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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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sich damals eine garstige Geschichte von einem wegen ttntcrschleif angeklagten, ans
Grünne's nothgedrungcue Verwendung aber entlasteten Koch. Wir glaube", um
mit Heinrich Heine zu reden, Graf Grünnc gäbe viel darum, wenn die Geschichte
erlogen wäre. In seiner Vorzimmcrbedieustuug avancirte Graf Grünne von
Grad zu Grad zum Obersten der Husaren, "ut trug Uniform statt Livrve, folgte
dem Erzherzog in gleicher Eigenschaft nach Ungarn, war dort Zeuge aller Gro߬
thaten seines Herrn, welche diesen in volle Ungnade bei Hofe, ja in die Verban-
uikng brachten. Gras Grünne aber trat über in den Dienst des jungen Kaisers,
woraus sich schließen läßt, daß man ihn wirklich als blanke Bedientenuatur be¬
trachte, denn außerdem hätte er dem Erzherzog nothwendig in die Verbannung
nachgesendet werden müssen. Ob es irgend klug gewesen, diesen Mann dem jungen
Kaiser beizugeben, bezweifle ich stark, freilich sagt man, Graf Grünne reiße bis¬
weilen einen guten Fiakcrwitz, wir dächten aber, gewisse dem Stephansplatze Wiens
entstammende Witze paßten kaum für den jungen in der Entwickelung begriffenen
Kaiser, so wenig als die ganze, Stalluaiur in kaiserliche Gemächer. In alter Zeit
erregte es hier in Wien bedeniendc Verwunderung, wie weiland Kaiser Franz,
der ernste ascetische Mann, jenen Freiherrn Kntschera, jenen Fürsten Traut-
mannsdors zu seiner nächsten Umgebung wählen konnte, Männer, die man als
die fleißigsten und geübtesten Kenner und Sammler der Nachtfalter am Stephans¬
platze und Graben kannte, heut umgeben Graf Grünne und Fürst Karl Liechten¬
stein in gleicher Eigenschaft den Kaiser Franz Joseph. Kaiser Franz aber zählte
damals fünfzig Jahre! Kaiser Franz Joseph jedoch ist ein neunzehnjähriger
Jüngling!!




Lark 'Aert-ßsshi, (1' U>. Dec. 1849).

Als vor etwa zehn Jahren in Prag und Wien sich die falsche Nachricht von Her-
loßsohn's Tode verbreitete, scholl ein dumpfes Trauergeläut durch die gesammte östrei¬
chische Literatur, viele Journale erschienen mit schwarzem Rand und L. A. Fränkl dich¬
tete Elegien. Herloßsohn gehörte damals noch zu volksthümlichsten Novellisten, die man
in Oestreich kannte, die träumerisch gemüthliche Romantik seiner hussitischen, altmagyari-
schcn und polnischen Freiheitshelden war dem dortigen Liberalismus ans der Seele ge¬
schrieben. Die Poeten- und Litcratenwelt aber, blickte sie anch längst über ihn weg
und zu den Obergöttern, Börne, Heine u. f. w. auf, hing doch mit treuer Pietät an
dem freisinnigen Redacteur des "Kometen", an dem Veteranen unter den ausgewander¬
ten Schriftstellern Oestreichs. Kaum ein literarischer Oestreicher war je im "Ausland"
gewesen, der nicht die dunklen Treppen und das staubige, bilderbchangene Zimmer in
der Hcchnstraße zu Leipzig kannte,,wo Herlostsohu seit ewigen Zeiten nisten blieb. An
wen sollte der junge Lyriker oder Journalist bei seinem ersten Schritt in die Welt, d. h.
uach Deutschland, sich wenden, wenn nicht an Hcrloßsohn, den immer freundlichen,
opferbereiten, durch keinen Undank abzuschreckenden Rather, Helfer und Beschützer seiner


Grenzboten. IV. 1S49. 66

sich damals eine garstige Geschichte von einem wegen ttntcrschleif angeklagten, ans
Grünne's nothgedrungcue Verwendung aber entlasteten Koch. Wir glaube», um
mit Heinrich Heine zu reden, Graf Grünnc gäbe viel darum, wenn die Geschichte
erlogen wäre. In seiner Vorzimmcrbedieustuug avancirte Graf Grünne von
Grad zu Grad zum Obersten der Husaren, »ut trug Uniform statt Livrve, folgte
dem Erzherzog in gleicher Eigenschaft nach Ungarn, war dort Zeuge aller Gro߬
thaten seines Herrn, welche diesen in volle Ungnade bei Hofe, ja in die Verban-
uikng brachten. Gras Grünne aber trat über in den Dienst des jungen Kaisers,
woraus sich schließen läßt, daß man ihn wirklich als blanke Bedientenuatur be¬
trachte, denn außerdem hätte er dem Erzherzog nothwendig in die Verbannung
nachgesendet werden müssen. Ob es irgend klug gewesen, diesen Mann dem jungen
Kaiser beizugeben, bezweifle ich stark, freilich sagt man, Graf Grünne reiße bis¬
weilen einen guten Fiakcrwitz, wir dächten aber, gewisse dem Stephansplatze Wiens
entstammende Witze paßten kaum für den jungen in der Entwickelung begriffenen
Kaiser, so wenig als die ganze, Stalluaiur in kaiserliche Gemächer. In alter Zeit
erregte es hier in Wien bedeniendc Verwunderung, wie weiland Kaiser Franz,
der ernste ascetische Mann, jenen Freiherrn Kntschera, jenen Fürsten Traut-
mannsdors zu seiner nächsten Umgebung wählen konnte, Männer, die man als
die fleißigsten und geübtesten Kenner und Sammler der Nachtfalter am Stephans¬
platze und Graben kannte, heut umgeben Graf Grünne und Fürst Karl Liechten¬
stein in gleicher Eigenschaft den Kaiser Franz Joseph. Kaiser Franz aber zählte
damals fünfzig Jahre! Kaiser Franz Joseph jedoch ist ein neunzehnjähriger
Jüngling!!




Lark 'Aert-ßsshi, (1' U>. Dec. 1849).

Als vor etwa zehn Jahren in Prag und Wien sich die falsche Nachricht von Her-
loßsohn's Tode verbreitete, scholl ein dumpfes Trauergeläut durch die gesammte östrei¬
chische Literatur, viele Journale erschienen mit schwarzem Rand und L. A. Fränkl dich¬
tete Elegien. Herloßsohn gehörte damals noch zu volksthümlichsten Novellisten, die man
in Oestreich kannte, die träumerisch gemüthliche Romantik seiner hussitischen, altmagyari-
schcn und polnischen Freiheitshelden war dem dortigen Liberalismus ans der Seele ge¬
schrieben. Die Poeten- und Litcratenwelt aber, blickte sie anch längst über ihn weg
und zu den Obergöttern, Börne, Heine u. f. w. auf, hing doch mit treuer Pietät an
dem freisinnigen Redacteur des „Kometen", an dem Veteranen unter den ausgewander¬
ten Schriftstellern Oestreichs. Kaum ein literarischer Oestreicher war je im „Ausland"
gewesen, der nicht die dunklen Treppen und das staubige, bilderbchangene Zimmer in
der Hcchnstraße zu Leipzig kannte,,wo Herlostsohu seit ewigen Zeiten nisten blieb. An
wen sollte der junge Lyriker oder Journalist bei seinem ersten Schritt in die Welt, d. h.
uach Deutschland, sich wenden, wenn nicht an Hcrloßsohn, den immer freundlichen,
opferbereiten, durch keinen Undank abzuschreckenden Rather, Helfer und Beschützer seiner


Grenzboten. IV. 1S49. 66
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/524>, abgerufen am 15.01.2025.