Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.lich den Schnitzwerken an den Portalen, den Bildhauerarbeiten am Chor, den Weiter. Von der Höhe des Thurmes aus betrachtet sich der Dichter die man sonst nur noch im Wörterbuch findet; die Periode besteht aus Appositionen, aus Bildern die erst, in ihrer Totalität das Gemälde veranschaulichen. Der logische Gang, der leichte Fluß, die Klarheit und Durchsichtigkeit, welche sonst den französischen Satzbau auszeichnen, geht in diesem rein materiellen Gewicht der Worte verloren. Gelehrsamkeit ohne Ordnung und Phantasie ohne eignen Inhalt, von gelehrten Reminiscenzen genährt, das ist der Cha¬ rakter seiner Sprache. Grenzboten. >v. 1,8-IN. ,^
lich den Schnitzwerken an den Portalen, den Bildhauerarbeiten am Chor, den Weiter. Von der Höhe des Thurmes aus betrachtet sich der Dichter die man sonst nur noch im Wörterbuch findet; die Periode besteht aus Appositionen, aus Bildern die erst, in ihrer Totalität das Gemälde veranschaulichen. Der logische Gang, der leichte Fluß, die Klarheit und Durchsichtigkeit, welche sonst den französischen Satzbau auszeichnen, geht in diesem rein materiellen Gewicht der Worte verloren. Gelehrsamkeit ohne Ordnung und Phantasie ohne eignen Inhalt, von gelehrten Reminiscenzen genährt, das ist der Cha¬ rakter seiner Sprache. Grenzboten. >v. 1,8-IN. ,^
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lich den Schnitzwerken an den Portalen, den Bildhauerarbeiten am Chor, den
Drachen, Nosen und Schmetterlingen an den Schwibbogen. Wie der Epheu an
den umgestürzten Säulen, haben sie ihr Leben nur in ihrer Beziehung auf den
Stein; von ihm abgelöst, würden sie in Staub zerfallen. Es scheint auf den
ersten Anblick eine Vergeistigung der Materie, fleht man aber näher zu, so ist
es eine Versteinerung des Menschlichen. Durch den Bann, der ihn an den Stein
fesselt, hat der Geist sein eigentliches Wesen verloren.
Weiter. Von der Höhe des Thurmes aus betrachtet sich der Dichter die
Aussicht. Er stellt sich die Straßen in Bewegung vor, und combinirt diese Be¬
wegung mit den Figuren, welche die Kirche selbst ihm eingegeben hat, sowie mit
den Trachten und Sitten der Zeit, die er schildern will. Daraus wird nun der
Volksauslaus bei einem erwarteten Schauspiel, ein Narreufest, ein Sturm auf die
Kirche u. s. w. Nicht der historische Pragmatismus, nicht die philosophische Idee,
sondern die Rücksicht auf den pittoresken Effect bestimmt deu Lauf der Begeben¬
heiten. — Von der Kirche aus geht der Gang aus den Grvveplatz, dieser macht
eine Hinrichtung nöthig, die einzelnen Gebäude, welche den Platz umgeben, werden
antiquarisch durchsucht; die Universität: also Scenen ans dem damaligen Studen-
tenleben, und die Figur eines normal-Studenten, der als weitere, hellfarbige
Arabeske vou den Nachtsceneu des alten Paris ein Relief erhielt; das Palais
de justice -— wozu wurde es damals benutzt? Zu Festspielen! Also es wird ein
Mysterium aufgeführt, um die Localitäten in das rechte Licht zu stellen, und den
Zuschauern zu malerischen Gruppen Veranlassung zu geben. In den letzteren wer¬
den sämmtliche Trachten, also auch sämmtliche Stände des damalige» Zeitalters
verwerthet. Das Mysterium führt zu der Figur des Dichters; trennt ihn von der
Scene, so ist es ein armseliges Machwerk, aber in diesem Fastnachts-Quodlibet nimmt
sich der Hanswurst gut genug aus. — Nun bleibt noch die eigentliche Hefe des
Volks und der politische Höhepunkt übrig, und so haben wir einerseits die Cour
des Miracles in ihrer phantastischen Nachtbeleuchtung, mit den Ameisenhaufen von
Bettlern, Zigeunern, Dieben und Mördern, die sich wie ein Jacques-Callotsches
Höllenstück in wundervollen Wendungen entfaltet; andererseits die düstern Hallen
der Bastille mit ihren unterirdischen Gefängnisse», ihren eiserne» Käsigen, den
Baumeister und gleichsam die Jncarnation derselben, König Ludwig XI. So ist
das alte Paris restaurirt. —
man sonst nur noch im Wörterbuch findet; die Periode besteht aus Appositionen, aus Bildern
die erst, in ihrer Totalität das Gemälde veranschaulichen. Der logische Gang, der leichte
Fluß, die Klarheit und Durchsichtigkeit, welche sonst den französischen Satzbau auszeichnen,
geht in diesem rein materiellen Gewicht der Worte verloren. Gelehrsamkeit ohne Ordnung
und Phantasie ohne eignen Inhalt, von gelehrten Reminiscenzen genährt, das ist der Cha¬
rakter seiner Sprache.
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