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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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selbst diesen nicht in genügender Quantität. Was sie sonst noch an Geld und Natural-
Rationen eigentlich erhalten sollen, weiß ich nicht genan; aber das in der dortigen
Militärverwaltung musterhaft organisirte Unterschleifsystem hat es Stabs- und
Oberoffizieren möglich gemacht an diesem Theile des Kriegsbudgets Reduktionen
und Ersparnisse vorzunehmen, von denen sich.Hume und Cobden in England kaum
etwas träumen lassen. Daher kommt es, daß die russischen Offiziere, auch wenn
sie kein eigenes Vermögen haben, doch gewöhnlich viel mehr Aufwand machen als
die unserigen, und hier in allen Läden und Handlungen sehr gern gesehene Gäste
waren, währeud die Mannschaft vom Feldwebel abwärts bei den mäßigsten Be¬
dürfnissen sich dennoch stets in finanziellen Verlegenheiten befindet. Die armen
Teufel können in der That mit ihren Paar Kopeken eben so wenig ausreichen als
Louis Napoleon mit seiner halben Million Franken. Man steht es ihnen an,
daß sie Noth leiden und mit ihrem Stande nicht zufrieden sind. Auch werden
sie dadurch veranlaßt, wo es "ur irgend angeht, kleine Expropriationen vorzuneh¬
men, und nach jedem Durchmärsche verschwand eine hübsche Quantität von silber¬
nen Löffeln, seidenen Tüchern, lebendigen Hühnern und dergl., die alle im Tor¬
nister und in den weiten Räumen des erwähnten grauen Mantels bequeme Unter-
kunft fanden und wehmüthig den Feldzug nach Ungarn mitmachten. Dagegen
Pflegen ankommende Russen auch wieder viele Dinge zum Verkaufe aufzubieten,
die sonst Soldaten, gewöhnlich nicht feil haben; wie z. B. Leder, ganze Stücke
Leinwand, Theekannen, Weiberkleider u. a. in., von denen schlechte Menschen arg¬
wöhnten, daß sie am nächstvorhergehenden Rastorte entführt worden waren.

Doch fürchten Sie nicht, daß diese "spezifisch glanbenskräftigcn" Slaven, von
denen gewisse fromme Herren bei Ihnen die Regeneration Europa's und nament¬
lich des dnrch Ueberbildung und Unglauben entnervten und entarteten Deutsch¬
lands erhoffen, bereits vom Gifte der sozialistischen und kommunistischen Ideen in"
ficirt sind und dadurch unfähig werden, ihre große Rolle durchzuführen.
Damit ist es nichts. Die Russen sind keine Sozialisten, sie sind unverdorbene,
spezifisch glaubenskräftige Naturdiebe, sie stehlen ohne alle Theorie aus innern:
Drange und in der Einfalt ihres Herzens etwa wie die Südseeinsulaner, nur daß
sie in der Manipulation selbst eine größere Virtuosität entwickeln, worüber man
sich sehr viel zu erzählen weiß.

Dies war der einzige Punkt, in dem wir uns über unsere Gäste ernst¬
haft zu beklagen hatten; sonst war man mit ihnen so ziemlich zufrieden. In den
Quartieren betrugen sie sich sehr bescheiden, machten keine Exzesse, aßen und tran¬
ken, was man ihnen vorsetzte, ohne je an der Qualität Ausstellungen zu machen,
nur im Betreff der Menge waren sie schwer zu befriedigen, wobei sie gewöhnlich
zu erinnern pflegten, daß sie ja für uns in den Krieg ziehen, und daher wohl
noch ein Gläschen Branntwein oder was es sonst war, verdienten. Dieses Argu"
neue verfehlte in der Regel seine Wirkung nicht. Nicht etwa, als ob bei uns


selbst diesen nicht in genügender Quantität. Was sie sonst noch an Geld und Natural-
Rationen eigentlich erhalten sollen, weiß ich nicht genan; aber das in der dortigen
Militärverwaltung musterhaft organisirte Unterschleifsystem hat es Stabs- und
Oberoffizieren möglich gemacht an diesem Theile des Kriegsbudgets Reduktionen
und Ersparnisse vorzunehmen, von denen sich.Hume und Cobden in England kaum
etwas träumen lassen. Daher kommt es, daß die russischen Offiziere, auch wenn
sie kein eigenes Vermögen haben, doch gewöhnlich viel mehr Aufwand machen als
die unserigen, und hier in allen Läden und Handlungen sehr gern gesehene Gäste
waren, währeud die Mannschaft vom Feldwebel abwärts bei den mäßigsten Be¬
dürfnissen sich dennoch stets in finanziellen Verlegenheiten befindet. Die armen
Teufel können in der That mit ihren Paar Kopeken eben so wenig ausreichen als
Louis Napoleon mit seiner halben Million Franken. Man steht es ihnen an,
daß sie Noth leiden und mit ihrem Stande nicht zufrieden sind. Auch werden
sie dadurch veranlaßt, wo es »ur irgend angeht, kleine Expropriationen vorzuneh¬
men, und nach jedem Durchmärsche verschwand eine hübsche Quantität von silber¬
nen Löffeln, seidenen Tüchern, lebendigen Hühnern und dergl., die alle im Tor¬
nister und in den weiten Räumen des erwähnten grauen Mantels bequeme Unter-
kunft fanden und wehmüthig den Feldzug nach Ungarn mitmachten. Dagegen
Pflegen ankommende Russen auch wieder viele Dinge zum Verkaufe aufzubieten,
die sonst Soldaten, gewöhnlich nicht feil haben; wie z. B. Leder, ganze Stücke
Leinwand, Theekannen, Weiberkleider u. a. in., von denen schlechte Menschen arg¬
wöhnten, daß sie am nächstvorhergehenden Rastorte entführt worden waren.

Doch fürchten Sie nicht, daß diese „spezifisch glanbenskräftigcn" Slaven, von
denen gewisse fromme Herren bei Ihnen die Regeneration Europa's und nament¬
lich des dnrch Ueberbildung und Unglauben entnervten und entarteten Deutsch¬
lands erhoffen, bereits vom Gifte der sozialistischen und kommunistischen Ideen in»
ficirt sind und dadurch unfähig werden, ihre große Rolle durchzuführen.
Damit ist es nichts. Die Russen sind keine Sozialisten, sie sind unverdorbene,
spezifisch glaubenskräftige Naturdiebe, sie stehlen ohne alle Theorie aus innern:
Drange und in der Einfalt ihres Herzens etwa wie die Südseeinsulaner, nur daß
sie in der Manipulation selbst eine größere Virtuosität entwickeln, worüber man
sich sehr viel zu erzählen weiß.

Dies war der einzige Punkt, in dem wir uns über unsere Gäste ernst¬
haft zu beklagen hatten; sonst war man mit ihnen so ziemlich zufrieden. In den
Quartieren betrugen sie sich sehr bescheiden, machten keine Exzesse, aßen und tran¬
ken, was man ihnen vorsetzte, ohne je an der Qualität Ausstellungen zu machen,
nur im Betreff der Menge waren sie schwer zu befriedigen, wobei sie gewöhnlich
zu erinnern pflegten, daß sie ja für uns in den Krieg ziehen, und daher wohl
noch ein Gläschen Branntwein oder was es sonst war, verdienten. Dieses Argu»
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/481>, abgerufen am 15.01.2025.