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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Das Geländer fehlt noch jetzt und die Tafel hängt gerade auf der Stelle, wo
selbst ein schwindelfreier Mann nicht ohne Gefahr stehen kann, um die Inschrift
darauf zu lesen. Das Unglück besteht ferner nicht darin, daß Peter Schwan-
daner oder Paul Grunzinger den Hals gebrochen hat, sondern daß er ihn brach,
ohne vorher gebeichtet und Absolution erhalten zu haben,

In Ausnahmsfällen ist der Maler tolerant genug, anzunehmen, daß die
Verunglückten im Zustand der Gnade gestorben sind; Ihr seht z. B. ein Floß auf
der Almfluth scheitern, die Floßführer fallen eben in's Wasser, in ihren besten
Sonntagskleidern und mit lustig ziegelrothen Backen. Warum sollte" sie auch er¬
schrecken? Vermuthlich haben sie erst den Tag vorher gebeichtet und Jedem wächst
ein rothes Kreuz ans dem Kopfe, als Einlaßkarte in den indigoblanen Himmel,
wo man Gott Vater, Sohn und heiligen Geist den Ertrinkender Willkommen!
zulächeln steht. Auf den meisten Bildern jedoch stammen die Schrecken des Fege-
feuers, und darüber steht zu lesen: "Dieses bildnnß Allhier gemacht, Von Wägen
den unglicksfahl mit Den Jakob Gschreiter banersvhn. Weilt er Mußte enden Sein
lebven i. I. iumo 34 Deß Herrn, Einen haben fallend, Vülle Scheit holtz Haben
Ihm Erstossen. lieber Läser, thue Mein Gedenken, Mirr ein vattcr Unser, Ave
maria schmalen." -- Das klingt ja so originell wie ein Wiener standrechtliches
Urtheil!, sagte ich. -- Warum sollt es nicht? fuhr Muck fort. Die Unglücksfälle
im Gebirge haben etwas Standrechtliches, oder vielmehr das politische Standrecht
hat etwas von der Blindheit der Elemente. Im Oestreichischen sind die Gedenk¬
tafeln immer noch moderner als im Altbairischen, wo ich oft ihre Mehr als mittel¬
alterliche Einfalt und Rohheit anstaunen mußte. Wenn Sie den graben Weg
von Salzburg nach dem Köuigssee wandern, so finden Sie auf dem schönen
Waldpfade, etwa eine halbe Stunde vor Berchtesgaden, linker Hand> einen Eich¬
baum mit einer Gedenktafel, an der Sie nicht vorbeigehn dürfen, ohne sie genau
zu betrachten. Unter dem halbvcrwischten Haupttext winden sich zwei nackte, mit
Ketten an einen Pfahl gebundene Sünder in den schilfartig aufsprühenden Flam¬
men des Fegefeuers; die schmerzverzerrteu Gesichter deuten an, daß sie längst
gar und gut geschmort sein müssen. Unter dem Fegefeuer prangt der fromme
Spruch: "Du wirst von dattuen nicht herauskommen, Bis du nicht bezahlet auch
den letzten Heller." Man sollte denken, die christlichen Mahnworte seien einem
Pfäfflein in den Mund gelegt. Behüte! Ueber dem Fegefeuer sitzt, in grauen
Wolken, die Mutter Gottes in höchsteigener Person und zeigt mit dem Finger
triumphirend aus die Flammen herunter, welche ihr recht wohl zu thun scheinen,
denn ihr ausgedunsenes blasses Gesicht lächelt mit dem behaglichen Phlegma einer
Holländerin, die ein Kohlenbecken unter ihre Beine gestellt hat, -- oder wie die
Wirthin im "Neuhaus" in Berchtesgaden, als sie Mir die Rechnung auf den
Tisch legte! O glückliches Baierland, Gott gebe nus Dein leichtes Bier und
behüte uns vor Deiner schwerblütigen Frömmigkeit! --




Das Geländer fehlt noch jetzt und die Tafel hängt gerade auf der Stelle, wo
selbst ein schwindelfreier Mann nicht ohne Gefahr stehen kann, um die Inschrift
darauf zu lesen. Das Unglück besteht ferner nicht darin, daß Peter Schwan-
daner oder Paul Grunzinger den Hals gebrochen hat, sondern daß er ihn brach,
ohne vorher gebeichtet und Absolution erhalten zu haben,

In Ausnahmsfällen ist der Maler tolerant genug, anzunehmen, daß die
Verunglückten im Zustand der Gnade gestorben sind; Ihr seht z. B. ein Floß auf
der Almfluth scheitern, die Floßführer fallen eben in's Wasser, in ihren besten
Sonntagskleidern und mit lustig ziegelrothen Backen. Warum sollte» sie auch er¬
schrecken? Vermuthlich haben sie erst den Tag vorher gebeichtet und Jedem wächst
ein rothes Kreuz ans dem Kopfe, als Einlaßkarte in den indigoblanen Himmel,
wo man Gott Vater, Sohn und heiligen Geist den Ertrinkender Willkommen!
zulächeln steht. Auf den meisten Bildern jedoch stammen die Schrecken des Fege-
feuers, und darüber steht zu lesen: „Dieses bildnnß Allhier gemacht, Von Wägen
den unglicksfahl mit Den Jakob Gschreiter banersvhn. Weilt er Mußte enden Sein
lebven i. I. iumo 34 Deß Herrn, Einen haben fallend, Vülle Scheit holtz Haben
Ihm Erstossen. lieber Läser, thue Mein Gedenken, Mirr ein vattcr Unser, Ave
maria schmalen." — Das klingt ja so originell wie ein Wiener standrechtliches
Urtheil!, sagte ich. — Warum sollt es nicht? fuhr Muck fort. Die Unglücksfälle
im Gebirge haben etwas Standrechtliches, oder vielmehr das politische Standrecht
hat etwas von der Blindheit der Elemente. Im Oestreichischen sind die Gedenk¬
tafeln immer noch moderner als im Altbairischen, wo ich oft ihre Mehr als mittel¬
alterliche Einfalt und Rohheit anstaunen mußte. Wenn Sie den graben Weg
von Salzburg nach dem Köuigssee wandern, so finden Sie auf dem schönen
Waldpfade, etwa eine halbe Stunde vor Berchtesgaden, linker Hand> einen Eich¬
baum mit einer Gedenktafel, an der Sie nicht vorbeigehn dürfen, ohne sie genau
zu betrachten. Unter dem halbvcrwischten Haupttext winden sich zwei nackte, mit
Ketten an einen Pfahl gebundene Sünder in den schilfartig aufsprühenden Flam¬
men des Fegefeuers; die schmerzverzerrteu Gesichter deuten an, daß sie längst
gar und gut geschmort sein müssen. Unter dem Fegefeuer prangt der fromme
Spruch: „Du wirst von dattuen nicht herauskommen, Bis du nicht bezahlet auch
den letzten Heller." Man sollte denken, die christlichen Mahnworte seien einem
Pfäfflein in den Mund gelegt. Behüte! Ueber dem Fegefeuer sitzt, in grauen
Wolken, die Mutter Gottes in höchsteigener Person und zeigt mit dem Finger
triumphirend aus die Flammen herunter, welche ihr recht wohl zu thun scheinen,
denn ihr ausgedunsenes blasses Gesicht lächelt mit dem behaglichen Phlegma einer
Holländerin, die ein Kohlenbecken unter ihre Beine gestellt hat, — oder wie die
Wirthin im „Neuhaus" in Berchtesgaden, als sie Mir die Rechnung auf den
Tisch legte! O glückliches Baierland, Gott gebe nus Dein leichtes Bier und
behüte uns vor Deiner schwerblütigen Frömmigkeit! —




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[0521] Das Geländer fehlt noch jetzt und die Tafel hängt gerade auf der Stelle, wo selbst ein schwindelfreier Mann nicht ohne Gefahr stehen kann, um die Inschrift darauf zu lesen. Das Unglück besteht ferner nicht darin, daß Peter Schwan- daner oder Paul Grunzinger den Hals gebrochen hat, sondern daß er ihn brach, ohne vorher gebeichtet und Absolution erhalten zu haben, In Ausnahmsfällen ist der Maler tolerant genug, anzunehmen, daß die Verunglückten im Zustand der Gnade gestorben sind; Ihr seht z. B. ein Floß auf der Almfluth scheitern, die Floßführer fallen eben in's Wasser, in ihren besten Sonntagskleidern und mit lustig ziegelrothen Backen. Warum sollte» sie auch er¬ schrecken? Vermuthlich haben sie erst den Tag vorher gebeichtet und Jedem wächst ein rothes Kreuz ans dem Kopfe, als Einlaßkarte in den indigoblanen Himmel, wo man Gott Vater, Sohn und heiligen Geist den Ertrinkender Willkommen! zulächeln steht. Auf den meisten Bildern jedoch stammen die Schrecken des Fege- feuers, und darüber steht zu lesen: „Dieses bildnnß Allhier gemacht, Von Wägen den unglicksfahl mit Den Jakob Gschreiter banersvhn. Weilt er Mußte enden Sein lebven i. I. iumo 34 Deß Herrn, Einen haben fallend, Vülle Scheit holtz Haben Ihm Erstossen. lieber Läser, thue Mein Gedenken, Mirr ein vattcr Unser, Ave maria schmalen." — Das klingt ja so originell wie ein Wiener standrechtliches Urtheil!, sagte ich. — Warum sollt es nicht? fuhr Muck fort. Die Unglücksfälle im Gebirge haben etwas Standrechtliches, oder vielmehr das politische Standrecht hat etwas von der Blindheit der Elemente. Im Oestreichischen sind die Gedenk¬ tafeln immer noch moderner als im Altbairischen, wo ich oft ihre Mehr als mittel¬ alterliche Einfalt und Rohheit anstaunen mußte. Wenn Sie den graben Weg von Salzburg nach dem Köuigssee wandern, so finden Sie auf dem schönen Waldpfade, etwa eine halbe Stunde vor Berchtesgaden, linker Hand> einen Eich¬ baum mit einer Gedenktafel, an der Sie nicht vorbeigehn dürfen, ohne sie genau zu betrachten. Unter dem halbvcrwischten Haupttext winden sich zwei nackte, mit Ketten an einen Pfahl gebundene Sünder in den schilfartig aufsprühenden Flam¬ men des Fegefeuers; die schmerzverzerrteu Gesichter deuten an, daß sie längst gar und gut geschmort sein müssen. Unter dem Fegefeuer prangt der fromme Spruch: „Du wirst von dattuen nicht herauskommen, Bis du nicht bezahlet auch den letzten Heller." Man sollte denken, die christlichen Mahnworte seien einem Pfäfflein in den Mund gelegt. Behüte! Ueber dem Fegefeuer sitzt, in grauen Wolken, die Mutter Gottes in höchsteigener Person und zeigt mit dem Finger triumphirend aus die Flammen herunter, welche ihr recht wohl zu thun scheinen, denn ihr ausgedunsenes blasses Gesicht lächelt mit dem behaglichen Phlegma einer Holländerin, die ein Kohlenbecken unter ihre Beine gestellt hat, — oder wie die Wirthin im „Neuhaus" in Berchtesgaden, als sie Mir die Rechnung auf den Tisch legte! O glückliches Baierland, Gott gebe nus Dein leichtes Bier und behüte uns vor Deiner schwerblütigen Frömmigkeit! —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/521>, abgerufen am 15.01.2025.