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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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merksaiukeit erwies, und sie in Kost und Wohnung irgendwie vor den Gemeinen
bevorzugte.

Die russische Infanterie sieht schlechter aus als die Cavallerie, und scheint
auch gegen diese zurückgesetzt zu werden. Schon die Uniform ist viel ärmlicher,
Frack'S und Beinkleider von Tuch nur zur Parade, sonst sieht man schlechte, schmutzige
Leinwandhosen und selbst mitten im Sommer lange, weite, graue Mäntel, die
plump und schlotterig an ihnen herunterhängen, gar nicht martialisch aussehen,
und in denen sie den Sträflingen in unserm Criminalgefängniß ähnlich Süden.
Auch ist es anffallend, daß sie durchgehends eine gebückte unsoldatische Hal¬
tung haben. Bei uns ist ein gewesener Soldat selbst nach langen Jahren noch
immer an der straffen Haltung und dem gleichmäßigen takthaltenden Schritte auf
den ersten Blick als "gedienter Mann" zu erkennen, während bei den Russen Ve¬
teranen wie Rekruten Haltung und Gang der Bauern behalten.

Zwischen russischen und östreichischen Soldaten ist der große Unterschied,
daß unsere Soldaten bei dem bestehenden Stellvertretungssysteme auch meist den
ärmern oder sogenannten arbeitenden Volksklassen angehörig, -- fast in der Ka¬
serne ein besseres Leben finden, als dasjenige, das sie zu Hause als Bauernknechte
oder Tagelöhner gewöhnt waren, sie werden von ihren Vorgesetzten wenigstens
nicht schlechter behandelt als von ihren frühern Brotherren. Sie sind daher fast
immer mit ihrem Stande zufrieden, lustig und gut aufgelegt. Namentlich in den
slavischen Provinzen, wo das Leben des gemeinen Soldaten, verglichen mit dem
des Arbeiters fast als ein luxuriöses und üppiges erscheint; sie nehmen auch gegen
ihre frühern Standesgenossen einen Ton vornehmer Ueberlegenheit an, und wissen
in der Schenke und aus dem Tanzboden stets den Vorrang vor den "Civilisten"
zu behaupten. -- Anders ist es in Rußland. Was bei uns erst eine November-
Errungenschaft (?) ist, daß die Armee nebenher auch als Strafanstalt benutzt wird,
das ist dort eine alte Institution, und es wird alljährlich eine Masse schlechten
Gestndels zur Strafe unter das Militär gesteckt. Dieser Bestandtheil der Armee
hat nun einen großen Einfluß auf die Behandlung iber Soldaten. Diese ist roh
und hart, oft sogar grausam. Was man von den Schrecknissen der Knute erzählt,
ist, so weit es das Heer betrifft, nicht übertrieben. Zu diesen systemisirten Prü¬
geln kommen dann noch diejenigen, die sie von ihren Vorgesetzten je nach deren
Launen gelegentlich als Accedenzien erhalten. Denn die russischen Offiziere sind
darin splendide und genereuse Herren, und gegen ihre Untergebenen sogar auf
öffentlicher Straße mit der Reitpeitsche oder der flachen Klinge stets zu rettender
That bereit. Es ist ihnen dies so zur Gewohnheit geworden, daß sie hin und
wieder nicht umhin konnten , auch unsere östreichischen Soldaten in solcher Weise
zu regaliren. Aber auch schlechter genährt werden die russischen Soldaten. Statt
des gesunden nahrhaften Brotes, das man bei uns hat, bekommen jene steinhar-
ten Zwieback, den man erst anfeuchten muß, um ihn genießbar zu machen, und


merksaiukeit erwies, und sie in Kost und Wohnung irgendwie vor den Gemeinen
bevorzugte.

Die russische Infanterie sieht schlechter aus als die Cavallerie, und scheint
auch gegen diese zurückgesetzt zu werden. Schon die Uniform ist viel ärmlicher,
Frack'S und Beinkleider von Tuch nur zur Parade, sonst sieht man schlechte, schmutzige
Leinwandhosen und selbst mitten im Sommer lange, weite, graue Mäntel, die
plump und schlotterig an ihnen herunterhängen, gar nicht martialisch aussehen,
und in denen sie den Sträflingen in unserm Criminalgefängniß ähnlich Süden.
Auch ist es anffallend, daß sie durchgehends eine gebückte unsoldatische Hal¬
tung haben. Bei uns ist ein gewesener Soldat selbst nach langen Jahren noch
immer an der straffen Haltung und dem gleichmäßigen takthaltenden Schritte auf
den ersten Blick als „gedienter Mann" zu erkennen, während bei den Russen Ve¬
teranen wie Rekruten Haltung und Gang der Bauern behalten.

Zwischen russischen und östreichischen Soldaten ist der große Unterschied,
daß unsere Soldaten bei dem bestehenden Stellvertretungssysteme auch meist den
ärmern oder sogenannten arbeitenden Volksklassen angehörig, — fast in der Ka¬
serne ein besseres Leben finden, als dasjenige, das sie zu Hause als Bauernknechte
oder Tagelöhner gewöhnt waren, sie werden von ihren Vorgesetzten wenigstens
nicht schlechter behandelt als von ihren frühern Brotherren. Sie sind daher fast
immer mit ihrem Stande zufrieden, lustig und gut aufgelegt. Namentlich in den
slavischen Provinzen, wo das Leben des gemeinen Soldaten, verglichen mit dem
des Arbeiters fast als ein luxuriöses und üppiges erscheint; sie nehmen auch gegen
ihre frühern Standesgenossen einen Ton vornehmer Ueberlegenheit an, und wissen
in der Schenke und aus dem Tanzboden stets den Vorrang vor den „Civilisten"
zu behaupten. — Anders ist es in Rußland. Was bei uns erst eine November-
Errungenschaft (?) ist, daß die Armee nebenher auch als Strafanstalt benutzt wird,
das ist dort eine alte Institution, und es wird alljährlich eine Masse schlechten
Gestndels zur Strafe unter das Militär gesteckt. Dieser Bestandtheil der Armee
hat nun einen großen Einfluß auf die Behandlung iber Soldaten. Diese ist roh
und hart, oft sogar grausam. Was man von den Schrecknissen der Knute erzählt,
ist, so weit es das Heer betrifft, nicht übertrieben. Zu diesen systemisirten Prü¬
geln kommen dann noch diejenigen, die sie von ihren Vorgesetzten je nach deren
Launen gelegentlich als Accedenzien erhalten. Denn die russischen Offiziere sind
darin splendide und genereuse Herren, und gegen ihre Untergebenen sogar auf
öffentlicher Straße mit der Reitpeitsche oder der flachen Klinge stets zu rettender
That bereit. Es ist ihnen dies so zur Gewohnheit geworden, daß sie hin und
wieder nicht umhin konnten , auch unsere östreichischen Soldaten in solcher Weise
zu regaliren. Aber auch schlechter genährt werden die russischen Soldaten. Statt
des gesunden nahrhaften Brotes, das man bei uns hat, bekommen jene steinhar-
ten Zwieback, den man erst anfeuchten muß, um ihn genießbar zu machen, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/480>, abgerufen am 15.01.2025.