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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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streckt, die feucht blauen Augen, -- so klein sind die Seen von hier ans -- zum
Himmel aufgeschlagen. Doch ist das nur ein Vorgeschmack des Anblicks, der uns
morgen, wenn Wind und Wolken wollen, für das einstüudige Klettern auf die
Felskuppe des Schafberges belohnen wird. Da oben überblickt man achtzehn Seen
auf einmal, und über dreißig Gletscher, wie fromme Altäre, trotzige Burgen, phan¬
tastische, in Eis verwandelte Himmelsstürmer gestaltet, sieht man im Sonnenauf¬
gang erglühen. Und der brausende Morgenwind raunt Euch dazu das Gebet der
Luftgeister in die Ohre". Da kann Einer andächtig werden, wenn er sich nicht
schämt.

Die beste Vorbereitung auf diesen Naturgottesdienst wäre, in der Sennhütte
bei einigen Booten Punsch eine fromme Nachtwache zu halten. Von süßem Schlaf und
angenehmen Träumen kann ohnedies nicht die Rede sein. Die Sennhütte hat kei¬
nen Rauchfang, sie läßt den Rauch, so gut er kann oder will, durch Thür- und
Wandritzen sich einen Ausgang suchen. Ihr kriecht auf einer Leiter über, die Thür
des Rinderstalls auf den Dachboden und deckt euch mit nebelfeuchten, rauchdun¬
stigem Heu zu und werdet dann und wann aus dem Halbschlummer durch melan¬
cholisches Geläut aufgeschreckt; Ihr zählt anfangs Eins, Zwei, Drei bis Drei¬
zehn und dann erst merkt Ihr, daß nicht die Thurmuhren der Dörfer tief unter
Euch geschlagen haben, sondern die Kuhglocken im Stalle.

Während wir noch aus dem Vorsprung der Alm standen, erhob sich ein so dichter
und wässernder Nebel, daß wir froh waren, uns bis zur Sennhütte durchzutappen. Auf
dem gewaltigen Heerde prasselte ein lustiges Feuer und darüber saß ein "Reindl"
(eine Pfanne) von zwei Schuh Durchmesser, worin unser "Schnarren" bereitet
wurde. Die Sennerin hatte zehn Maß Milch, einen halben Sack Mehl und ein
El dazu genommen; unser Gesammtappetit war uicht im Staude, den fünften Theil
der leckeren Speise zu vertilgen, glücklicher Weise intervenirten Führer und Sen¬
nerin mit siegreichem Erfolge. Nach der Mahlzeit langten wir einige Flaschen
Wein aus dem Korb des Führers und setzten uus rings um den Heerd, die Nacht¬
wache zu begehen. Wir waren unser Sieben: ich, mein Freund Don Jsidor Amabile,
ein Wiener Hofmeister mit drei Zöglingen, die ihrem Erzieher in der Kenntniß
aller noblen Passionen überlegen waren und ihm fortwährend im Bon Ton Un¬
terricht gaben, und ein l)>. der Philologie Mu et ans Oestreich. Dieser Mecklen¬
burger war praktischer wie wir Alle und setzte sich ohne Weiteres auf den Heerd
selbst, unmittelbar ans Feuer; die Nähe der Flamme schützte am sichersten vor
dem quälenden Rauch. Während er Kamascheu und Schuhe auszog und an der
Gluth trocknete, erzählte er uns mit höchst bedächtiger und langsamer Stimme
sein langweiliges Schicksal. Zum füuftenmal in diesem Sommer bestieg er heute
den Schafberg und noch wußte er uicht, ob er zum letztenmal in dieser Hütte
übernachten werde. Seine Braut in Rostock, obgleich ebenfalls eine Mecklenbur¬
gerin, war sentimental. Sie kannte das Salzkammergut und hatte ihrem Zutuns-


streckt, die feucht blauen Augen, — so klein sind die Seen von hier ans — zum
Himmel aufgeschlagen. Doch ist das nur ein Vorgeschmack des Anblicks, der uns
morgen, wenn Wind und Wolken wollen, für das einstüudige Klettern auf die
Felskuppe des Schafberges belohnen wird. Da oben überblickt man achtzehn Seen
auf einmal, und über dreißig Gletscher, wie fromme Altäre, trotzige Burgen, phan¬
tastische, in Eis verwandelte Himmelsstürmer gestaltet, sieht man im Sonnenauf¬
gang erglühen. Und der brausende Morgenwind raunt Euch dazu das Gebet der
Luftgeister in die Ohre». Da kann Einer andächtig werden, wenn er sich nicht
schämt.

Die beste Vorbereitung auf diesen Naturgottesdienst wäre, in der Sennhütte
bei einigen Booten Punsch eine fromme Nachtwache zu halten. Von süßem Schlaf und
angenehmen Träumen kann ohnedies nicht die Rede sein. Die Sennhütte hat kei¬
nen Rauchfang, sie läßt den Rauch, so gut er kann oder will, durch Thür- und
Wandritzen sich einen Ausgang suchen. Ihr kriecht auf einer Leiter über, die Thür
des Rinderstalls auf den Dachboden und deckt euch mit nebelfeuchten, rauchdun¬
stigem Heu zu und werdet dann und wann aus dem Halbschlummer durch melan¬
cholisches Geläut aufgeschreckt; Ihr zählt anfangs Eins, Zwei, Drei bis Drei¬
zehn und dann erst merkt Ihr, daß nicht die Thurmuhren der Dörfer tief unter
Euch geschlagen haben, sondern die Kuhglocken im Stalle.

Während wir noch aus dem Vorsprung der Alm standen, erhob sich ein so dichter
und wässernder Nebel, daß wir froh waren, uns bis zur Sennhütte durchzutappen. Auf
dem gewaltigen Heerde prasselte ein lustiges Feuer und darüber saß ein „Reindl"
(eine Pfanne) von zwei Schuh Durchmesser, worin unser „Schnarren" bereitet
wurde. Die Sennerin hatte zehn Maß Milch, einen halben Sack Mehl und ein
El dazu genommen; unser Gesammtappetit war uicht im Staude, den fünften Theil
der leckeren Speise zu vertilgen, glücklicher Weise intervenirten Führer und Sen¬
nerin mit siegreichem Erfolge. Nach der Mahlzeit langten wir einige Flaschen
Wein aus dem Korb des Führers und setzten uus rings um den Heerd, die Nacht¬
wache zu begehen. Wir waren unser Sieben: ich, mein Freund Don Jsidor Amabile,
ein Wiener Hofmeister mit drei Zöglingen, die ihrem Erzieher in der Kenntniß
aller noblen Passionen überlegen waren und ihm fortwährend im Bon Ton Un¬
terricht gaben, und ein l)>. der Philologie Mu et ans Oestreich. Dieser Mecklen¬
burger war praktischer wie wir Alle und setzte sich ohne Weiteres auf den Heerd
selbst, unmittelbar ans Feuer; die Nähe der Flamme schützte am sichersten vor
dem quälenden Rauch. Während er Kamascheu und Schuhe auszog und an der
Gluth trocknete, erzählte er uns mit höchst bedächtiger und langsamer Stimme
sein langweiliges Schicksal. Zum füuftenmal in diesem Sommer bestieg er heute
den Schafberg und noch wußte er uicht, ob er zum letztenmal in dieser Hütte
übernachten werde. Seine Braut in Rostock, obgleich ebenfalls eine Mecklenbur¬
gerin, war sentimental. Sie kannte das Salzkammergut und hatte ihrem Zutuns-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/519>, abgerufen am 15.01.2025.