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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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kostete dies dem Petenten acht Tage Geduld und ein kleines Geschenk (eine
Tischlampe). Als L. diese überreichte, erklärte der alte Russe unter wahrhaft ju¬
gendlichem Gelächter: "Ihre Angelegenheit befindet sich ja schon im Paßamt, be¬
geben Sie sich nur dahin."

Ich habe hier noch zu bemerken, daß diesmal L., um der Kanzlei des Fürsten
Paskiewitsch auszuweichen, die Ausfertigung eines Passes nur auf sechs Monate
hatte beantragen lassen.

In dem Paßamt versäumte es L. nicht einen Juden zu Hilfe zu nehmen,
der sich eine Stellung als Vermittler zwischen dem Publikum und der Behörde
gebildet hatte. Durch ihn gelang es L., mit dem Beamten der den Paß auszu¬
fertigen hatte, persönliche Freundschaft in einem Weinkeller ans der Krakauer Vor¬
stadt (eine der vornehmsten Straßen) anzuknüpfen, und diese bewirkte, daß der
Paß nach einigen Tagen fertig geschrieben war und nnr noch der Unterschriften
und des Stempels bedürfte. Jetzt wurde L. angewiesen, sich acht Tage lang zu
gedulden "da uach dem Gesetz noch eine Nachfrage gehalten werden müsse." Wo
diese Nachfrage zu halten sei, sagte man ihm nicht, doch erzählte man ihm an¬
derswo von einem sogenannten schwarzen Buche, welches sich im geheimen Bureau
des Generalpolizeimeisters befinde. Nach acht Tagen erhielt L. im Paßamt die Er¬
öffnung, daß die Sache gut stehe und er nächster Tage die Empfangnahme des
Passes in seiner Wohnung zu gewärtigen habe. Am zweiten Tage erschien denn
auch wirklich ein Amtsbote mit einem großen versiegelten Papier bei L. Nachdem
dieser sich für seine Bemühung einen polnischen Gulden ausgebeten und das Zim¬
mer verlassen, erbrach L. die Depesche, in welcher folgendes geschrieben stand: die
Behörde könne sich dem Glauben nicht hingeben, daß dem Petenten ein Paß zu
einer Badereise um jetzige Jahreszeit (October) dienen könne, daher fühle sie sich
veranlaßt seine Petition zurückzuweisen.

Dies also war das Resultat einer fast zwei Jahre langen Bemühung und
eines Gcldopfers von mehr als 900 polnischen Gulden. Wir überlassen den Leser
seinem eigenen Urtheil. Uns genügt es, mit dieser Erzählung das russische Amts¬
wesen charakterisirt und eine von den Maßregeln des Absperrungsgrundsatzes der
russischen Negierung geschildert zu haben.

Ich kann hier nicht unterlassen einer ähnlichen Begebenheit mit wenigen Wor¬
ten Erwähnung zu thun. In Kalisch lernte ich die Besitzerin eines Hotels, eben¬
falls eine Person von deutschem Geblüt kennen. Sie hatte, um wegen wirklicher
Krankheit ein deutsches Bad zu besuchen, im November des Jahres 1839 um einen
Paß ans vier Monate zu petitioniren begonnen. Nach unsäglicher Mühe erhielt
sie den Paß wirklich; aber wann? Am dritten December des anderen Jahres und
zwar mit dem Bemerken, daß die Giltigkeit des Passes erlösche, sobald die In-


kostete dies dem Petenten acht Tage Geduld und ein kleines Geschenk (eine
Tischlampe). Als L. diese überreichte, erklärte der alte Russe unter wahrhaft ju¬
gendlichem Gelächter: „Ihre Angelegenheit befindet sich ja schon im Paßamt, be¬
geben Sie sich nur dahin."

Ich habe hier noch zu bemerken, daß diesmal L., um der Kanzlei des Fürsten
Paskiewitsch auszuweichen, die Ausfertigung eines Passes nur auf sechs Monate
hatte beantragen lassen.

In dem Paßamt versäumte es L. nicht einen Juden zu Hilfe zu nehmen,
der sich eine Stellung als Vermittler zwischen dem Publikum und der Behörde
gebildet hatte. Durch ihn gelang es L., mit dem Beamten der den Paß auszu¬
fertigen hatte, persönliche Freundschaft in einem Weinkeller ans der Krakauer Vor¬
stadt (eine der vornehmsten Straßen) anzuknüpfen, und diese bewirkte, daß der
Paß nach einigen Tagen fertig geschrieben war und nnr noch der Unterschriften
und des Stempels bedürfte. Jetzt wurde L. angewiesen, sich acht Tage lang zu
gedulden „da uach dem Gesetz noch eine Nachfrage gehalten werden müsse." Wo
diese Nachfrage zu halten sei, sagte man ihm nicht, doch erzählte man ihm an¬
derswo von einem sogenannten schwarzen Buche, welches sich im geheimen Bureau
des Generalpolizeimeisters befinde. Nach acht Tagen erhielt L. im Paßamt die Er¬
öffnung, daß die Sache gut stehe und er nächster Tage die Empfangnahme des
Passes in seiner Wohnung zu gewärtigen habe. Am zweiten Tage erschien denn
auch wirklich ein Amtsbote mit einem großen versiegelten Papier bei L. Nachdem
dieser sich für seine Bemühung einen polnischen Gulden ausgebeten und das Zim¬
mer verlassen, erbrach L. die Depesche, in welcher folgendes geschrieben stand: die
Behörde könne sich dem Glauben nicht hingeben, daß dem Petenten ein Paß zu
einer Badereise um jetzige Jahreszeit (October) dienen könne, daher fühle sie sich
veranlaßt seine Petition zurückzuweisen.

Dies also war das Resultat einer fast zwei Jahre langen Bemühung und
eines Gcldopfers von mehr als 900 polnischen Gulden. Wir überlassen den Leser
seinem eigenen Urtheil. Uns genügt es, mit dieser Erzählung das russische Amts¬
wesen charakterisirt und eine von den Maßregeln des Absperrungsgrundsatzes der
russischen Negierung geschildert zu haben.

Ich kann hier nicht unterlassen einer ähnlichen Begebenheit mit wenigen Wor¬
ten Erwähnung zu thun. In Kalisch lernte ich die Besitzerin eines Hotels, eben¬
falls eine Person von deutschem Geblüt kennen. Sie hatte, um wegen wirklicher
Krankheit ein deutsches Bad zu besuchen, im November des Jahres 1839 um einen
Paß ans vier Monate zu petitioniren begonnen. Nach unsäglicher Mühe erhielt
sie den Paß wirklich; aber wann? Am dritten December des anderen Jahres und
zwar mit dem Bemerken, daß die Giltigkeit des Passes erlösche, sobald die In-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/54>, abgerufen am 15.01.2025.