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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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das sei erwähnt, daß ihn der Adjunct des Polizeizirkelcommissariats dreizehn Tage
lang allabendlich mit dem Versprechen, ihm das Qualifikationsattest dahin zu brin¬
gen, in die an der Ecke der Heiligen Geist- und Neuen Weltstraße befindliche Schwei¬
zerbäckerei bestellte und da auf seine Rechnung zehrte. Im Chocoladctrinken, ver¬
sichert L., sei dieser Mensch unüberwindlich gewesen und sein Appetit habe ihm
ungeheures Geld gekostet. Ebenso eine Menge von knabenhaften uniformirten Schrei-
bern, die sich zur Verfassung des Scheines herbei gedrängt.

Endlich war es L. gelungen bis in das Paßbnrean des Warschauer Munici¬
palgerichts, welches hier dasselbe zu thun hatte wie das Gubernialgericht in Ra-
ton, vorzudringen. Hier bemächtigten sich nach einander vier Beamte seiner Ange"
legenden, und nachdem jeder ihn möglichst lange benutzt und in sämmtliche Restau¬
rationen und Kaffeehäuser Warschau's geschleppt, ja ihm sogar ein ansehnliches
!--ilnowo") abgenommen hatten, ergab es sich, daß keiner derselben mit seiner An¬
gelegenheit etwas zu schaffen hatte. Der letzte derselben, Namens Blum, war nun
wenigstens so redlich ihn an den rechten Mann zu bringen. Dieser war ein alter
grauköpfiger Russe, welcher zwar der polnischen und deutschen Sprache mächtig
war, aber aus National- oder russischem siegesstolz im Amte unter keiner Bedin¬
gung anders sprach als russisch. L. begrüßte ihn gleich mit geldgefüllter Hand,
und dies bewog den alten Mann, unverweilt die Petition und beliegenden Zeug¬
nisse durchzulesen. Dennoch erklärte er dem Petenten: "ja die Zeugnisse seien
wohl ganz gut, aber nicht ausreichend. Der Petent befinde sich nämlich noch in
den Jahren der Militärpflicht und so müsse er nothwendig eine Kaution nieder¬
legen und eine Bescheinigung darüber, welche die Schatzcommisston auszustellen
habe, jenen Papieren beifügen." L. erwiederte, daß er vom Militärdienst frei sei
und den Freigebnngsschein beibringen könne. Lächelnd entgegnete ihn hierauf der
Russe: er irre sich; sein Schein spreche ihn nicht definitiv vom Militärdienst los;
denn es heiße aus demselben "vorläufig frei." Das wisse er, weil die Scheine zu
Befreiung vom Heerdienst nie in einer andern Form ausgestellt werden. Nur das
gewisse Alter befreie definitiv. Da er dies aber noch nicht erreicht habe, so müsse
er nothwendig eine Kaution von 3000 Gulden stellen und die Bescheinigung der
Schatzcommisston beibringen.

L. deponirte wirklich verlangter Maßen 3000 Gulden in der polnischen Staats¬
bank, begab sich mit der Quittung in die Schatzcommission und erwirkte sich von
dieser mit einem nicht ganz unbedeutenden Zeit- und Geldopfer die nöthige Be¬
scheinigung. Jetzt war der Beamte im Municipalgericht bereit, den nöthigen An¬
trag, kraft dessen das Paßamt erst den Paß ertheilen konnte, auszufertigen. Nur



*) r.->i>-"o heißt im Slavischen abfangen, erhaschen. Mit I^ü^ope bezeichnet man daher
Rußland und Polen das Bestechungsgeld, welches der Beamte zu erpressen gewöhnt ist.
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das sei erwähnt, daß ihn der Adjunct des Polizeizirkelcommissariats dreizehn Tage
lang allabendlich mit dem Versprechen, ihm das Qualifikationsattest dahin zu brin¬
gen, in die an der Ecke der Heiligen Geist- und Neuen Weltstraße befindliche Schwei¬
zerbäckerei bestellte und da auf seine Rechnung zehrte. Im Chocoladctrinken, ver¬
sichert L., sei dieser Mensch unüberwindlich gewesen und sein Appetit habe ihm
ungeheures Geld gekostet. Ebenso eine Menge von knabenhaften uniformirten Schrei-
bern, die sich zur Verfassung des Scheines herbei gedrängt.

Endlich war es L. gelungen bis in das Paßbnrean des Warschauer Munici¬
palgerichts, welches hier dasselbe zu thun hatte wie das Gubernialgericht in Ra-
ton, vorzudringen. Hier bemächtigten sich nach einander vier Beamte seiner Ange»
legenden, und nachdem jeder ihn möglichst lange benutzt und in sämmtliche Restau¬
rationen und Kaffeehäuser Warschau's geschleppt, ja ihm sogar ein ansehnliches
!--ilnowo") abgenommen hatten, ergab es sich, daß keiner derselben mit seiner An¬
gelegenheit etwas zu schaffen hatte. Der letzte derselben, Namens Blum, war nun
wenigstens so redlich ihn an den rechten Mann zu bringen. Dieser war ein alter
grauköpfiger Russe, welcher zwar der polnischen und deutschen Sprache mächtig
war, aber aus National- oder russischem siegesstolz im Amte unter keiner Bedin¬
gung anders sprach als russisch. L. begrüßte ihn gleich mit geldgefüllter Hand,
und dies bewog den alten Mann, unverweilt die Petition und beliegenden Zeug¬
nisse durchzulesen. Dennoch erklärte er dem Petenten: „ja die Zeugnisse seien
wohl ganz gut, aber nicht ausreichend. Der Petent befinde sich nämlich noch in
den Jahren der Militärpflicht und so müsse er nothwendig eine Kaution nieder¬
legen und eine Bescheinigung darüber, welche die Schatzcommisston auszustellen
habe, jenen Papieren beifügen." L. erwiederte, daß er vom Militärdienst frei sei
und den Freigebnngsschein beibringen könne. Lächelnd entgegnete ihn hierauf der
Russe: er irre sich; sein Schein spreche ihn nicht definitiv vom Militärdienst los;
denn es heiße aus demselben „vorläufig frei." Das wisse er, weil die Scheine zu
Befreiung vom Heerdienst nie in einer andern Form ausgestellt werden. Nur das
gewisse Alter befreie definitiv. Da er dies aber noch nicht erreicht habe, so müsse
er nothwendig eine Kaution von 3000 Gulden stellen und die Bescheinigung der
Schatzcommisston beibringen.

L. deponirte wirklich verlangter Maßen 3000 Gulden in der polnischen Staats¬
bank, begab sich mit der Quittung in die Schatzcommission und erwirkte sich von
dieser mit einem nicht ganz unbedeutenden Zeit- und Geldopfer die nöthige Be¬
scheinigung. Jetzt war der Beamte im Municipalgericht bereit, den nöthigen An¬
trag, kraft dessen das Paßamt erst den Paß ertheilen konnte, auszufertigen. Nur



*) r.->i>-»o heißt im Slavischen abfangen, erhaschen. Mit I^ü^ope bezeichnet man daher
Rußland und Polen das Bestechungsgeld, welches der Beamte zu erpressen gewöhnt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/53>, abgerufen am 15.01.2025.