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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Preise für Manufacturwaaren übersteigen alle Begriffe eines nicht in Rußland le¬
benden Menschen. Ein Paar Gummischuhe, welche in Deutschland mit einem
Thaler gekauft werden, werden in Rußland mit vier bis fünf Thalern, eine frän¬
kische Lampe, welche in Deutschland einen Thaler kostet, wird in Rußland mit
neun Thalern bezahlt, für einen Sturzbadapparat, wie ich ihn in Deutschland
für elf Thaler kaufte, sah ich auf den Contracten in Berdiczew neunzig Thaler
zahlen. Eine Uhr nach deutschem Maßstabe zehn Thaler an Werth kauft man
im Jnnern Rußlands nicht unter 40--50 Thaler, ein Branntweinapparat nach Ver¬
hältniß des Gewichtes im Werthe von etwa 1200 Thalern, wird in Nußland für
8--9000 Thaler verkauft, eine Dreschmaschine, mit Heckselschneide, die ein deut¬
scher Oekonom mit 3^400 Thalern schon zu hoch bezahlen würde, sah 'ich unfern
Romanow in Lithauen mit 4700 Thaler, bezahlen.

Diese Nieseuprcise haben natürlich in der geringen Zahl der Fabriken, in der
Vernichtung der Concurrenz durch die Grenzsperre und in dem vervielfachten Com¬
missionswesen ihren Grund, sie stehen in einem gefährlichen Mißverhältniß zu dem
niedrigen Preis der Naturproducte und Rohstoffe des Landes. Um das Unge¬
sunde des Verhältnisses zwischen Production und Konsumtion, dem Handel mit
Rohprvducteu und dem mit Fabrikaten zu verstehen, folgen Sie mir noch in die
Prvductengeschäfte.

Nußland läßt beiläufig für 300 Millionen Rubel Rohstoffe und landwirth-
schaftliche Producte in das Ausland gehen. Diese Artikel sind vorzugsweise Pelz¬
werk aus Großrußland und Sibirien, Talg, Schmeer, Borste" und Häute aus
Südrußland, besonders den Steppenländern, Caviar von der Südküste, und
Getraide, besonders Weizen, aus Westrußland, Podolien, Wolhynien und der
Ukräue. Im Getreidehandel werden die größten Geschäfte aus deu Contracte"
in Berdiczew und Kiew gemacht, wo die Edelleute aus fast ganz Westrußland zu¬
sammenkommen und die Aufkäufer finden, welche Odessaer Agenten heißen, und
großentheilZ Juden sind. Es ist interessant, diese Geschäfte zu beobachten. Der
Stolz verwehrt es stets den vornehmen Herren, sich ans kleinliche Mäkelei einzu¬
lassen. Genehmigt der Aufkäufer die Forderung nicht, so wird er mit kurzem
Wort über die Schwelle gewiesen. Versucht er die Forderung des Edelmanns in
jüdischer Weise zu beschränken, so ist er in Gefahr aus dem Zimmer geworfen zu
werden. Allein so weit treibt er es nicht, denn er weiß sicher genug die Schwä¬
chen des Verkäufers zu nützen. Nachdem er über die Forderung des Edelmanns
sehr ernsthaft die Achsel gezuckt und diesen irre gemacht hat, entfernt er sich be¬
dauernd. Nach wenigen Stunden sendet er einen Helfershelfer zu dem Edelmann,
und dieser findet die Forderung erniedrigt. Allein auch dieser geht nicht auf das
Geschäft ein und entfernt sich seufzend über den unmöglichen Preis. Endlich, nach¬
dem ein dritter und vierter Secundant durch seinen Schmerz den Gutsbesitzer


Grenzboten. IV. 184". g/j.

Preise für Manufacturwaaren übersteigen alle Begriffe eines nicht in Rußland le¬
benden Menschen. Ein Paar Gummischuhe, welche in Deutschland mit einem
Thaler gekauft werden, werden in Rußland mit vier bis fünf Thalern, eine frän¬
kische Lampe, welche in Deutschland einen Thaler kostet, wird in Rußland mit
neun Thalern bezahlt, für einen Sturzbadapparat, wie ich ihn in Deutschland
für elf Thaler kaufte, sah ich auf den Contracten in Berdiczew neunzig Thaler
zahlen. Eine Uhr nach deutschem Maßstabe zehn Thaler an Werth kauft man
im Jnnern Rußlands nicht unter 40—50 Thaler, ein Branntweinapparat nach Ver¬
hältniß des Gewichtes im Werthe von etwa 1200 Thalern, wird in Nußland für
8—9000 Thaler verkauft, eine Dreschmaschine, mit Heckselschneide, die ein deut¬
scher Oekonom mit 3^400 Thalern schon zu hoch bezahlen würde, sah 'ich unfern
Romanow in Lithauen mit 4700 Thaler, bezahlen.

Diese Nieseuprcise haben natürlich in der geringen Zahl der Fabriken, in der
Vernichtung der Concurrenz durch die Grenzsperre und in dem vervielfachten Com¬
missionswesen ihren Grund, sie stehen in einem gefährlichen Mißverhältniß zu dem
niedrigen Preis der Naturproducte und Rohstoffe des Landes. Um das Unge¬
sunde des Verhältnisses zwischen Production und Konsumtion, dem Handel mit
Rohprvducteu und dem mit Fabrikaten zu verstehen, folgen Sie mir noch in die
Prvductengeschäfte.

Nußland läßt beiläufig für 300 Millionen Rubel Rohstoffe und landwirth-
schaftliche Producte in das Ausland gehen. Diese Artikel sind vorzugsweise Pelz¬
werk aus Großrußland und Sibirien, Talg, Schmeer, Borste» und Häute aus
Südrußland, besonders den Steppenländern, Caviar von der Südküste, und
Getraide, besonders Weizen, aus Westrußland, Podolien, Wolhynien und der
Ukräue. Im Getreidehandel werden die größten Geschäfte aus deu Contracte»
in Berdiczew und Kiew gemacht, wo die Edelleute aus fast ganz Westrußland zu¬
sammenkommen und die Aufkäufer finden, welche Odessaer Agenten heißen, und
großentheilZ Juden sind. Es ist interessant, diese Geschäfte zu beobachten. Der
Stolz verwehrt es stets den vornehmen Herren, sich ans kleinliche Mäkelei einzu¬
lassen. Genehmigt der Aufkäufer die Forderung nicht, so wird er mit kurzem
Wort über die Schwelle gewiesen. Versucht er die Forderung des Edelmanns in
jüdischer Weise zu beschränken, so ist er in Gefahr aus dem Zimmer geworfen zu
werden. Allein so weit treibt er es nicht, denn er weiß sicher genug die Schwä¬
chen des Verkäufers zu nützen. Nachdem er über die Forderung des Edelmanns
sehr ernsthaft die Achsel gezuckt und diesen irre gemacht hat, entfernt er sich be¬
dauernd. Nach wenigen Stunden sendet er einen Helfershelfer zu dem Edelmann,
und dieser findet die Forderung erniedrigt. Allein auch dieser geht nicht auf das
Geschäft ein und entfernt sich seufzend über den unmöglichen Preis. Endlich, nach¬
dem ein dritter und vierter Secundant durch seinen Schmerz den Gutsbesitzer


Grenzboten. IV. 184». g/j.
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[0508] Preise für Manufacturwaaren übersteigen alle Begriffe eines nicht in Rußland le¬ benden Menschen. Ein Paar Gummischuhe, welche in Deutschland mit einem Thaler gekauft werden, werden in Rußland mit vier bis fünf Thalern, eine frän¬ kische Lampe, welche in Deutschland einen Thaler kostet, wird in Rußland mit neun Thalern bezahlt, für einen Sturzbadapparat, wie ich ihn in Deutschland für elf Thaler kaufte, sah ich auf den Contracten in Berdiczew neunzig Thaler zahlen. Eine Uhr nach deutschem Maßstabe zehn Thaler an Werth kauft man im Jnnern Rußlands nicht unter 40—50 Thaler, ein Branntweinapparat nach Ver¬ hältniß des Gewichtes im Werthe von etwa 1200 Thalern, wird in Nußland für 8—9000 Thaler verkauft, eine Dreschmaschine, mit Heckselschneide, die ein deut¬ scher Oekonom mit 3^400 Thalern schon zu hoch bezahlen würde, sah 'ich unfern Romanow in Lithauen mit 4700 Thaler, bezahlen. Diese Nieseuprcise haben natürlich in der geringen Zahl der Fabriken, in der Vernichtung der Concurrenz durch die Grenzsperre und in dem vervielfachten Com¬ missionswesen ihren Grund, sie stehen in einem gefährlichen Mißverhältniß zu dem niedrigen Preis der Naturproducte und Rohstoffe des Landes. Um das Unge¬ sunde des Verhältnisses zwischen Production und Konsumtion, dem Handel mit Rohprvducteu und dem mit Fabrikaten zu verstehen, folgen Sie mir noch in die Prvductengeschäfte. Nußland läßt beiläufig für 300 Millionen Rubel Rohstoffe und landwirth- schaftliche Producte in das Ausland gehen. Diese Artikel sind vorzugsweise Pelz¬ werk aus Großrußland und Sibirien, Talg, Schmeer, Borste» und Häute aus Südrußland, besonders den Steppenländern, Caviar von der Südküste, und Getraide, besonders Weizen, aus Westrußland, Podolien, Wolhynien und der Ukräue. Im Getreidehandel werden die größten Geschäfte aus deu Contracte» in Berdiczew und Kiew gemacht, wo die Edelleute aus fast ganz Westrußland zu¬ sammenkommen und die Aufkäufer finden, welche Odessaer Agenten heißen, und großentheilZ Juden sind. Es ist interessant, diese Geschäfte zu beobachten. Der Stolz verwehrt es stets den vornehmen Herren, sich ans kleinliche Mäkelei einzu¬ lassen. Genehmigt der Aufkäufer die Forderung nicht, so wird er mit kurzem Wort über die Schwelle gewiesen. Versucht er die Forderung des Edelmanns in jüdischer Weise zu beschränken, so ist er in Gefahr aus dem Zimmer geworfen zu werden. Allein so weit treibt er es nicht, denn er weiß sicher genug die Schwä¬ chen des Verkäufers zu nützen. Nachdem er über die Forderung des Edelmanns sehr ernsthaft die Achsel gezuckt und diesen irre gemacht hat, entfernt er sich be¬ dauernd. Nach wenigen Stunden sendet er einen Helfershelfer zu dem Edelmann, und dieser findet die Forderung erniedrigt. Allein auch dieser geht nicht auf das Geschäft ein und entfernt sich seufzend über den unmöglichen Preis. Endlich, nach¬ dem ein dritter und vierter Secundant durch seinen Schmerz den Gutsbesitzer Grenzboten. IV. 184». g/j.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/508>, abgerufen am 15.01.2025.