Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Schäfte verrichteten, sind eine der merkwürdigsten Volksklassen Großrußlands. In In dem wilden Gewirr fielen die russischen Soldaten auf. Bald schlichen An einem Sonntage begannen die Contracte. Zuerst fiel die bunte Mischung Schäfte verrichteten, sind eine der merkwürdigsten Volksklassen Großrußlands. In In dem wilden Gewirr fielen die russischen Soldaten auf. Bald schlichen An einem Sonntage begannen die Contracte. Zuerst fiel die bunte Mischung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280051"/> <p xml:id="ID_1735" prev="#ID_1734"> Schäfte verrichteten, sind eine der merkwürdigsten Volksklassen Großrußlands. In<lb/> ihrer Tracht: weißen groben Pluderhosen, einem kurzen weißen Kittel, unbedeckter<lb/> Brust und hoher zuckerhutfvrmiger, nur oben ein wenig eingedrückter weißer Filz¬<lb/> mütze erscheinen sie bei Tage wie Pierrots, bei Nacht wie Gespenster. Uebrigens<lb/> besitzen diese Leute alle Tugenden, welche ein Markthelfer besitzen muß. Sie sind<lb/> unverdrossen, treu und ehrlich. Letzteres Prädicat erleidet jedoch eine gewisse<lb/> Beschränkung bei Eßwncireu. Sobald sie an etwas Genießbares kommen können,<lb/> werden sie schwach.</p><lb/> <p xml:id="ID_1736"> In dem wilden Gewirr fielen die russischen Soldaten auf. Bald schlichen<lb/> sie in den Winkeln umher und spähten, wo Jemandem etwas zu mausen sei,<lb/> bald gingen sie von Bude zu Bude und boten sich gegen Lohn und Kost sür<lb/> die Zeit der Contracte als Gehilfen oder Geschäftshüter an. Das war mir neu; ja<lb/> und vielen dieser schlaffen unifvrmirtcn Leute wurde von den Händlern Vertrauen<lb/> geschenkt. „Sie arbeiten billig," sagte man mir, „und bestehlen nie den, welchem<lb/> sie dienen. Freilich die benachbarten Handelsgeschäfte sind durch diese Ladenhüter<lb/> in Gefahr versetzt, und darum hat der Kaufmann, welcher einen solchen Diener<lb/> annimmt, stets Streit und Kampf mit seinen Nachbarn." Des Nachts sieht man<lb/> vor deu geschlossenen Geschäftslokalen eine Menge Soldaten als Wächter sitzen;<lb/> den» vereidete Marktwächter existiren nicht. Obgleich aber die Zahl solcher Wächter<lb/> ziemlich groß ist, so kommen doch nirgends so viele Diebstähle vor als auf den<lb/> russischen Messen. Es fällt häufig vor, daß Läden ganz ausgeräumt, ganze Waa¬<lb/> renlager entwendet werden. Die Städte leisten keine Bürgschaft und gewähren<lb/> durchaus keine Entschädigung; desto mehr werden durch diese Unsicherheit der Waa¬<lb/> renlager die großen Handelshäuser abgehalten, die Meßplätze auf eigne Rechnung<lb/> beziehen zu lassen. Sie verkaufen an kleinere Hänser, diese thun vielleicht das¬<lb/> selbe und so findet oft die Waare erst in der vierten oder fünften Hand einen<lb/> Kaufmann, der es riskirt, sie auf dem Meßplatze auszustellen. Diese Wanderung<lb/> der Fabrikate durch verschiedene Hände treibt ihre Preise natürlich sehr in die Höhe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1737"> An einem Sonntage begannen die Contracte. Zuerst fiel die bunte Mischung<lb/> der Nationen im Kausmannsstaude ans. Die Russen sind die kleinste Zahl, Grie¬<lb/> chen, Italiener, Franzosen und vorzüglich Deutsche die Mehrzahl, Letztere machen<lb/> durch ganz Rußland einen sehr bedeutenden Theil der Kaufmannschaft aus und<lb/> haben sich bis weit hinter die asiatische Grenze, bis zu den Obtschaigebirgen, ziem¬<lb/> lich gleichmäßig vertheilt. Die anderen Nationalitäten im Handelsstande beschrän¬<lb/> ken sich auf gewisse Gebietstheile. Griechische und italienische Handelshäuser'find<lb/> vorzugsweise in Südrußland, an der Ostseeküste schwedische, norwegische, franzö¬<lb/> sische. Die Fabrikanten sind zumeist Engländer, gleich starken Antheil haben die<lb/> Deutschen, auf der dritten Stufe stehen die Franzosen, auf der vierten die Nie¬<lb/> derländer; die Russen selbst haben den kleinsten Antheil. — Ein unnatürliches<lb/> Verhältniß, wodurch die natürliche Entwickelung der Volkskraft sehr gestört wird!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0503]
Schäfte verrichteten, sind eine der merkwürdigsten Volksklassen Großrußlands. In
ihrer Tracht: weißen groben Pluderhosen, einem kurzen weißen Kittel, unbedeckter
Brust und hoher zuckerhutfvrmiger, nur oben ein wenig eingedrückter weißer Filz¬
mütze erscheinen sie bei Tage wie Pierrots, bei Nacht wie Gespenster. Uebrigens
besitzen diese Leute alle Tugenden, welche ein Markthelfer besitzen muß. Sie sind
unverdrossen, treu und ehrlich. Letzteres Prädicat erleidet jedoch eine gewisse
Beschränkung bei Eßwncireu. Sobald sie an etwas Genießbares kommen können,
werden sie schwach.
In dem wilden Gewirr fielen die russischen Soldaten auf. Bald schlichen
sie in den Winkeln umher und spähten, wo Jemandem etwas zu mausen sei,
bald gingen sie von Bude zu Bude und boten sich gegen Lohn und Kost sür
die Zeit der Contracte als Gehilfen oder Geschäftshüter an. Das war mir neu; ja
und vielen dieser schlaffen unifvrmirtcn Leute wurde von den Händlern Vertrauen
geschenkt. „Sie arbeiten billig," sagte man mir, „und bestehlen nie den, welchem
sie dienen. Freilich die benachbarten Handelsgeschäfte sind durch diese Ladenhüter
in Gefahr versetzt, und darum hat der Kaufmann, welcher einen solchen Diener
annimmt, stets Streit und Kampf mit seinen Nachbarn." Des Nachts sieht man
vor deu geschlossenen Geschäftslokalen eine Menge Soldaten als Wächter sitzen;
den» vereidete Marktwächter existiren nicht. Obgleich aber die Zahl solcher Wächter
ziemlich groß ist, so kommen doch nirgends so viele Diebstähle vor als auf den
russischen Messen. Es fällt häufig vor, daß Läden ganz ausgeräumt, ganze Waa¬
renlager entwendet werden. Die Städte leisten keine Bürgschaft und gewähren
durchaus keine Entschädigung; desto mehr werden durch diese Unsicherheit der Waa¬
renlager die großen Handelshäuser abgehalten, die Meßplätze auf eigne Rechnung
beziehen zu lassen. Sie verkaufen an kleinere Hänser, diese thun vielleicht das¬
selbe und so findet oft die Waare erst in der vierten oder fünften Hand einen
Kaufmann, der es riskirt, sie auf dem Meßplatze auszustellen. Diese Wanderung
der Fabrikate durch verschiedene Hände treibt ihre Preise natürlich sehr in die Höhe.
An einem Sonntage begannen die Contracte. Zuerst fiel die bunte Mischung
der Nationen im Kausmannsstaude ans. Die Russen sind die kleinste Zahl, Grie¬
chen, Italiener, Franzosen und vorzüglich Deutsche die Mehrzahl, Letztere machen
durch ganz Rußland einen sehr bedeutenden Theil der Kaufmannschaft aus und
haben sich bis weit hinter die asiatische Grenze, bis zu den Obtschaigebirgen, ziem¬
lich gleichmäßig vertheilt. Die anderen Nationalitäten im Handelsstande beschrän¬
ken sich auf gewisse Gebietstheile. Griechische und italienische Handelshäuser'find
vorzugsweise in Südrußland, an der Ostseeküste schwedische, norwegische, franzö¬
sische. Die Fabrikanten sind zumeist Engländer, gleich starken Antheil haben die
Deutschen, auf der dritten Stufe stehen die Franzosen, auf der vierten die Nie¬
derländer; die Russen selbst haben den kleinsten Antheil. — Ein unnatürliches
Verhältniß, wodurch die natürliche Entwickelung der Volkskraft sehr gestört wird!
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