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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Wir sehen übrigens nächstens einer ministeriellen Ordonnanz entgegen, die das
Abonnement der "Reichszeitung" zur Bürgerpflicht machen wird, und man be¬
schäftigt sich in ministeriellen Kreisen viel mit dem Gedanken, auf welche Weise
man außer dem Abonnement auch das Lesen des Blattes zur Pflicht machen und
einer Controle unterwerfen könne.

Hand in Hand mit der "östreichischen Reichszcitung" geht die "östreichische
Korrespondenz," eine lithographirte Sammlung von Notizen und kurzen Artikeln,
die an alle Blätter des Kaiserstaates täglich gesendet, und von einer großen Zahl
derselben wörtlich abgedruckt werden, da sie auf diese Weise umsonst Material er¬
halten und überdies Honorar für anderweitige Artikel ersparen. Es gibt nicht leicht
eine so innige Allianz zwischen heterogenen Elementen, wie diese. In der "östrei¬
chischen Korrespondenz" ist Alles derb und entschieden, nichts Gallertartiges, son¬
dern lauter Keulenschläge; keine diplomatischen Wendungen und nichtssagende Phra¬
sen, sondern lauter starke esscctmachende Dinge, wie sie anderweitig zu dem Arbeits¬
zeug der Neactiouspartei gehören. Da wird kein Gerücht, das der liberalen Partei
nachtheilig sein könnte, erzählt, ohne es zum Factum zu erheben, da wird aus
halben Andeutungen, leisen Vermuthungen sogleich ein kunstvolles Ganze aufge¬
baut, und an Gödsche's und Ohm's fehlt's wahrhaftig auch hier nicht. Der Re¬
dacteur ist Tnvora. Mit der Charakteristik dieses Mannes werden wir schnell fer¬
tig sein. Vor dem März war er liberaler Correspondent, am 18. Mai wurde er
mit Hafner von den Volkshaufen auf's Aeußerste bedroht, weil er die Republik
proclamiren wollte, und das damalige Kentralcomit"; mußte ihn gefangen setzen,
um ihn der Volkswuth zu entreißen. Später wurde er mit Mahler Redacteur des ra-
dicalen "Freimüthigen." In den letzten Octobertagen erschien plötzlich aus dem
Lager des Fürsten Windischgrätz ein Sündenbckenntniß Tnvora's und die
Versicherung, daß er mit seiner Vergangenheit gänzlich gebrochen habe. Wir haben
viele Renegaten in unserem Leben kennen gelernt, aber nie Einen, der mit einem
so leichten Achselzucken Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft in einem
Augenblicke an die Meistbietenden verkaufen würde wie Tnvora. Aber nicht blos
jede oppositionelle Regung wird in diesen Korrespondenzen, die in so vielen Pro-
vinzialblättern zugleich auftauchen, denuncirt, sondern Tnvora hält auch jetzt viel
auf gute Sitten, und ein in der "Presse" erschienener Roman von Hieronymus
Lorm wird in den rohesten Ausdrücken als überaus sittenlos bezeichnet, weil er
in der "Presse" abgedruckt war. nächster Tage wird das Ministerium auch einen
Roman erscheinen lassen, worin es uns belehren wird, was der Fürst Schwarzen¬
berg unter Moral versteht und wie ein moralischer Roman geschrieben sein soll,
ebenso wie es uns offiziell belehren läßt, wie man leitende Artikel schreiben muß
und wie man Korrespondenzen anzufertigen hat. -- Begreiflicher Weife ist die
"östreichische Reichszeitung" durchaus nicht gefährlich, da sie Niemand liest und
or. Landsteiner wohl für den Psychologen, nicht aber den Politiker ein Gegen-


Wir sehen übrigens nächstens einer ministeriellen Ordonnanz entgegen, die das
Abonnement der „Reichszeitung" zur Bürgerpflicht machen wird, und man be¬
schäftigt sich in ministeriellen Kreisen viel mit dem Gedanken, auf welche Weise
man außer dem Abonnement auch das Lesen des Blattes zur Pflicht machen und
einer Controle unterwerfen könne.

Hand in Hand mit der „östreichischen Reichszcitung" geht die „östreichische
Korrespondenz," eine lithographirte Sammlung von Notizen und kurzen Artikeln,
die an alle Blätter des Kaiserstaates täglich gesendet, und von einer großen Zahl
derselben wörtlich abgedruckt werden, da sie auf diese Weise umsonst Material er¬
halten und überdies Honorar für anderweitige Artikel ersparen. Es gibt nicht leicht
eine so innige Allianz zwischen heterogenen Elementen, wie diese. In der „östrei¬
chischen Korrespondenz" ist Alles derb und entschieden, nichts Gallertartiges, son¬
dern lauter Keulenschläge; keine diplomatischen Wendungen und nichtssagende Phra¬
sen, sondern lauter starke esscctmachende Dinge, wie sie anderweitig zu dem Arbeits¬
zeug der Neactiouspartei gehören. Da wird kein Gerücht, das der liberalen Partei
nachtheilig sein könnte, erzählt, ohne es zum Factum zu erheben, da wird aus
halben Andeutungen, leisen Vermuthungen sogleich ein kunstvolles Ganze aufge¬
baut, und an Gödsche's und Ohm's fehlt's wahrhaftig auch hier nicht. Der Re¬
dacteur ist Tnvora. Mit der Charakteristik dieses Mannes werden wir schnell fer¬
tig sein. Vor dem März war er liberaler Correspondent, am 18. Mai wurde er
mit Hafner von den Volkshaufen auf's Aeußerste bedroht, weil er die Republik
proclamiren wollte, und das damalige Kentralcomit«; mußte ihn gefangen setzen,
um ihn der Volkswuth zu entreißen. Später wurde er mit Mahler Redacteur des ra-
dicalen „Freimüthigen." In den letzten Octobertagen erschien plötzlich aus dem
Lager des Fürsten Windischgrätz ein Sündenbckenntniß Tnvora's und die
Versicherung, daß er mit seiner Vergangenheit gänzlich gebrochen habe. Wir haben
viele Renegaten in unserem Leben kennen gelernt, aber nie Einen, der mit einem
so leichten Achselzucken Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft in einem
Augenblicke an die Meistbietenden verkaufen würde wie Tnvora. Aber nicht blos
jede oppositionelle Regung wird in diesen Korrespondenzen, die in so vielen Pro-
vinzialblättern zugleich auftauchen, denuncirt, sondern Tnvora hält auch jetzt viel
auf gute Sitten, und ein in der „Presse" erschienener Roman von Hieronymus
Lorm wird in den rohesten Ausdrücken als überaus sittenlos bezeichnet, weil er
in der „Presse" abgedruckt war. nächster Tage wird das Ministerium auch einen
Roman erscheinen lassen, worin es uns belehren wird, was der Fürst Schwarzen¬
berg unter Moral versteht und wie ein moralischer Roman geschrieben sein soll,
ebenso wie es uns offiziell belehren läßt, wie man leitende Artikel schreiben muß
und wie man Korrespondenzen anzufertigen hat. — Begreiflicher Weife ist die
„östreichische Reichszeitung" durchaus nicht gefährlich, da sie Niemand liest und
or. Landsteiner wohl für den Psychologen, nicht aber den Politiker ein Gegen-


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[0515] Wir sehen übrigens nächstens einer ministeriellen Ordonnanz entgegen, die das Abonnement der „Reichszeitung" zur Bürgerpflicht machen wird, und man be¬ schäftigt sich in ministeriellen Kreisen viel mit dem Gedanken, auf welche Weise man außer dem Abonnement auch das Lesen des Blattes zur Pflicht machen und einer Controle unterwerfen könne. Hand in Hand mit der „östreichischen Reichszcitung" geht die „östreichische Korrespondenz," eine lithographirte Sammlung von Notizen und kurzen Artikeln, die an alle Blätter des Kaiserstaates täglich gesendet, und von einer großen Zahl derselben wörtlich abgedruckt werden, da sie auf diese Weise umsonst Material er¬ halten und überdies Honorar für anderweitige Artikel ersparen. Es gibt nicht leicht eine so innige Allianz zwischen heterogenen Elementen, wie diese. In der „östrei¬ chischen Korrespondenz" ist Alles derb und entschieden, nichts Gallertartiges, son¬ dern lauter Keulenschläge; keine diplomatischen Wendungen und nichtssagende Phra¬ sen, sondern lauter starke esscctmachende Dinge, wie sie anderweitig zu dem Arbeits¬ zeug der Neactiouspartei gehören. Da wird kein Gerücht, das der liberalen Partei nachtheilig sein könnte, erzählt, ohne es zum Factum zu erheben, da wird aus halben Andeutungen, leisen Vermuthungen sogleich ein kunstvolles Ganze aufge¬ baut, und an Gödsche's und Ohm's fehlt's wahrhaftig auch hier nicht. Der Re¬ dacteur ist Tnvora. Mit der Charakteristik dieses Mannes werden wir schnell fer¬ tig sein. Vor dem März war er liberaler Correspondent, am 18. Mai wurde er mit Hafner von den Volkshaufen auf's Aeußerste bedroht, weil er die Republik proclamiren wollte, und das damalige Kentralcomit«; mußte ihn gefangen setzen, um ihn der Volkswuth zu entreißen. Später wurde er mit Mahler Redacteur des ra- dicalen „Freimüthigen." In den letzten Octobertagen erschien plötzlich aus dem Lager des Fürsten Windischgrätz ein Sündenbckenntniß Tnvora's und die Versicherung, daß er mit seiner Vergangenheit gänzlich gebrochen habe. Wir haben viele Renegaten in unserem Leben kennen gelernt, aber nie Einen, der mit einem so leichten Achselzucken Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft in einem Augenblicke an die Meistbietenden verkaufen würde wie Tnvora. Aber nicht blos jede oppositionelle Regung wird in diesen Korrespondenzen, die in so vielen Pro- vinzialblättern zugleich auftauchen, denuncirt, sondern Tnvora hält auch jetzt viel auf gute Sitten, und ein in der „Presse" erschienener Roman von Hieronymus Lorm wird in den rohesten Ausdrücken als überaus sittenlos bezeichnet, weil er in der „Presse" abgedruckt war. nächster Tage wird das Ministerium auch einen Roman erscheinen lassen, worin es uns belehren wird, was der Fürst Schwarzen¬ berg unter Moral versteht und wie ein moralischer Roman geschrieben sein soll, ebenso wie es uns offiziell belehren läßt, wie man leitende Artikel schreiben muß und wie man Korrespondenzen anzufertigen hat. — Begreiflicher Weife ist die „östreichische Reichszeitung" durchaus nicht gefährlich, da sie Niemand liest und or. Landsteiner wohl für den Psychologen, nicht aber den Politiker ein Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/515>, abgerufen am 15.01.2025.