Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.wer ihn verleumdet, läßt sich auf Duelle ein, haut einen, der ihn bestechen will, auf Mehr der Euriosität wegen erwähne ich noch die Emancipation der Faulheit. Ein Bei jedem neue" Roman zeigt Eugen Sue immer mehr, daß ihm eigentlich alles wer ihn verleumdet, läßt sich auf Duelle ein, haut einen, der ihn bestechen will, auf Mehr der Euriosität wegen erwähne ich noch die Emancipation der Faulheit. Ein Bei jedem neue» Roman zeigt Eugen Sue immer mehr, daß ihm eigentlich alles <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280078"/> <p xml:id="ID_1830" prev="#ID_1829"> wer ihn verleumdet, läßt sich auf Duelle ein, haut einen, der ihn bestechen will, auf<lb/> öffentlichem Markt ohne Barmherzigkeit durch, wirft seinen Präsidenten zum Fenster<lb/> heraus, erschreckt seine schwangere Frau durch einen plötzlichen Ausbruch seiner Hitze<lb/> so, daß sie stirbt u. s. w> Er gibt darum sein Amt aus, und wird Corsar, wo er<lb/> die Kraft seines Zornes zum Nutzen seines Vaterlandes sehr wohl anwenden kann,<lb/> lind zum Ueberfluß ergibt sich, daß er trotz seines wilden Wesens an l'um? ein braver<lb/> Mann ist. Dagegen läßt sich nichts einwenden. Schlimmer ist eS aber, wenn „die<lb/> Wollust" als ein Hebel der guten Sache benutzt wird. Eine Fran, deren Schönheit und<lb/> Eoquetteric so unwiderstehlich ist, daß ihr Alles zu Füßen liegt, benutzt diese Gabe,<lb/> um den Guten zu belohnen und den Bösen zu bestraft». Ein alter östreichischer, streng<lb/> militärisch erzogener Erzherzog, wird durch diese Zauberin in einer Viertelstunde so<lb/> umgewandelt, daß er für die italienischen Insurgenten Amnestie ertheilt, die Einwilli¬<lb/> gung zu der Heirath seines Sohnes mit einer Bürgerlichen gibt u. s. w.; ein grau¬<lb/> samer Wucherer zittert unter den Strahlen ihrer Blicke so fieberhaft, daß er so viel<lb/> Quittungen ausstellt, als sie nur fordert, und daß ihn doch der Schlag rührt. Abge¬<lb/> sehen davon, daß es höchst unkünstlerisch ist, eine Magie anzuwenden, die sich nicht<lb/> weiter schildern, entwickeln, begreiflich machen läßt, sondern von der man sich begnü¬<lb/> gen muß, zu sagen, sie ist da, so kommt jene Maxime, das Böse zu benutzen, doch<lb/> wohl auf den jesuitischen Grundsatz heraus: der Zweck heiligt die Mittel. Wie sehr<lb/> diese in nackter Rohheit, in abstracter Einseitigkeit und darum sehr populär ausge¬<lb/> malten Grundsätze den sittlichen Geist des Volkes corrumpiren, ergibt sich leicht, wenn<lb/> man sich die Klaffen des Publikums ansieht, denen Eugen Sue ein Evangelium ist,<lb/> «in so mehr, da er unermüdlich seine Bilder und Vorstellungen wiederholt, denn das<lb/> nämliche Experiment hat in seinen Mysterien von Paris der Großherzog Rudolf gegen<lb/> den Wucherer Ferrand angewendet, jener Halbgott, der, um nach seinem subjectiven<lb/> Ermessen die Gerechtigkeit in der Welt wieder herzustellen, das Laster und das Ver¬<lb/> brechen in Bewegung setzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1831"> Mehr der Euriosität wegen erwähne ich noch die Emancipation der Faulheit. Ein<lb/> junger Mann und eine junge Dame haben es als das höchste Lebensglück erkannt, sich<lb/> in einer Hangematte zu wiege», sich vou kühlen Lüften umspielen zu lassen, nicht zu<lb/> leide», Nichts zu thun und Nichts zu denken. Da aber dieser paradiesische Zustand<lb/> ein gewisses Kapital erfordert, so halten sie vier Jahre lang in der angestrengteste»<lb/> Arbeit und Entbehrung aus, bis sie sich die nöthige Summe erspart haben. Also anch<lb/> die Faulheit kann als Motiv der Thätigkeit benutzt werden. Der Einfall ist insofern<lb/> charakteristisch, als er der gewöhnlichen Betriebsamkeit französischer Epiciers entspricht,<lb/> die eine Reihe von Jahren entbehren und arbeiten, um in einem gewissen Alter sich zur<lb/> Ruhe setzen und die Süßigkeit des Nichtsthuns genießen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1832"> Bei jedem neue» Roman zeigt Eugen Sue immer mehr, daß ihm eigentlich alles<lb/> poetische Talent abgeht. Im Anfang imponirte theils die Farbe in seinen Schilderun¬<lb/> gen, theils das Ungewöhnliche seiner Combinationen. Aber sein Farbenkasten ist jetzt<lb/> verbraucht, und die Unmöglichkeit hat er so sehr überboten, daß neue Erfindungen kei¬<lb/> nen Reiz mehr haben; unsre Geschmacksnerven sind dnrch den ewigen Pfeffer abge¬<lb/> stumpft. Er müßte uns, um mich seines eigne» Bildes zu bedienen. Nadelspitzen als<lb/> Getränk vorsetzen, wenn es unsern Gaumen noch kitzeln sollte. In dem gewöhnlichen<lb/> Branntwein, den er uns vorsetzt, schmecken wir zu sehr die grobe, erdige Materie<lb/> heraus.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0530]
wer ihn verleumdet, läßt sich auf Duelle ein, haut einen, der ihn bestechen will, auf
öffentlichem Markt ohne Barmherzigkeit durch, wirft seinen Präsidenten zum Fenster
heraus, erschreckt seine schwangere Frau durch einen plötzlichen Ausbruch seiner Hitze
so, daß sie stirbt u. s. w> Er gibt darum sein Amt aus, und wird Corsar, wo er
die Kraft seines Zornes zum Nutzen seines Vaterlandes sehr wohl anwenden kann,
lind zum Ueberfluß ergibt sich, daß er trotz seines wilden Wesens an l'um? ein braver
Mann ist. Dagegen läßt sich nichts einwenden. Schlimmer ist eS aber, wenn „die
Wollust" als ein Hebel der guten Sache benutzt wird. Eine Fran, deren Schönheit und
Eoquetteric so unwiderstehlich ist, daß ihr Alles zu Füßen liegt, benutzt diese Gabe,
um den Guten zu belohnen und den Bösen zu bestraft». Ein alter östreichischer, streng
militärisch erzogener Erzherzog, wird durch diese Zauberin in einer Viertelstunde so
umgewandelt, daß er für die italienischen Insurgenten Amnestie ertheilt, die Einwilli¬
gung zu der Heirath seines Sohnes mit einer Bürgerlichen gibt u. s. w.; ein grau¬
samer Wucherer zittert unter den Strahlen ihrer Blicke so fieberhaft, daß er so viel
Quittungen ausstellt, als sie nur fordert, und daß ihn doch der Schlag rührt. Abge¬
sehen davon, daß es höchst unkünstlerisch ist, eine Magie anzuwenden, die sich nicht
weiter schildern, entwickeln, begreiflich machen läßt, sondern von der man sich begnü¬
gen muß, zu sagen, sie ist da, so kommt jene Maxime, das Böse zu benutzen, doch
wohl auf den jesuitischen Grundsatz heraus: der Zweck heiligt die Mittel. Wie sehr
diese in nackter Rohheit, in abstracter Einseitigkeit und darum sehr populär ausge¬
malten Grundsätze den sittlichen Geist des Volkes corrumpiren, ergibt sich leicht, wenn
man sich die Klaffen des Publikums ansieht, denen Eugen Sue ein Evangelium ist,
«in so mehr, da er unermüdlich seine Bilder und Vorstellungen wiederholt, denn das
nämliche Experiment hat in seinen Mysterien von Paris der Großherzog Rudolf gegen
den Wucherer Ferrand angewendet, jener Halbgott, der, um nach seinem subjectiven
Ermessen die Gerechtigkeit in der Welt wieder herzustellen, das Laster und das Ver¬
brechen in Bewegung setzt.
Mehr der Euriosität wegen erwähne ich noch die Emancipation der Faulheit. Ein
junger Mann und eine junge Dame haben es als das höchste Lebensglück erkannt, sich
in einer Hangematte zu wiege», sich vou kühlen Lüften umspielen zu lassen, nicht zu
leide», Nichts zu thun und Nichts zu denken. Da aber dieser paradiesische Zustand
ein gewisses Kapital erfordert, so halten sie vier Jahre lang in der angestrengteste»
Arbeit und Entbehrung aus, bis sie sich die nöthige Summe erspart haben. Also anch
die Faulheit kann als Motiv der Thätigkeit benutzt werden. Der Einfall ist insofern
charakteristisch, als er der gewöhnlichen Betriebsamkeit französischer Epiciers entspricht,
die eine Reihe von Jahren entbehren und arbeiten, um in einem gewissen Alter sich zur
Ruhe setzen und die Süßigkeit des Nichtsthuns genießen zu können.
Bei jedem neue» Roman zeigt Eugen Sue immer mehr, daß ihm eigentlich alles
poetische Talent abgeht. Im Anfang imponirte theils die Farbe in seinen Schilderun¬
gen, theils das Ungewöhnliche seiner Combinationen. Aber sein Farbenkasten ist jetzt
verbraucht, und die Unmöglichkeit hat er so sehr überboten, daß neue Erfindungen kei¬
nen Reiz mehr haben; unsre Geschmacksnerven sind dnrch den ewigen Pfeffer abge¬
stumpft. Er müßte uns, um mich seines eigne» Bildes zu bedienen. Nadelspitzen als
Getränk vorsetzen, wenn es unsern Gaumen noch kitzeln sollte. In dem gewöhnlichen
Branntwein, den er uns vorsetzt, schmecken wir zu sehr die grobe, erdige Materie
heraus.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |