Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Auf dem Stadtplätze in Berdiczew freute mich der Gildcnstolz der ehrenwer- Auf dem Markt stießen wir zunächst aus einige italienische Geschäfte, deren *) Ein Beispiel von der Art, wie ein Kaufmann hier Fortune macht. Bei Schafnagel
sah ich einen etwa fünf und dreißig Jahre alten Mann Namens L..... Dieser Mensch, dessen geistige Beschränktheit ungewöhnlich stark in seiner Physiognomie ausgeprägt war, hatte in dem Jahre 18Z2 oder seine Vaterstadt Berlin wegen unsauberer Händel verlassen. In sehr dürftiger Lage zu Warschau angelangt, fand er ein Unterkommen in ven Fabrikgeschäft eines gewissen Minder. Nachdem er mehrere Jahre in diesem Geschäft gear¬ beitet, wurde er vom Fabrikanten nach Berdiczew geschickt, damit er dort ein Verkaufsgeschäft für die Fabrikate der Firma einrichte. Die russischen Edelleute, die in diesem Commissions¬ geschäft zum ersten Male brillante von Gold blitzende Oellampcn, gemalte Kaffcebretter und Theegefäße, lackirte Badewanne", englische Stuben-Badeapparate, eiserne schön gemalte Stühle und ähnliche Dinge sahen, kauften so begierig, daß zwei schleunige Nachsendungen nöthig wurden. Dieser Zudrang brachte L.,.. natürlich auf die Idee, die Preise zu seinen Gunsten weit über die Höhe, die sie nach Bestimmung des Fabrikanten haben sollten, zu steigern. Auf solche Weise erwarb sich dieser Mensch in wenigen Jahren ein solches Vermö¬ gen, daß er das Berdiczewschc Waarenlager des Minder als Eigenthum übernehmen und um die Hand der zweiten Tochter des Kaufmann Schafnagel anhalten konnte. Der Herr Baron stellte ihm vor Allem die Forderung, daß er sich in die erste Gilde aufnehmen lasse, damit er seiner Tochter ebenbürtig werde. Die Bedingungen wurden erfüllt, und der Ehrenmann führte vor etwa fünf Jahren die Gildenbaronesse heim. Ich wiederhole, er war sehr dumm. Der¬ gleichen Carrieren sind häusig und kommen in jeder größeren russischen Stadt vor. Auf dem Stadtplätze in Berdiczew freute mich der Gildcnstolz der ehrenwer- Auf dem Markt stießen wir zunächst aus einige italienische Geschäfte, deren *) Ein Beispiel von der Art, wie ein Kaufmann hier Fortune macht. Bei Schafnagel
sah ich einen etwa fünf und dreißig Jahre alten Mann Namens L..... Dieser Mensch, dessen geistige Beschränktheit ungewöhnlich stark in seiner Physiognomie ausgeprägt war, hatte in dem Jahre 18Z2 oder seine Vaterstadt Berlin wegen unsauberer Händel verlassen. In sehr dürftiger Lage zu Warschau angelangt, fand er ein Unterkommen in ven Fabrikgeschäft eines gewissen Minder. Nachdem er mehrere Jahre in diesem Geschäft gear¬ beitet, wurde er vom Fabrikanten nach Berdiczew geschickt, damit er dort ein Verkaufsgeschäft für die Fabrikate der Firma einrichte. Die russischen Edelleute, die in diesem Commissions¬ geschäft zum ersten Male brillante von Gold blitzende Oellampcn, gemalte Kaffcebretter und Theegefäße, lackirte Badewanne», englische Stuben-Badeapparate, eiserne schön gemalte Stühle und ähnliche Dinge sahen, kauften so begierig, daß zwei schleunige Nachsendungen nöthig wurden. Dieser Zudrang brachte L.,.. natürlich auf die Idee, die Preise zu seinen Gunsten weit über die Höhe, die sie nach Bestimmung des Fabrikanten haben sollten, zu steigern. Auf solche Weise erwarb sich dieser Mensch in wenigen Jahren ein solches Vermö¬ gen, daß er das Berdiczewschc Waarenlager des Minder als Eigenthum übernehmen und um die Hand der zweiten Tochter des Kaufmann Schafnagel anhalten konnte. Der Herr Baron stellte ihm vor Allem die Forderung, daß er sich in die erste Gilde aufnehmen lasse, damit er seiner Tochter ebenbürtig werde. Die Bedingungen wurden erfüllt, und der Ehrenmann führte vor etwa fünf Jahren die Gildenbaronesse heim. Ich wiederhole, er war sehr dumm. Der¬ gleichen Carrieren sind häusig und kommen in jeder größeren russischen Stadt vor. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280052"/> <p xml:id="ID_1738"> Auf dem Stadtplätze in Berdiczew freute mich der Gildcnstolz der ehrenwer-<lb/> the» Haudelsherreu. Wir fanden nämlich auf mehreren Firmen die Bemerkung<lb/> „Kaufmann erster Gilde/' „Kaufmann zweiter Gilde." Die Kaufmannschaft ist<lb/> in Nußland nämlich in drei Gilden eingetheilt, nach der Ausdehnung ihres Ge¬<lb/> schäfts und der Stenerqnote, welche sie an die Krone zu zahlen hat. Die erste<lb/> Gilde verleiht eine Art Adel, und groß ist der Stolz, welchen ein solcher Gilden-<lb/> adel, die offizielle Vermehrung der persönlichen Würde dem wackeren Ladenmeister<lb/> in den Kopf setzt. Denn im ganzen Lande hat nichts Ansetzn, was nicht so<lb/> glücklich ist, sich als Edelmann legitimiren zu können. Dafür holen sich häufig<lb/> Generäle und Staatsräthe ihre Gemahlinnen hinter dem Ladentisch der Herren<lb/> von der ersten Gilde. Berdiczew liefert eilt sehr berühmtes Beispiel, den Kauf¬<lb/> mann Schafnagel, spätern Baron von Schafnagcl, russischen Kaufmann erster<lb/> Gilde, Schwiegervater des General von Rosen, über den er einst sehr stolz und<lb/> glücklich war.")</p><lb/> <p xml:id="ID_1739"> Auf dem Markt stießen wir zunächst aus einige italienische Geschäfte, deren<lb/> Hauptartikel Südfrüchte und Farbestoffe waren. Sie gehörten nach Odessa. Doch<lb/> sind es nur kleinere Hänser, welche die Mühe, ihre Waaren durch die weiten öden<lb/> Steppen in die Städte des Inneren zu transportiren, nicht schenen. Mau könnte<lb/> gerade diese Geschäfte die uusolideu nennen, denn in ihrer Gewinuberechnuug ist<lb/> der Zvllunterschleis ein regelmäßiger Posten. Nirgend so bequem als in Ru߬<lb/> land ist die Defraudation zu bewerkstelligen, wenn die Waaren von ihrem Eigen¬<lb/> thümer oder dessen Stellvertreter begleitet werden. Bei Versendungen ist das<lb/> Verhältniß natürlich ein anderes.</p><lb/> <note xml:id="FID_33" place="foot"> *) Ein Beispiel von der Art, wie ein Kaufmann hier Fortune macht. Bei Schafnagel<lb/> sah ich einen etwa fünf und dreißig Jahre alten Mann Namens L..... Dieser Mensch,<lb/> dessen geistige Beschränktheit ungewöhnlich stark in seiner Physiognomie ausgeprägt war,<lb/> hatte in dem Jahre 18Z2 oder seine Vaterstadt Berlin wegen unsauberer Händel<lb/> verlassen. In sehr dürftiger Lage zu Warschau angelangt, fand er ein Unterkommen in ven<lb/> Fabrikgeschäft eines gewissen Minder. Nachdem er mehrere Jahre in diesem Geschäft gear¬<lb/> beitet, wurde er vom Fabrikanten nach Berdiczew geschickt, damit er dort ein Verkaufsgeschäft<lb/> für die Fabrikate der Firma einrichte. Die russischen Edelleute, die in diesem Commissions¬<lb/> geschäft zum ersten Male brillante von Gold blitzende Oellampcn, gemalte Kaffcebretter und<lb/> Theegefäße, lackirte Badewanne», englische Stuben-Badeapparate, eiserne schön gemalte<lb/> Stühle und ähnliche Dinge sahen, kauften so begierig, daß zwei schleunige Nachsendungen<lb/> nöthig wurden. Dieser Zudrang brachte L.,.. natürlich auf die Idee, die Preise zu seinen<lb/> Gunsten weit über die Höhe, die sie nach Bestimmung des Fabrikanten haben sollten, zu<lb/> steigern. Auf solche Weise erwarb sich dieser Mensch in wenigen Jahren ein solches Vermö¬<lb/> gen, daß er das Berdiczewschc Waarenlager des Minder als Eigenthum übernehmen und um die<lb/> Hand der zweiten Tochter des Kaufmann Schafnagel anhalten konnte. Der Herr Baron<lb/> stellte ihm vor Allem die Forderung, daß er sich in die erste Gilde aufnehmen lasse, damit er<lb/> seiner Tochter ebenbürtig werde. Die Bedingungen wurden erfüllt, und der Ehrenmann führte<lb/> vor etwa fünf Jahren die Gildenbaronesse heim. Ich wiederhole, er war sehr dumm. Der¬<lb/> gleichen Carrieren sind häusig und kommen in jeder größeren russischen Stadt vor.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
Auf dem Stadtplätze in Berdiczew freute mich der Gildcnstolz der ehrenwer-
the» Haudelsherreu. Wir fanden nämlich auf mehreren Firmen die Bemerkung
„Kaufmann erster Gilde/' „Kaufmann zweiter Gilde." Die Kaufmannschaft ist
in Nußland nämlich in drei Gilden eingetheilt, nach der Ausdehnung ihres Ge¬
schäfts und der Stenerqnote, welche sie an die Krone zu zahlen hat. Die erste
Gilde verleiht eine Art Adel, und groß ist der Stolz, welchen ein solcher Gilden-
adel, die offizielle Vermehrung der persönlichen Würde dem wackeren Ladenmeister
in den Kopf setzt. Denn im ganzen Lande hat nichts Ansetzn, was nicht so
glücklich ist, sich als Edelmann legitimiren zu können. Dafür holen sich häufig
Generäle und Staatsräthe ihre Gemahlinnen hinter dem Ladentisch der Herren
von der ersten Gilde. Berdiczew liefert eilt sehr berühmtes Beispiel, den Kauf¬
mann Schafnagel, spätern Baron von Schafnagcl, russischen Kaufmann erster
Gilde, Schwiegervater des General von Rosen, über den er einst sehr stolz und
glücklich war.")
Auf dem Markt stießen wir zunächst aus einige italienische Geschäfte, deren
Hauptartikel Südfrüchte und Farbestoffe waren. Sie gehörten nach Odessa. Doch
sind es nur kleinere Hänser, welche die Mühe, ihre Waaren durch die weiten öden
Steppen in die Städte des Inneren zu transportiren, nicht schenen. Mau könnte
gerade diese Geschäfte die uusolideu nennen, denn in ihrer Gewinuberechnuug ist
der Zvllunterschleis ein regelmäßiger Posten. Nirgend so bequem als in Ru߬
land ist die Defraudation zu bewerkstelligen, wenn die Waaren von ihrem Eigen¬
thümer oder dessen Stellvertreter begleitet werden. Bei Versendungen ist das
Verhältniß natürlich ein anderes.
*) Ein Beispiel von der Art, wie ein Kaufmann hier Fortune macht. Bei Schafnagel
sah ich einen etwa fünf und dreißig Jahre alten Mann Namens L..... Dieser Mensch,
dessen geistige Beschränktheit ungewöhnlich stark in seiner Physiognomie ausgeprägt war,
hatte in dem Jahre 18Z2 oder seine Vaterstadt Berlin wegen unsauberer Händel
verlassen. In sehr dürftiger Lage zu Warschau angelangt, fand er ein Unterkommen in ven
Fabrikgeschäft eines gewissen Minder. Nachdem er mehrere Jahre in diesem Geschäft gear¬
beitet, wurde er vom Fabrikanten nach Berdiczew geschickt, damit er dort ein Verkaufsgeschäft
für die Fabrikate der Firma einrichte. Die russischen Edelleute, die in diesem Commissions¬
geschäft zum ersten Male brillante von Gold blitzende Oellampcn, gemalte Kaffcebretter und
Theegefäße, lackirte Badewanne», englische Stuben-Badeapparate, eiserne schön gemalte
Stühle und ähnliche Dinge sahen, kauften so begierig, daß zwei schleunige Nachsendungen
nöthig wurden. Dieser Zudrang brachte L.,.. natürlich auf die Idee, die Preise zu seinen
Gunsten weit über die Höhe, die sie nach Bestimmung des Fabrikanten haben sollten, zu
steigern. Auf solche Weise erwarb sich dieser Mensch in wenigen Jahren ein solches Vermö¬
gen, daß er das Berdiczewschc Waarenlager des Minder als Eigenthum übernehmen und um die
Hand der zweiten Tochter des Kaufmann Schafnagel anhalten konnte. Der Herr Baron
stellte ihm vor Allem die Forderung, daß er sich in die erste Gilde aufnehmen lasse, damit er
seiner Tochter ebenbürtig werde. Die Bedingungen wurden erfüllt, und der Ehrenmann führte
vor etwa fünf Jahren die Gildenbaronesse heim. Ich wiederhole, er war sehr dumm. Der¬
gleichen Carrieren sind häusig und kommen in jeder größeren russischen Stadt vor.
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