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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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weich gemacht hat, erscheint der Aufkäufer selbst wieder und schließt das Geschäft
ab. -- Durch List und Kniffe werden in Rußland fast alle Prodnctengeschäfte mit
den Producenten gemacht. Ihr Stolz wird auf das Sorglichste geschont, desto
sicherer und härter aber ihr Mangel an Einsicht gestraft. Sie werden stets be¬
trogen, die Ausläufer aber machen einen Gewinn, mit dem sie eine Legion von
Helfershelfern besolden könnten. Der nach dem Auslande gerichtete Getreidehan¬
del in Bcrdiczew und Kiew bringt ein Capital von 40--50 Million Rudel Assig¬
naten in Umlauf, er hat auch den kleinrussischen Messen den Namen Eontracle
verschafft, da er sich auf Contracte stützen muß, weil die Edelleute ihre Waare
nicht auf den Meßplatz bringe", sondern nach Probe verkaufen; oft verkaufen sie
das Getreide noch ans dem Halme. Dann find sie der niedrigen Mühe überhoben,
die Bauern zur Ernte in das Feld führen zu müssen; der Aufkäufer pflegt natür¬
lich gerade bei diesen brüderlichen Geschäften den Gewinn zu machen. Nicht selten
werden die Ernten auf zwei, drei, ja sechs und mehr Jahre voraus verkauft.
Das Geld dafür wird sehr häufig von deu selbstgefällige", unwissenden und ver¬
dorbenen Edelleuten mit rohem Luxus und raffinirter Sinnlichkeit in wenig Wochen
verthan.

Fast alle aus dem Süden herausgekommenen Kaufleute klagten bitterlich über
die Mühseligkeit der Waareutrausporte. Fast de" ganzen Winter hindurch find
Waarensendungen so gut wie unmöglich, besonders aus dem Süden nach Norden,
auch im Sommer bleiben sie sehr schwierig. Die Kaufleute wetterten gegen die
Regierung und meinten, sie baue allenthalben Chausseen, wo der Kaiser und seine
Gemahlin zu fahren belieben, nur nach den Wegen der Handelswelt, welche doch
mehr zu fahren habe als Kaiser und Kaiserin, frage sie nicht. Aber hierin thun
sie offenbar der Regierung Unrecht, denn eine Verbindung der bedeutendsten rus¬
sischen Städte durch Chausseen ist ein Riesenwerk, zu dessen Vollendung noch sehr
viele Jahrzehnde gehören, da das bei der schwachen Bevölkerung sich uicht ver¬
zinsen und deshalb nie zur Vollendung gelangen wird. Die Regierung hat zwar
in allen Theilen des Reichs die Straßen durch Gräben bezeichnen lassen, allein
nur durch diese Gräben sind ZV--40 Schritt breite Landstriche als Straßen zu
erkennen. Sie zeigen den natürlichen Erdboden, wie die Flächen daneben, und
werden durch die Regengüsse im Herbst und Frühjahr, so wie durch die Schnee¬
wehen und das Festsrieren der tiefeingesahreuen Geleise völlig unbrauchbar. Der
Waarentransport geschieht mittels kleiner, ans riesenhaften Rädern sich bewegen¬
der Fahrzeuge, deren Körper die Gestalt eines Troges hat, und an denen ge¬
wöhnlich nicht eine Spur von Eisen zu finden ist. Ein solches Fuhrzeug, das
den Namen Kibitke sührt, kann nicht mehr an Last aufnehmen, als höchstens zehn
Centner. Es find daher viele solche Fuhrwerke erforderlich, um nur ein geringes
Waarenquantum zu versenden. So sieht man sie denn anch caravanenweise daher-
zieheu, oft sechzig bis siebzig hintereinander. Die große Menge des Zngviehes


weich gemacht hat, erscheint der Aufkäufer selbst wieder und schließt das Geschäft
ab. — Durch List und Kniffe werden in Rußland fast alle Prodnctengeschäfte mit
den Producenten gemacht. Ihr Stolz wird auf das Sorglichste geschont, desto
sicherer und härter aber ihr Mangel an Einsicht gestraft. Sie werden stets be¬
trogen, die Ausläufer aber machen einen Gewinn, mit dem sie eine Legion von
Helfershelfern besolden könnten. Der nach dem Auslande gerichtete Getreidehan¬
del in Bcrdiczew und Kiew bringt ein Capital von 40—50 Million Rudel Assig¬
naten in Umlauf, er hat auch den kleinrussischen Messen den Namen Eontracle
verschafft, da er sich auf Contracte stützen muß, weil die Edelleute ihre Waare
nicht auf den Meßplatz bringe», sondern nach Probe verkaufen; oft verkaufen sie
das Getreide noch ans dem Halme. Dann find sie der niedrigen Mühe überhoben,
die Bauern zur Ernte in das Feld führen zu müssen; der Aufkäufer pflegt natür¬
lich gerade bei diesen brüderlichen Geschäften den Gewinn zu machen. Nicht selten
werden die Ernten auf zwei, drei, ja sechs und mehr Jahre voraus verkauft.
Das Geld dafür wird sehr häufig von deu selbstgefällige», unwissenden und ver¬
dorbenen Edelleuten mit rohem Luxus und raffinirter Sinnlichkeit in wenig Wochen
verthan.

Fast alle aus dem Süden herausgekommenen Kaufleute klagten bitterlich über
die Mühseligkeit der Waareutrausporte. Fast de» ganzen Winter hindurch find
Waarensendungen so gut wie unmöglich, besonders aus dem Süden nach Norden,
auch im Sommer bleiben sie sehr schwierig. Die Kaufleute wetterten gegen die
Regierung und meinten, sie baue allenthalben Chausseen, wo der Kaiser und seine
Gemahlin zu fahren belieben, nur nach den Wegen der Handelswelt, welche doch
mehr zu fahren habe als Kaiser und Kaiserin, frage sie nicht. Aber hierin thun
sie offenbar der Regierung Unrecht, denn eine Verbindung der bedeutendsten rus¬
sischen Städte durch Chausseen ist ein Riesenwerk, zu dessen Vollendung noch sehr
viele Jahrzehnde gehören, da das bei der schwachen Bevölkerung sich uicht ver¬
zinsen und deshalb nie zur Vollendung gelangen wird. Die Regierung hat zwar
in allen Theilen des Reichs die Straßen durch Gräben bezeichnen lassen, allein
nur durch diese Gräben sind ZV—40 Schritt breite Landstriche als Straßen zu
erkennen. Sie zeigen den natürlichen Erdboden, wie die Flächen daneben, und
werden durch die Regengüsse im Herbst und Frühjahr, so wie durch die Schnee¬
wehen und das Festsrieren der tiefeingesahreuen Geleise völlig unbrauchbar. Der
Waarentransport geschieht mittels kleiner, ans riesenhaften Rädern sich bewegen¬
der Fahrzeuge, deren Körper die Gestalt eines Troges hat, und an denen ge¬
wöhnlich nicht eine Spur von Eisen zu finden ist. Ein solches Fuhrzeug, das
den Namen Kibitke sührt, kann nicht mehr an Last aufnehmen, als höchstens zehn
Centner. Es find daher viele solche Fuhrwerke erforderlich, um nur ein geringes
Waarenquantum zu versenden. So sieht man sie denn anch caravanenweise daher-
zieheu, oft sechzig bis siebzig hintereinander. Die große Menge des Zngviehes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/509>, abgerufen am 15.01.2025.