Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.von Kaiser Franz und Sedlenitzky dursten die Hofschauspieler weder ansgcpfiffen Es ist schrecklich, daß Bänerle diese gute alte Zeit überleben mußte. Mit von Kaiser Franz und Sedlenitzky dursten die Hofschauspieler weder ansgcpfiffen Es ist schrecklich, daß Bänerle diese gute alte Zeit überleben mußte. Mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280019"/> <p xml:id="ID_1643" prev="#ID_1642"> von Kaiser Franz und Sedlenitzky dursten die Hofschauspieler weder ansgcpfiffen<lb/> noch in den Blättern getadelt werden. Man half sich daher durch Mäßigung<lb/> oder Steigerung des Lobes. Einem Künstler „richtige Auffassung", „gutes Spiel"<lb/> nachsagen, hieß ihn zum Selbstmord treiben; er raufte sich das Haar ans, klagte<lb/> beim Obercensor Sedlinitzky ans Jnjnrien und ließ den hämischen Recensenten<lb/> beim nächsten Neumond zwischen Burg- und Kärnthnerthvr durchprügeln; denn<lb/> wirkliche Anerkennung mußte durch den blümerantesten, pyramidalsten Unsinn aus¬<lb/> gedrückt werden. Die armen Windspiele Bäuerle's, seine Recensenten, litten<lb/> furchtbar während der Virtuvsensaison, das waren ihre Hundstage; nach dem<lb/> ersten Concert irgend eines Klavierhaners, der sich anständig benommen hatte,<lb/> waren alle Superlative der deutschen Sprache erschöpft, nun aber kam Chopin,<lb/> Thalberg, endlich gar Lißt, und die Recensenten erhielten Befehl, immer entzück¬<lb/> ter und verzückter zu werden, bis ihr Styl den Veitstanz oder das Delirium<lb/> tremens bekam. Bäncrle selbst ist ein praktischer Mann und seine Industrie über¬<lb/> traf die der k. k. Beamten durch Solidität; er stellte fixe Preise. Jede Lobprei¬<lb/> sung eines männlichen Virtuosen oder Gastspielers kostete, ohne Unterschied von<lb/> Stand, Alter und Talent, funfzig Gulden C.-M.</p><lb/> <p xml:id="ID_1644" next="#ID_1645"> Es ist schrecklich, daß Bänerle diese gute alte Zeit überleben mußte. Mit<lb/> dem Ausbruch der Revolution taufte er die Theaterzeitung „Courier" und warf<lb/> sich rasch auf Politik und Patriotismus. Im Sommer 48 versicherte er, stets<lb/> für den Fortschritt gewirkt zu haben. Nach den Octobertagen übernahm er die<lb/> Ausgabe, „Rechtsgefühl und wahrhaft constitutionelle Begriffe" dem verführten<lb/> Volke beizubringen; zu diesem Zweck wollte er die gesammte Reichstagslinke wegen<lb/> ihrer parlamentarischen Wirksamkeit vor's Kriegsgericht gestellt und täglich ein<lb/> anderes Journal unterdrückt wissen, murrte gegen die übertriebene „Milde" des<lb/> Fürsten Windischgrätz, stellte Haynan und den König von Neapel als Muster von<lb/> konstitutionellen Richtern ans, und erklärte, nachdem der Stadtgraben längst seine<lb/> Opfer empfangen hatte und die Thürme von Kussstein und Munkacz gefüllt waren,<lb/> Jeden für einen „Verräther," der „jetzt schon von Versöhnung zu sprechen wage."<lb/> In seiner auswärtigen Politik richtet sich der Courier nach der Jahreszeit, liegt<lb/> indeß fortwährend allen fünf Welttheilen in den Haaren, da mit Ansnahme von<lb/> Oestreich und Rußland die Politik „überall voll Eigcninch, Raubsucht und Per-<lb/> fidie" ist. Bald bekämpft er mit einer Hand Carlo Alberto, mit der andern den<lb/> König von Preußen, bald auf dieselbe Weise zugleich Lord Palmerston und den<lb/> Sultan. Lord Palmerston ist vom Courier, in Uebereinstimmung mit Metternich<lb/> und Prokesch v. Osten, bereits mehrmals zu einem 60 Fuß hohen Galgen ver¬<lb/> urtheilt worden. Einmal cipostrophirte ihn der Courier als „Beherrscher der<lb/> drei(?) Inselreiche," forderte ihn auf, sich in den Hals hinein zu schämen, stellte<lb/> ihn daraus an den Pranger, schnitt ihm Nase und Ohren ab, gab ihm 25 Stock-<lb/> prügel, begnadigte ihn zu Pulver und Blei, und schlug, nachdem alle diese De-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
von Kaiser Franz und Sedlenitzky dursten die Hofschauspieler weder ansgcpfiffen
noch in den Blättern getadelt werden. Man half sich daher durch Mäßigung
oder Steigerung des Lobes. Einem Künstler „richtige Auffassung", „gutes Spiel"
nachsagen, hieß ihn zum Selbstmord treiben; er raufte sich das Haar ans, klagte
beim Obercensor Sedlinitzky ans Jnjnrien und ließ den hämischen Recensenten
beim nächsten Neumond zwischen Burg- und Kärnthnerthvr durchprügeln; denn
wirkliche Anerkennung mußte durch den blümerantesten, pyramidalsten Unsinn aus¬
gedrückt werden. Die armen Windspiele Bäuerle's, seine Recensenten, litten
furchtbar während der Virtuvsensaison, das waren ihre Hundstage; nach dem
ersten Concert irgend eines Klavierhaners, der sich anständig benommen hatte,
waren alle Superlative der deutschen Sprache erschöpft, nun aber kam Chopin,
Thalberg, endlich gar Lißt, und die Recensenten erhielten Befehl, immer entzück¬
ter und verzückter zu werden, bis ihr Styl den Veitstanz oder das Delirium
tremens bekam. Bäncrle selbst ist ein praktischer Mann und seine Industrie über¬
traf die der k. k. Beamten durch Solidität; er stellte fixe Preise. Jede Lobprei¬
sung eines männlichen Virtuosen oder Gastspielers kostete, ohne Unterschied von
Stand, Alter und Talent, funfzig Gulden C.-M.
Es ist schrecklich, daß Bänerle diese gute alte Zeit überleben mußte. Mit
dem Ausbruch der Revolution taufte er die Theaterzeitung „Courier" und warf
sich rasch auf Politik und Patriotismus. Im Sommer 48 versicherte er, stets
für den Fortschritt gewirkt zu haben. Nach den Octobertagen übernahm er die
Ausgabe, „Rechtsgefühl und wahrhaft constitutionelle Begriffe" dem verführten
Volke beizubringen; zu diesem Zweck wollte er die gesammte Reichstagslinke wegen
ihrer parlamentarischen Wirksamkeit vor's Kriegsgericht gestellt und täglich ein
anderes Journal unterdrückt wissen, murrte gegen die übertriebene „Milde" des
Fürsten Windischgrätz, stellte Haynan und den König von Neapel als Muster von
konstitutionellen Richtern ans, und erklärte, nachdem der Stadtgraben längst seine
Opfer empfangen hatte und die Thürme von Kussstein und Munkacz gefüllt waren,
Jeden für einen „Verräther," der „jetzt schon von Versöhnung zu sprechen wage."
In seiner auswärtigen Politik richtet sich der Courier nach der Jahreszeit, liegt
indeß fortwährend allen fünf Welttheilen in den Haaren, da mit Ansnahme von
Oestreich und Rußland die Politik „überall voll Eigcninch, Raubsucht und Per-
fidie" ist. Bald bekämpft er mit einer Hand Carlo Alberto, mit der andern den
König von Preußen, bald auf dieselbe Weise zugleich Lord Palmerston und den
Sultan. Lord Palmerston ist vom Courier, in Uebereinstimmung mit Metternich
und Prokesch v. Osten, bereits mehrmals zu einem 60 Fuß hohen Galgen ver¬
urtheilt worden. Einmal cipostrophirte ihn der Courier als „Beherrscher der
drei(?) Inselreiche," forderte ihn auf, sich in den Hals hinein zu schämen, stellte
ihn daraus an den Pranger, schnitt ihm Nase und Ohren ab, gab ihm 25 Stock-
prügel, begnadigte ihn zu Pulver und Blei, und schlug, nachdem alle diese De-
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