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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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fertigen, erwiederte dieser: "ich werde Ihre Sache nachsehen; doch ist hente dazu
keine Zeit vorhanden." Aber anch am nächsten Tage fand sich keine Zeit und als
L. am dritten Tage erschien, schnaubte Jener mit allen Zeichen des Aergers und
Verdrusses: "Ihr Paß ist ja vor Wochen schon an das Gubernialgericht in Ra-
ton abgefertigt."

Natürlich war L. ganz verdutzt. Ein solcher Bescheid durfte ihn wohl in Er¬
staunen versetzen. Voller Freude" setzte er sich auf die durch den Banquier Stein-
keller neueingerichtete pfeilschnelle Post und fuhr nach Raton zurück. Des anderen
Tags angelangt, begab er sich ans das Gubernialgericht und machte seine Eröff¬
nung. Allein lächelnd gab mau ihm die Versicherung, daß an der Sache kein
Wort wahr sei.

Nachdem er, wankend in seinem Glauben, einen untergeordneten Beamten
dnrch nicht unbedeutende Geldspenden dazu vermocht, alle Actcnkasten und Fächer
zu durchsuchen, und die Ueberzeugung gewonnen, daß von seinem Passe hier nichts
vorhanden sei, entschloß er sich abermals nach Warschau zu reisen. Er wendete
sich mit Bitte und Beschwerde an den Chef eines Bureaus des Paßamtes, Na¬
mens Schulz. Dieser in dem Range eines Obersten stehende Staatsdiener wies
ihn aber an jenen Becunteu, mit welchem er bereits zu schaffen gehabt hatte. Mehre
Tage laug ließ sich der junge Mensch gar nicht beikommen, und endlich ertheilte
er dem Petenten mit einem Trotz, welcher nur der lautersten Wahrheit eigen sein
zu können scheint, den Bescheid: "ich begreife nicht, was Sie wollen; Ihr Paß
ist bereits an Dem und Dem uach Raton abgegangen und befindet sich im
Gubernialgericht."

Die bestimmte Angabe des Datums, der barbarische Ernst des Beamten
alles war geeignet, den Petenten nochmals zu täuschen. Er begab sich wirklich
zum zweiten Male nach dem Ili Meilen entfernten Raton zurück, erhielt aber
wie früher vou dem Gubernialgericht die zuverlässigste Versicherung, daß das Pa߬
amt für ihn noch keinen Paß ausgefertigt, wenigstens noch nicht eingesandt habe.

Die Versicherung jenes Advocaten, daß die beiden Aemter ihn "zehn Jahre
lang von Raton nach Warschau und von Warschau nach Raton schicken werde","
um der Nothwendigkeit, geradezu zu erklären, daß man einen Paß uicht ausstellen
möge, auszuweichen, bewog L. sich nach Warschau zu übersiedeln. Diesen Schritt
bezeichnete der Advocat mit dem Prädicat "nützlich." Er meinte nämlich, da die
Mitglieder der verschiedenen Aemter in Warschau näher mit einander bekannt seien,
so sei es vielleicht möglich dadurch zum Ziel zu gelangen, daß sich der Petent durch
die erworbene persönliche Freundschaft deö einen Beamten die Freundschaft des näch¬
sten erwerbe.

Unter den erzählten Operationen war fast ein Jahr verstrichen. Nun über¬
siedelte sich L. nach Warschau und war gezwungen, einen Theil jener Operationen
zu wiederhole". Es wäre ermüdend eine detaillirte Schilderung zu geben. Nur


fertigen, erwiederte dieser: „ich werde Ihre Sache nachsehen; doch ist hente dazu
keine Zeit vorhanden." Aber anch am nächsten Tage fand sich keine Zeit und als
L. am dritten Tage erschien, schnaubte Jener mit allen Zeichen des Aergers und
Verdrusses: „Ihr Paß ist ja vor Wochen schon an das Gubernialgericht in Ra-
ton abgefertigt."

Natürlich war L. ganz verdutzt. Ein solcher Bescheid durfte ihn wohl in Er¬
staunen versetzen. Voller Freude» setzte er sich auf die durch den Banquier Stein-
keller neueingerichtete pfeilschnelle Post und fuhr nach Raton zurück. Des anderen
Tags angelangt, begab er sich ans das Gubernialgericht und machte seine Eröff¬
nung. Allein lächelnd gab mau ihm die Versicherung, daß an der Sache kein
Wort wahr sei.

Nachdem er, wankend in seinem Glauben, einen untergeordneten Beamten
dnrch nicht unbedeutende Geldspenden dazu vermocht, alle Actcnkasten und Fächer
zu durchsuchen, und die Ueberzeugung gewonnen, daß von seinem Passe hier nichts
vorhanden sei, entschloß er sich abermals nach Warschau zu reisen. Er wendete
sich mit Bitte und Beschwerde an den Chef eines Bureaus des Paßamtes, Na¬
mens Schulz. Dieser in dem Range eines Obersten stehende Staatsdiener wies
ihn aber an jenen Becunteu, mit welchem er bereits zu schaffen gehabt hatte. Mehre
Tage laug ließ sich der junge Mensch gar nicht beikommen, und endlich ertheilte
er dem Petenten mit einem Trotz, welcher nur der lautersten Wahrheit eigen sein
zu können scheint, den Bescheid: „ich begreife nicht, was Sie wollen; Ihr Paß
ist bereits an Dem und Dem uach Raton abgegangen und befindet sich im
Gubernialgericht."

Die bestimmte Angabe des Datums, der barbarische Ernst des Beamten
alles war geeignet, den Petenten nochmals zu täuschen. Er begab sich wirklich
zum zweiten Male nach dem Ili Meilen entfernten Raton zurück, erhielt aber
wie früher vou dem Gubernialgericht die zuverlässigste Versicherung, daß das Pa߬
amt für ihn noch keinen Paß ausgefertigt, wenigstens noch nicht eingesandt habe.

Die Versicherung jenes Advocaten, daß die beiden Aemter ihn „zehn Jahre
lang von Raton nach Warschau und von Warschau nach Raton schicken werde»,"
um der Nothwendigkeit, geradezu zu erklären, daß man einen Paß uicht ausstellen
möge, auszuweichen, bewog L. sich nach Warschau zu übersiedeln. Diesen Schritt
bezeichnete der Advocat mit dem Prädicat „nützlich." Er meinte nämlich, da die
Mitglieder der verschiedenen Aemter in Warschau näher mit einander bekannt seien,
so sei es vielleicht möglich dadurch zum Ziel zu gelangen, daß sich der Petent durch
die erworbene persönliche Freundschaft deö einen Beamten die Freundschaft des näch¬
sten erwerbe.

Unter den erzählten Operationen war fast ein Jahr verstrichen. Nun über¬
siedelte sich L. nach Warschau und war gezwungen, einen Theil jener Operationen
zu wiederhole». Es wäre ermüdend eine detaillirte Schilderung zu geben. Nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/52>, abgerufen am 15.01.2025.