Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

entstand im Königreich ein Zustand abhängiger, scheinbarer Freiheit des Bauern¬
standes, der im Grunde der Leibeigenschaft so ähnlich ist, daß es nicht Wunder
nehmen kann, wenn die Sitten der Leibeigenschaft sich bis auf den heutigen Tag
erhalten haben.

Im Großherzogthum Posen hat sich das alte Verhältniß des Adels und
Bauernstandes in seinem Wesen geändert. Der preußischen Regierung hat die
Freierklärnug der Person des Bauers nicht genügt, sie versetzte die bäuerischen Ge¬
meinden in erbcigcnthümlichen freien Besitz ihrer Ländereien und Wirthschaften und
brachte zur Entschädigung für die Edelleute große Opfer.

Zu Opfern war die östreichische Negierung niemals sehr bereit, und wie sehr
sie auch das Gute wünschte, so mochte sie doch dafür nicht gerne etwas einsetzen,
am wenigsten in einem so unsicher besessenen Lande als Galizien ist. Sie nahm
daher eine halbe Maßregel, sprach den Bauerngcmeinden das bisher von ihnen
leihweiö innegehabte landwirtschaftliche Capital als erbliches Eigenthum zu, ließ
aber die Verpflichtung ans ihnen haften, dem Edelherrn als dem Urbesitzer dafür
gerecht zu werden, nämlich ihm durch Dienste und Abgaben das Capital zu ver¬
zinsen. Somit blieb die Verbindung zwischen Bauernschaft und Adel, es bildete
sich ein schwankendes Verhältniß, welches verschieden gedeutet werde" konnte.

Die Sclavenfitte, die mich jenes Brautpaar sehen gelassen, gab mir Veran¬
lassung, meinen Wirth über das Verhältniß des galizischen Bauers zum Edelmann
und umgekehrt zu befragen, und er sprach mit der den Polen eigenthümlichen lei¬
denschaftlichen Eloquenz ungefähr Folgendes.

Die östreichische Regierung ist die gefährlichste, welche wir nur uach Galizien
hätten bekommen können. Die russische würde den Bauer und Edelmann knechten,
aber Bauer und Edelmann wüßten doch, daß sie zu einander gehören; die preu¬
ßische würde Adel und Bauernstand auseinander gerissen haben, aber beide wür¬
den doch dann wissen, wie sie stehen; die östreichische dagegen hat beide Stände
weder getrennt noch vereinigt gelassen, und in ein Verhältniß gebracht, daß sie
nicht wissen, wie ihr Standtpuukt ist, eine Partei die andere mit mißtrauischem
Auge anblickt, und jede fähig ist, das Werkzeug politischer Intriguen zu werden,
die gräßliche Erfolge haben können. Die Negierung sagt zum Adel: der Bauer
gehört dein, und zum Bauer: du gehörst mein; zum Adel: deine Rechte sind ver¬
brieft und sie dürfen nicht geschmälert werden; zum Bauer: der Adel hat keine
Rechte über dich; zum Adel: du bist der eigentliche Besitzer des Landes und darum
schätze ich dich außerordeutlich hoch; und zum Bauer: ich wünsche, daß es in dem
Lande auch noch andere Grundbesitzer gebe als den Adel, und dich habe ich aus-
ersehen meinen Wunsch zu erfüllen. Auf beiden Seiten thut sie Unrecht; sie er¬
weckt wirre und widersprechende Ideen und führt uns Eingeborenen des Landes


Grenzboten. lo. 184". 8

entstand im Königreich ein Zustand abhängiger, scheinbarer Freiheit des Bauern¬
standes, der im Grunde der Leibeigenschaft so ähnlich ist, daß es nicht Wunder
nehmen kann, wenn die Sitten der Leibeigenschaft sich bis auf den heutigen Tag
erhalten haben.

Im Großherzogthum Posen hat sich das alte Verhältniß des Adels und
Bauernstandes in seinem Wesen geändert. Der preußischen Regierung hat die
Freierklärnug der Person des Bauers nicht genügt, sie versetzte die bäuerischen Ge¬
meinden in erbcigcnthümlichen freien Besitz ihrer Ländereien und Wirthschaften und
brachte zur Entschädigung für die Edelleute große Opfer.

Zu Opfern war die östreichische Negierung niemals sehr bereit, und wie sehr
sie auch das Gute wünschte, so mochte sie doch dafür nicht gerne etwas einsetzen,
am wenigsten in einem so unsicher besessenen Lande als Galizien ist. Sie nahm
daher eine halbe Maßregel, sprach den Bauerngcmeinden das bisher von ihnen
leihweiö innegehabte landwirtschaftliche Capital als erbliches Eigenthum zu, ließ
aber die Verpflichtung ans ihnen haften, dem Edelherrn als dem Urbesitzer dafür
gerecht zu werden, nämlich ihm durch Dienste und Abgaben das Capital zu ver¬
zinsen. Somit blieb die Verbindung zwischen Bauernschaft und Adel, es bildete
sich ein schwankendes Verhältniß, welches verschieden gedeutet werde» konnte.

Die Sclavenfitte, die mich jenes Brautpaar sehen gelassen, gab mir Veran¬
lassung, meinen Wirth über das Verhältniß des galizischen Bauers zum Edelmann
und umgekehrt zu befragen, und er sprach mit der den Polen eigenthümlichen lei¬
denschaftlichen Eloquenz ungefähr Folgendes.

Die östreichische Regierung ist die gefährlichste, welche wir nur uach Galizien
hätten bekommen können. Die russische würde den Bauer und Edelmann knechten,
aber Bauer und Edelmann wüßten doch, daß sie zu einander gehören; die preu¬
ßische würde Adel und Bauernstand auseinander gerissen haben, aber beide wür¬
den doch dann wissen, wie sie stehen; die östreichische dagegen hat beide Stände
weder getrennt noch vereinigt gelassen, und in ein Verhältniß gebracht, daß sie
nicht wissen, wie ihr Standtpuukt ist, eine Partei die andere mit mißtrauischem
Auge anblickt, und jede fähig ist, das Werkzeug politischer Intriguen zu werden,
die gräßliche Erfolge haben können. Die Negierung sagt zum Adel: der Bauer
gehört dein, und zum Bauer: du gehörst mein; zum Adel: deine Rechte sind ver¬
brieft und sie dürfen nicht geschmälert werden; zum Bauer: der Adel hat keine
Rechte über dich; zum Adel: du bist der eigentliche Besitzer des Landes und darum
schätze ich dich außerordeutlich hoch; und zum Bauer: ich wünsche, daß es in dem
Lande auch noch andere Grundbesitzer gebe als den Adel, und dich habe ich aus-
ersehen meinen Wunsch zu erfüllen. Auf beiden Seiten thut sie Unrecht; sie er¬
weckt wirre und widersprechende Ideen und führt uns Eingeborenen des Landes


Grenzboten. lo. 184». 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279609"/>
          <p xml:id="ID_192" prev="#ID_191"> entstand im Königreich ein Zustand abhängiger, scheinbarer Freiheit des Bauern¬<lb/>
standes, der im Grunde der Leibeigenschaft so ähnlich ist, daß es nicht Wunder<lb/>
nehmen kann, wenn die Sitten der Leibeigenschaft sich bis auf den heutigen Tag<lb/>
erhalten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193"> Im Großherzogthum Posen hat sich das alte Verhältniß des Adels und<lb/>
Bauernstandes in seinem Wesen geändert. Der preußischen Regierung hat die<lb/>
Freierklärnug der Person des Bauers nicht genügt, sie versetzte die bäuerischen Ge¬<lb/>
meinden in erbcigcnthümlichen freien Besitz ihrer Ländereien und Wirthschaften und<lb/>
brachte zur Entschädigung für die Edelleute große Opfer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194"> Zu Opfern war die östreichische Negierung niemals sehr bereit, und wie sehr<lb/>
sie auch das Gute wünschte, so mochte sie doch dafür nicht gerne etwas einsetzen,<lb/>
am wenigsten in einem so unsicher besessenen Lande als Galizien ist. Sie nahm<lb/>
daher eine halbe Maßregel, sprach den Bauerngcmeinden das bisher von ihnen<lb/>
leihweiö innegehabte landwirtschaftliche Capital als erbliches Eigenthum zu, ließ<lb/>
aber die Verpflichtung ans ihnen haften, dem Edelherrn als dem Urbesitzer dafür<lb/>
gerecht zu werden, nämlich ihm durch Dienste und Abgaben das Capital zu ver¬<lb/>
zinsen. Somit blieb die Verbindung zwischen Bauernschaft und Adel, es bildete<lb/>
sich ein schwankendes Verhältniß, welches verschieden gedeutet werde» konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195"> Die Sclavenfitte, die mich jenes Brautpaar sehen gelassen, gab mir Veran¬<lb/>
lassung, meinen Wirth über das Verhältniß des galizischen Bauers zum Edelmann<lb/>
und umgekehrt zu befragen, und er sprach mit der den Polen eigenthümlichen lei¬<lb/>
denschaftlichen Eloquenz ungefähr Folgendes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196" next="#ID_197"> Die östreichische Regierung ist die gefährlichste, welche wir nur uach Galizien<lb/>
hätten bekommen können. Die russische würde den Bauer und Edelmann knechten,<lb/>
aber Bauer und Edelmann wüßten doch, daß sie zu einander gehören; die preu¬<lb/>
ßische würde Adel und Bauernstand auseinander gerissen haben, aber beide wür¬<lb/>
den doch dann wissen, wie sie stehen; die östreichische dagegen hat beide Stände<lb/>
weder getrennt noch vereinigt gelassen, und in ein Verhältniß gebracht, daß sie<lb/>
nicht wissen, wie ihr Standtpuukt ist, eine Partei die andere mit mißtrauischem<lb/>
Auge anblickt, und jede fähig ist, das Werkzeug politischer Intriguen zu werden,<lb/>
die gräßliche Erfolge haben können. Die Negierung sagt zum Adel: der Bauer<lb/>
gehört dein, und zum Bauer: du gehörst mein; zum Adel: deine Rechte sind ver¬<lb/>
brieft und sie dürfen nicht geschmälert werden; zum Bauer: der Adel hat keine<lb/>
Rechte über dich; zum Adel: du bist der eigentliche Besitzer des Landes und darum<lb/>
schätze ich dich außerordeutlich hoch; und zum Bauer: ich wünsche, daß es in dem<lb/>
Lande auch noch andere Grundbesitzer gebe als den Adel, und dich habe ich aus-<lb/>
ersehen meinen Wunsch zu erfüllen. Auf beiden Seiten thut sie Unrecht; sie er¬<lb/>
weckt wirre und widersprechende Ideen und führt uns Eingeborenen des Landes</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. lo. 184». 8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] entstand im Königreich ein Zustand abhängiger, scheinbarer Freiheit des Bauern¬ standes, der im Grunde der Leibeigenschaft so ähnlich ist, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn die Sitten der Leibeigenschaft sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Im Großherzogthum Posen hat sich das alte Verhältniß des Adels und Bauernstandes in seinem Wesen geändert. Der preußischen Regierung hat die Freierklärnug der Person des Bauers nicht genügt, sie versetzte die bäuerischen Ge¬ meinden in erbcigcnthümlichen freien Besitz ihrer Ländereien und Wirthschaften und brachte zur Entschädigung für die Edelleute große Opfer. Zu Opfern war die östreichische Negierung niemals sehr bereit, und wie sehr sie auch das Gute wünschte, so mochte sie doch dafür nicht gerne etwas einsetzen, am wenigsten in einem so unsicher besessenen Lande als Galizien ist. Sie nahm daher eine halbe Maßregel, sprach den Bauerngcmeinden das bisher von ihnen leihweiö innegehabte landwirtschaftliche Capital als erbliches Eigenthum zu, ließ aber die Verpflichtung ans ihnen haften, dem Edelherrn als dem Urbesitzer dafür gerecht zu werden, nämlich ihm durch Dienste und Abgaben das Capital zu ver¬ zinsen. Somit blieb die Verbindung zwischen Bauernschaft und Adel, es bildete sich ein schwankendes Verhältniß, welches verschieden gedeutet werde» konnte. Die Sclavenfitte, die mich jenes Brautpaar sehen gelassen, gab mir Veran¬ lassung, meinen Wirth über das Verhältniß des galizischen Bauers zum Edelmann und umgekehrt zu befragen, und er sprach mit der den Polen eigenthümlichen lei¬ denschaftlichen Eloquenz ungefähr Folgendes. Die östreichische Regierung ist die gefährlichste, welche wir nur uach Galizien hätten bekommen können. Die russische würde den Bauer und Edelmann knechten, aber Bauer und Edelmann wüßten doch, daß sie zu einander gehören; die preu¬ ßische würde Adel und Bauernstand auseinander gerissen haben, aber beide wür¬ den doch dann wissen, wie sie stehen; die östreichische dagegen hat beide Stände weder getrennt noch vereinigt gelassen, und in ein Verhältniß gebracht, daß sie nicht wissen, wie ihr Standtpuukt ist, eine Partei die andere mit mißtrauischem Auge anblickt, und jede fähig ist, das Werkzeug politischer Intriguen zu werden, die gräßliche Erfolge haben können. Die Negierung sagt zum Adel: der Bauer gehört dein, und zum Bauer: du gehörst mein; zum Adel: deine Rechte sind ver¬ brieft und sie dürfen nicht geschmälert werden; zum Bauer: der Adel hat keine Rechte über dich; zum Adel: du bist der eigentliche Besitzer des Landes und darum schätze ich dich außerordeutlich hoch; und zum Bauer: ich wünsche, daß es in dem Lande auch noch andere Grundbesitzer gebe als den Adel, und dich habe ich aus- ersehen meinen Wunsch zu erfüllen. Auf beiden Seiten thut sie Unrecht; sie er¬ weckt wirre und widersprechende Ideen und führt uns Eingeborenen des Landes Grenzboten. lo. 184». 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/61>, abgerufen am 15.01.2025.