Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.L. wartete mit der in Nußland nöthigen und doch bei weitem nicht zuläng¬ "Habe ich es Ihnen denn nicht gesagt?" rief dieser lachend aus. Und wei¬ Nun wendete sich L. schriftlich an das Paßamt in Warschau. Allein wie Der unglückliche L. war zu zartfühlend, um gleich bei der ersten Bekannt¬ Zurückgekehrt wendete sich der Beamte mit höchster Unbefangenheit und L. wartete mit der in Nußland nöthigen und doch bei weitem nicht zuläng¬ „Habe ich es Ihnen denn nicht gesagt?" rief dieser lachend aus. Und wei¬ Nun wendete sich L. schriftlich an das Paßamt in Warschau. Allein wie Der unglückliche L. war zu zartfühlend, um gleich bei der ersten Bekannt¬ Zurückgekehrt wendete sich der Beamte mit höchster Unbefangenheit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279599"/> <p xml:id="ID_153"> L. wartete mit der in Nußland nöthigen und doch bei weitem nicht zuläng¬<lb/> licher Geduld sechs Wochen lang. Da er bis dahin keine Aufforderung von dem<lb/> Gubernialgericht erhalten hatte, begab er sich unaufgefordert in dasselbe. Es<lb/> wurde ihm der Bescheid zu Theil, von Warschau sei noch nichts in Betreff seiner<lb/> Angelegenheit eingegangen. Von da ab wiederholte L. anderthalb Monat lang<lb/> allwöchentlich zweimal seine Nachfrage, erhielt aber fort und fort jenen unbefriedi¬<lb/> gender Bescheid. Schon war die Mitte des Sommers herangerückt. Verzweifelnd<lb/> suchte er Rath bei dem befreundeten Advocaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_154"> „Habe ich es Ihnen denn nicht gesagt?" rief dieser lachend aus. Und wei¬<lb/> ter: „Sie werden auch in zehn Jahren noch keinen anderen Bescheid erhalten,<lb/> denn Ihr Paß ist wirklich noch nicht beim Gubernialgericht eingegangen, und wird<lb/> auch niemals eingehen. Schreiben Sie selbst an das Paßamt oder reisen Sie nach<lb/> Warschau."</p><lb/> <p xml:id="ID_155"> Nun wendete sich L. schriftlich an das Paßamt in Warschau. Allein wie<lb/> dringend er auch seine Angelegenheit darstellte, und ob er auch schon seinem<lb/> Briefe noch ein besonderes ärztliches Attest mit neuestem Datum beifügte, so —<lb/> erhielt er doch nicht einmal eine Antwort ans seinen Brief. Jetzt entschloß er sich<lb/> nach Warschau zu reisen. Diesen Entschluß führte er im Juli ans. Willens<lb/> nichts zu sparen, um seine Angelegenheit durchzusetzen, drückte er sogleich einem Pa߬<lb/> amtsdiener einen Rubel in die Hand, damit dieser ihn nicht nach beliebter Ge¬<lb/> wohnheit erst zur Ausbeutung uuter die Hände von zehn unbetheiligten Beamten<lb/> führe, sondern gleich vor den, bei welchen seine Angelegenheit anhängig sei.<lb/> Dieser war ein noch sehr jugendlicher Mann. Mehrere Stunden ließ er L. ganz<lb/> unberücksichtigt hinter sich stehen, und so oft sein Ange auch auf den durch den<lb/> Diener Angemeldeten und vielleicht sogar Recommandirten fiel, so that er doch,<lb/> als ob derselbe ihn gar nichts angehe.</p><lb/> <p xml:id="ID_156"> Der unglückliche L. war zu zartfühlend, um gleich bei der ersten Bekannt¬<lb/> schaft so zudringlich zu sein, als das Verhältniß es erforderte. Es wurde zwölf<lb/> Uhr. Der Beamte verließ das Haus, und L.'n blieb nur übrig, Gleiches zu<lb/> thun und wieder zu kommen. Dies geschah am Nachmittag. Der Beamte war<lb/> jetzt nicht weniger unnahbar, aber L. dreister. Nachdem Jener mit dem Schein<lb/> Zu drängender Beschäftigung den Vortrag L.'s abgewiesen, wagte dieser sich in<lb/> die Barriere und legte dem jungen Staatsdiener ein versiegeltes Papier vor die<lb/> N"se. Lange ließ dieser dasselbe unbeachtet. Dann steckte er es mit ganz stolzer<lb/> Miene, als ob er das Papier kenne und es ihn kraft des Amtes zukomme, zu<lb/> steh und verließ das Zimmer. In den Papier lag ein Louisd'or auf den wenigen<lb/> geschriebenen Worten: „Verehrter Herr, ich ersuche Sie dringend!"</p><lb/> <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Zurückgekehrt wendete sich der Beamte mit höchster Unbefangenheit und<lb/> stolzer Kürze: „was wünschen Sie?" an den Petenten. Nachdem dieser dringend<lb/> darum gebeten, ihm den vom Gubernialgericht in Raton beantragten Paß aufzu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
L. wartete mit der in Nußland nöthigen und doch bei weitem nicht zuläng¬
licher Geduld sechs Wochen lang. Da er bis dahin keine Aufforderung von dem
Gubernialgericht erhalten hatte, begab er sich unaufgefordert in dasselbe. Es
wurde ihm der Bescheid zu Theil, von Warschau sei noch nichts in Betreff seiner
Angelegenheit eingegangen. Von da ab wiederholte L. anderthalb Monat lang
allwöchentlich zweimal seine Nachfrage, erhielt aber fort und fort jenen unbefriedi¬
gender Bescheid. Schon war die Mitte des Sommers herangerückt. Verzweifelnd
suchte er Rath bei dem befreundeten Advocaten.
„Habe ich es Ihnen denn nicht gesagt?" rief dieser lachend aus. Und wei¬
ter: „Sie werden auch in zehn Jahren noch keinen anderen Bescheid erhalten,
denn Ihr Paß ist wirklich noch nicht beim Gubernialgericht eingegangen, und wird
auch niemals eingehen. Schreiben Sie selbst an das Paßamt oder reisen Sie nach
Warschau."
Nun wendete sich L. schriftlich an das Paßamt in Warschau. Allein wie
dringend er auch seine Angelegenheit darstellte, und ob er auch schon seinem
Briefe noch ein besonderes ärztliches Attest mit neuestem Datum beifügte, so —
erhielt er doch nicht einmal eine Antwort ans seinen Brief. Jetzt entschloß er sich
nach Warschau zu reisen. Diesen Entschluß führte er im Juli ans. Willens
nichts zu sparen, um seine Angelegenheit durchzusetzen, drückte er sogleich einem Pa߬
amtsdiener einen Rubel in die Hand, damit dieser ihn nicht nach beliebter Ge¬
wohnheit erst zur Ausbeutung uuter die Hände von zehn unbetheiligten Beamten
führe, sondern gleich vor den, bei welchen seine Angelegenheit anhängig sei.
Dieser war ein noch sehr jugendlicher Mann. Mehrere Stunden ließ er L. ganz
unberücksichtigt hinter sich stehen, und so oft sein Ange auch auf den durch den
Diener Angemeldeten und vielleicht sogar Recommandirten fiel, so that er doch,
als ob derselbe ihn gar nichts angehe.
Der unglückliche L. war zu zartfühlend, um gleich bei der ersten Bekannt¬
schaft so zudringlich zu sein, als das Verhältniß es erforderte. Es wurde zwölf
Uhr. Der Beamte verließ das Haus, und L.'n blieb nur übrig, Gleiches zu
thun und wieder zu kommen. Dies geschah am Nachmittag. Der Beamte war
jetzt nicht weniger unnahbar, aber L. dreister. Nachdem Jener mit dem Schein
Zu drängender Beschäftigung den Vortrag L.'s abgewiesen, wagte dieser sich in
die Barriere und legte dem jungen Staatsdiener ein versiegeltes Papier vor die
N"se. Lange ließ dieser dasselbe unbeachtet. Dann steckte er es mit ganz stolzer
Miene, als ob er das Papier kenne und es ihn kraft des Amtes zukomme, zu
steh und verließ das Zimmer. In den Papier lag ein Louisd'or auf den wenigen
geschriebenen Worten: „Verehrter Herr, ich ersuche Sie dringend!"
Zurückgekehrt wendete sich der Beamte mit höchster Unbefangenheit und
stolzer Kürze: „was wünschen Sie?" an den Petenten. Nachdem dieser dringend
darum gebeten, ihm den vom Gubernialgericht in Raton beantragten Paß aufzu-
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