuten nicht an Männern fehlen, welche diese ganze
Geschichte mit Unwillen betrachten, doch sind gewiß deren viel mehrere, welche
sich von dem Blendwerk für unhaltbare Ideen begeistern lassen. Indem man den
höchsten Adelsgeschlechtern altpolnische Würden verleiht, kann man den Adel un¬
möglich für das Interesse eines deutschen Staates gewinnen wollen. Ich habe die
Mutter eines Menschen ermordet und will mir dadurch die Liebe-dieses Mannes
erwerben, daß ich ihm die Halskette oder das Bildniß seiner Mutter zum Geschenk
mache. Die Sache kann nicht ehrlich sein. Halskette oder Bild sind kein Gegen¬
stand der Liebesbewerbung. Sie sind ein Prüfstein, ein Köder, der die Gesinnung
herausfordert, die deu Mann in seiner Wahrheit erkennen läßt, oder gar Thaten
heraufbeschwört, welche dem Manne den Sturz bereiten. Aber das Lockfutter for¬
dert nicht blos Gesinnung und Thaten hervor, die vorhanden oder reif sind, son¬
dern es erweckt auch solche, wenn sie noch nicht vorhanden sind; und darum gerade
ist die Sache sehr schlimmer Art.

Es ist natürlich, daß der Adel mit dem steigenden oder bei dem erhaltenen
Interesse an dem polnischen Nativualwesen seinen Einfluß auf deu Bauernstand,
deu einzigen ihm natürlich verbundenen Theil der Bevölkerung, zu steigern oder
zu erhalten sich bemüht. Seiner Bemühung begegnet aber feindselig die in Kappe
und Maske gehüllte Bemühung der Regierung. Unter beiden Einflüssen könnte
der Bauernstand wahnsinnig oder wüthend werden, und es fragt sich, uach welcher
Seite hin sich sein Unwille wenden werde, wenn er Körper wird und Arm und
Faust bekommt.

Mein Wirth führte mich von der Tafel weg an das Fenster eines neben dem
Speisesaal befindlichen niedlichen Zimmers, in welchem ich zu meiner Verwunde¬
rung eine recht hübsche Bibliothek -- in der That eine große Seltenheit bei deu
polnischen Landedelleutcn -- bemerkte. Sehen Sie, sagte er, diese Feldfläche
jenseit der Teiche bis zum Walde und dort von der Barriere, in der sich die Pferde
befinden, bis zur Straße hinaus, welche sich nicht sehen läßt, ist das Feld meiner
Bauern in diesem Dorfe. Dieses Feld haben seit Jahrhunderten die Bauern be¬
sessen. Ans jeden von ihnen kommen ungefähr 18 Morgen, und es ist dies voll¬
kommen genügend zur Erhaltung einer Familie, welche nicht an Fasanbraten und
Pasteten gewöhnt ist. Auf dieser Seite erblicken Sie dreizehn hölzerne Gebäude in
gerader Linie. Bei jedem zwei andere hölzerne Gebäude und dabei eine kleine
Umzäunung. Das sind die Bauernhöfe, zu dem jedem achtzehn Morgen jenes Fel¬
des gehören. Fragen Sie die Bauern, wer diese Häuser erbaut hat, so wird
Ihnen jeder sagen, der Herr, oder dieser oder jener seiner Großväter. Und fra¬
gen Sie, woher ist das Holz dazu genommen? so werden sie Ihnen antworten:
aus dem herrschaftlichen Walde. Fragen Sie, von wem ihr Feld sei, so wird
Ihnen jeder sagen: van Herrn. Fragen Sie die Bauern ferner, ob ihre Familien
seit undeutlichen Zeiten im Besitze dieser Capitalien seien? so werden Ihnen diese


Es kann unter uns Edelleuten nicht an Männern fehlen, welche diese ganze
Geschichte mit Unwillen betrachten, doch sind gewiß deren viel mehrere, welche
sich von dem Blendwerk für unhaltbare Ideen begeistern lassen. Indem man den
höchsten Adelsgeschlechtern altpolnische Würden verleiht, kann man den Adel un¬
möglich für das Interesse eines deutschen Staates gewinnen wollen. Ich habe die
Mutter eines Menschen ermordet und will mir dadurch die Liebe-dieses Mannes
erwerben, daß ich ihm die Halskette oder das Bildniß seiner Mutter zum Geschenk
mache. Die Sache kann nicht ehrlich sein. Halskette oder Bild sind kein Gegen¬
stand der Liebesbewerbung. Sie sind ein Prüfstein, ein Köder, der die Gesinnung
herausfordert, die deu Mann in seiner Wahrheit erkennen läßt, oder gar Thaten
heraufbeschwört, welche dem Manne den Sturz bereiten. Aber das Lockfutter for¬
dert nicht blos Gesinnung und Thaten hervor, die vorhanden oder reif sind, son¬
dern es erweckt auch solche, wenn sie noch nicht vorhanden sind; und darum gerade
ist die Sache sehr schlimmer Art.

Es ist natürlich, daß der Adel mit dem steigenden oder bei dem erhaltenen
Interesse an dem polnischen Nativualwesen seinen Einfluß auf deu Bauernstand,
deu einzigen ihm natürlich verbundenen Theil der Bevölkerung, zu steigern oder
zu erhalten sich bemüht. Seiner Bemühung begegnet aber feindselig die in Kappe
und Maske gehüllte Bemühung der Regierung. Unter beiden Einflüssen könnte
der Bauernstand wahnsinnig oder wüthend werden, und es fragt sich, uach welcher
Seite hin sich sein Unwille wenden werde, wenn er Körper wird und Arm und
Faust bekommt.

Mein Wirth führte mich von der Tafel weg an das Fenster eines neben dem
Speisesaal befindlichen niedlichen Zimmers, in welchem ich zu meiner Verwunde¬
rung eine recht hübsche Bibliothek — in der That eine große Seltenheit bei deu
polnischen Landedelleutcn — bemerkte. Sehen Sie, sagte er, diese Feldfläche
jenseit der Teiche bis zum Walde und dort von der Barriere, in der sich die Pferde
befinden, bis zur Straße hinaus, welche sich nicht sehen läßt, ist das Feld meiner
Bauern in diesem Dorfe. Dieses Feld haben seit Jahrhunderten die Bauern be¬
sessen. Ans jeden von ihnen kommen ungefähr 18 Morgen, und es ist dies voll¬
kommen genügend zur Erhaltung einer Familie, welche nicht an Fasanbraten und
Pasteten gewöhnt ist. Auf dieser Seite erblicken Sie dreizehn hölzerne Gebäude in
gerader Linie. Bei jedem zwei andere hölzerne Gebäude und dabei eine kleine
Umzäunung. Das sind die Bauernhöfe, zu dem jedem achtzehn Morgen jenes Fel¬
des gehören. Fragen Sie die Bauern, wer diese Häuser erbaut hat, so wird
Ihnen jeder sagen, der Herr, oder dieser oder jener seiner Großväter. Und fra¬
gen Sie, woher ist das Holz dazu genommen? so werden sie Ihnen antworten:
aus dem herrschaftlichen Walde. Fragen Sie, von wem ihr Feld sei, so wird
Ihnen jeder sagen: van Herrn. Fragen Sie die Bauern ferner, ob ihre Familien
seit undeutlichen Zeiten im Besitze dieser Capitalien seien? so werden Ihnen diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279611"/>
          <p xml:id="ID_202"> Es kann unter uns Edelleuten nicht an Männern fehlen, welche diese ganze<lb/>
Geschichte mit Unwillen betrachten, doch sind gewiß deren viel mehrere, welche<lb/>
sich von dem Blendwerk für unhaltbare Ideen begeistern lassen. Indem man den<lb/>
höchsten Adelsgeschlechtern altpolnische Würden verleiht, kann man den Adel un¬<lb/>
möglich für das Interesse eines deutschen Staates gewinnen wollen. Ich habe die<lb/>
Mutter eines Menschen ermordet und will mir dadurch die Liebe-dieses Mannes<lb/>
erwerben, daß ich ihm die Halskette oder das Bildniß seiner Mutter zum Geschenk<lb/>
mache. Die Sache kann nicht ehrlich sein. Halskette oder Bild sind kein Gegen¬<lb/>
stand der Liebesbewerbung. Sie sind ein Prüfstein, ein Köder, der die Gesinnung<lb/>
herausfordert, die deu Mann in seiner Wahrheit erkennen läßt, oder gar Thaten<lb/>
heraufbeschwört, welche dem Manne den Sturz bereiten. Aber das Lockfutter for¬<lb/>
dert nicht blos Gesinnung und Thaten hervor, die vorhanden oder reif sind, son¬<lb/>
dern es erweckt auch solche, wenn sie noch nicht vorhanden sind; und darum gerade<lb/>
ist die Sache sehr schlimmer Art.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_203"> Es ist natürlich, daß der Adel mit dem steigenden oder bei dem erhaltenen<lb/>
Interesse an dem polnischen Nativualwesen seinen Einfluß auf deu Bauernstand,<lb/>
deu einzigen ihm natürlich verbundenen Theil der Bevölkerung, zu steigern oder<lb/>
zu erhalten sich bemüht. Seiner Bemühung begegnet aber feindselig die in Kappe<lb/>
und Maske gehüllte Bemühung der Regierung. Unter beiden Einflüssen könnte<lb/>
der Bauernstand wahnsinnig oder wüthend werden, und es fragt sich, uach welcher<lb/>
Seite hin sich sein Unwille wenden werde, wenn er Körper wird und Arm und<lb/>
Faust bekommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Mein Wirth führte mich von der Tafel weg an das Fenster eines neben dem<lb/>
Speisesaal befindlichen niedlichen Zimmers, in welchem ich zu meiner Verwunde¬<lb/>
rung eine recht hübsche Bibliothek &#x2014; in der That eine große Seltenheit bei deu<lb/>
polnischen Landedelleutcn &#x2014; bemerkte. Sehen Sie, sagte er, diese Feldfläche<lb/>
jenseit der Teiche bis zum Walde und dort von der Barriere, in der sich die Pferde<lb/>
befinden, bis zur Straße hinaus, welche sich nicht sehen läßt, ist das Feld meiner<lb/>
Bauern in diesem Dorfe. Dieses Feld haben seit Jahrhunderten die Bauern be¬<lb/>
sessen. Ans jeden von ihnen kommen ungefähr 18 Morgen, und es ist dies voll¬<lb/>
kommen genügend zur Erhaltung einer Familie, welche nicht an Fasanbraten und<lb/>
Pasteten gewöhnt ist. Auf dieser Seite erblicken Sie dreizehn hölzerne Gebäude in<lb/>
gerader Linie. Bei jedem zwei andere hölzerne Gebäude und dabei eine kleine<lb/>
Umzäunung. Das sind die Bauernhöfe, zu dem jedem achtzehn Morgen jenes Fel¬<lb/>
des gehören. Fragen Sie die Bauern, wer diese Häuser erbaut hat, so wird<lb/>
Ihnen jeder sagen, der Herr, oder dieser oder jener seiner Großväter. Und fra¬<lb/>
gen Sie, woher ist das Holz dazu genommen? so werden sie Ihnen antworten:<lb/>
aus dem herrschaftlichen Walde. Fragen Sie, von wem ihr Feld sei, so wird<lb/>
Ihnen jeder sagen: van Herrn. Fragen Sie die Bauern ferner, ob ihre Familien<lb/>
seit undeutlichen Zeiten im Besitze dieser Capitalien seien? so werden Ihnen diese</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Es kann unter uns Edelleuten nicht an Männern fehlen, welche diese ganze Geschichte mit Unwillen betrachten, doch sind gewiß deren viel mehrere, welche sich von dem Blendwerk für unhaltbare Ideen begeistern lassen. Indem man den höchsten Adelsgeschlechtern altpolnische Würden verleiht, kann man den Adel un¬ möglich für das Interesse eines deutschen Staates gewinnen wollen. Ich habe die Mutter eines Menschen ermordet und will mir dadurch die Liebe-dieses Mannes erwerben, daß ich ihm die Halskette oder das Bildniß seiner Mutter zum Geschenk mache. Die Sache kann nicht ehrlich sein. Halskette oder Bild sind kein Gegen¬ stand der Liebesbewerbung. Sie sind ein Prüfstein, ein Köder, der die Gesinnung herausfordert, die deu Mann in seiner Wahrheit erkennen läßt, oder gar Thaten heraufbeschwört, welche dem Manne den Sturz bereiten. Aber das Lockfutter for¬ dert nicht blos Gesinnung und Thaten hervor, die vorhanden oder reif sind, son¬ dern es erweckt auch solche, wenn sie noch nicht vorhanden sind; und darum gerade ist die Sache sehr schlimmer Art. Es ist natürlich, daß der Adel mit dem steigenden oder bei dem erhaltenen Interesse an dem polnischen Nativualwesen seinen Einfluß auf deu Bauernstand, deu einzigen ihm natürlich verbundenen Theil der Bevölkerung, zu steigern oder zu erhalten sich bemüht. Seiner Bemühung begegnet aber feindselig die in Kappe und Maske gehüllte Bemühung der Regierung. Unter beiden Einflüssen könnte der Bauernstand wahnsinnig oder wüthend werden, und es fragt sich, uach welcher Seite hin sich sein Unwille wenden werde, wenn er Körper wird und Arm und Faust bekommt. Mein Wirth führte mich von der Tafel weg an das Fenster eines neben dem Speisesaal befindlichen niedlichen Zimmers, in welchem ich zu meiner Verwunde¬ rung eine recht hübsche Bibliothek — in der That eine große Seltenheit bei deu polnischen Landedelleutcn — bemerkte. Sehen Sie, sagte er, diese Feldfläche jenseit der Teiche bis zum Walde und dort von der Barriere, in der sich die Pferde befinden, bis zur Straße hinaus, welche sich nicht sehen läßt, ist das Feld meiner Bauern in diesem Dorfe. Dieses Feld haben seit Jahrhunderten die Bauern be¬ sessen. Ans jeden von ihnen kommen ungefähr 18 Morgen, und es ist dies voll¬ kommen genügend zur Erhaltung einer Familie, welche nicht an Fasanbraten und Pasteten gewöhnt ist. Auf dieser Seite erblicken Sie dreizehn hölzerne Gebäude in gerader Linie. Bei jedem zwei andere hölzerne Gebäude und dabei eine kleine Umzäunung. Das sind die Bauernhöfe, zu dem jedem achtzehn Morgen jenes Fel¬ des gehören. Fragen Sie die Bauern, wer diese Häuser erbaut hat, so wird Ihnen jeder sagen, der Herr, oder dieser oder jener seiner Großväter. Und fra¬ gen Sie, woher ist das Holz dazu genommen? so werden sie Ihnen antworten: aus dem herrschaftlichen Walde. Fragen Sie, von wem ihr Feld sei, so wird Ihnen jeder sagen: van Herrn. Fragen Sie die Bauern ferner, ob ihre Familien seit undeutlichen Zeiten im Besitze dieser Capitalien seien? so werden Ihnen diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/63>, abgerufen am 15.01.2025.