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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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herabgestürzt sind, gegen das dynastische Streben kehren, und es wird nun nicht
mehr die Vielheit von Gegensätzen die Kraft des Kampfes und die Klarheit des
U. Zieles trüben.




Wiener Zeitungen und Zeitungshelden.



3. Adolph Bäuerle,

Verfasser einiger vorsündfluthlichen Localpossen, berühmt als Gründer der
"Theaterzeitung", eines Blattes für geistlose Frivolität und gemüthliche Ge¬
meinheit, welches über dreißig Jahre das Orakel des Wiener Stutzerthums und
der Oberpriester jener capuanischen Religion war, die Strauß über Beethoven,
Schikaneder über Lessing stellte "ut eine "noble" Frisur für nothwendiger und
rühmlicher hielt als ein bischen Ehrlichkeit oder Bildung. Die Theaterzeitung
genoß vielfache Protection, denn sie verfolgte loyale politische Tendenzen; ihre
Unterhaltung war den Wienern, was Fanny Elßler's Umarmungen dem Herzog
von Reichsstadt waren; sie bewahrte die Jngend, durch syrupsüßes Gegengift, vor
den schädlichen Einwirkungen der "ausländischen" Literatur und bekämpfte, mit
nur zu glorreichem Erfolge, die ernstere Richtung, welche die Partei Grillparzer-
Banernfeld-Feuchtersleben mit Hilfe der Witthauer'schen Wiener Zeitschrift zu
wecken versuchte. Der Inhalt der Theaterzeitung bestand erstens in gräulichen
Geburtö - und Namenstagsgedichten, deren Zahl bei der Ausdehnung und Frucht¬
barkeit der allerhöchsten Familie und bei der Masse von einflußreichen Hofpersona-
gen Legion war; zweitens in unverzeihlicher Novellen, modistischen, theatralischen,
historischen und etnvgraphischen Anekdoten, meist vom patriotischen Standpunkt
der Theatcrzeituug geschrieben. Oestreich wurde gepriesen, weil es keine Neger¬
sklaven in seinen Kolonien habe, wie Frankreich; weil es keine Wittwen verbrenne,
wie die Hindus; weil es seine Verbrecher nicht Spieße wie die Türkei! JhrHaupt-
thcma bildeten Ball, Ballet und Theater. Auch über Taschenspieler- und Kunst¬
reiterleistungen brachte sie lunge pathetische Abhandlungen. Bäuerle konnte sich
mit Recht rühmen, daß in Kaffeehäusern regelmäßig um 8 Uhr Morgens der hun¬
dertfache Schrei erscholl: Die Theatcrzeituug will ich, die Theatcrzeituug, und
nachher die Allgemeine! Denn der Wiener Dandy mußte beim Frühstück die ge¬
sperrt gedruckten Stellen in deu Theaterzeitungreferaten geschwind memoriren, da¬
mit er in Gesellschaft, wenn er als "ergebenster Knecht" seinen Handkuß ange¬
bracht, nicht wie ein Klotz dastehe, sondern ein geistreiches Urtheil besitze über die
Vorstellung von gestern Abend. Von dem komischen Bombast dieser Kritiken hat
mau weder im Orient noch im Occident eine Vorstellung. Unter der Regierung


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herabgestürzt sind, gegen das dynastische Streben kehren, und es wird nun nicht
mehr die Vielheit von Gegensätzen die Kraft des Kampfes und die Klarheit des
U. Zieles trüben.




Wiener Zeitungen und Zeitungshelden.



3. Adolph Bäuerle,

Verfasser einiger vorsündfluthlichen Localpossen, berühmt als Gründer der
„Theaterzeitung", eines Blattes für geistlose Frivolität und gemüthliche Ge¬
meinheit, welches über dreißig Jahre das Orakel des Wiener Stutzerthums und
der Oberpriester jener capuanischen Religion war, die Strauß über Beethoven,
Schikaneder über Lessing stellte »ut eine „noble" Frisur für nothwendiger und
rühmlicher hielt als ein bischen Ehrlichkeit oder Bildung. Die Theaterzeitung
genoß vielfache Protection, denn sie verfolgte loyale politische Tendenzen; ihre
Unterhaltung war den Wienern, was Fanny Elßler's Umarmungen dem Herzog
von Reichsstadt waren; sie bewahrte die Jngend, durch syrupsüßes Gegengift, vor
den schädlichen Einwirkungen der „ausländischen" Literatur und bekämpfte, mit
nur zu glorreichem Erfolge, die ernstere Richtung, welche die Partei Grillparzer-
Banernfeld-Feuchtersleben mit Hilfe der Witthauer'schen Wiener Zeitschrift zu
wecken versuchte. Der Inhalt der Theaterzeitung bestand erstens in gräulichen
Geburtö - und Namenstagsgedichten, deren Zahl bei der Ausdehnung und Frucht¬
barkeit der allerhöchsten Familie und bei der Masse von einflußreichen Hofpersona-
gen Legion war; zweitens in unverzeihlicher Novellen, modistischen, theatralischen,
historischen und etnvgraphischen Anekdoten, meist vom patriotischen Standpunkt
der Theatcrzeituug geschrieben. Oestreich wurde gepriesen, weil es keine Neger¬
sklaven in seinen Kolonien habe, wie Frankreich; weil es keine Wittwen verbrenne,
wie die Hindus; weil es seine Verbrecher nicht Spieße wie die Türkei! JhrHaupt-
thcma bildeten Ball, Ballet und Theater. Auch über Taschenspieler- und Kunst¬
reiterleistungen brachte sie lunge pathetische Abhandlungen. Bäuerle konnte sich
mit Recht rühmen, daß in Kaffeehäusern regelmäßig um 8 Uhr Morgens der hun¬
dertfache Schrei erscholl: Die Theatcrzeituug will ich, die Theatcrzeituug, und
nachher die Allgemeine! Denn der Wiener Dandy mußte beim Frühstück die ge¬
sperrt gedruckten Stellen in deu Theaterzeitungreferaten geschwind memoriren, da¬
mit er in Gesellschaft, wenn er als „ergebenster Knecht" seinen Handkuß ange¬
bracht, nicht wie ein Klotz dastehe, sondern ein geistreiches Urtheil besitze über die
Vorstellung von gestern Abend. Von dem komischen Bombast dieser Kritiken hat
mau weder im Orient noch im Occident eine Vorstellung. Unter der Regierung


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[0470] herabgestürzt sind, gegen das dynastische Streben kehren, und es wird nun nicht mehr die Vielheit von Gegensätzen die Kraft des Kampfes und die Klarheit des U. Zieles trüben. Wiener Zeitungen und Zeitungshelden. 3. Adolph Bäuerle, Verfasser einiger vorsündfluthlichen Localpossen, berühmt als Gründer der „Theaterzeitung", eines Blattes für geistlose Frivolität und gemüthliche Ge¬ meinheit, welches über dreißig Jahre das Orakel des Wiener Stutzerthums und der Oberpriester jener capuanischen Religion war, die Strauß über Beethoven, Schikaneder über Lessing stellte »ut eine „noble" Frisur für nothwendiger und rühmlicher hielt als ein bischen Ehrlichkeit oder Bildung. Die Theaterzeitung genoß vielfache Protection, denn sie verfolgte loyale politische Tendenzen; ihre Unterhaltung war den Wienern, was Fanny Elßler's Umarmungen dem Herzog von Reichsstadt waren; sie bewahrte die Jngend, durch syrupsüßes Gegengift, vor den schädlichen Einwirkungen der „ausländischen" Literatur und bekämpfte, mit nur zu glorreichem Erfolge, die ernstere Richtung, welche die Partei Grillparzer- Banernfeld-Feuchtersleben mit Hilfe der Witthauer'schen Wiener Zeitschrift zu wecken versuchte. Der Inhalt der Theaterzeitung bestand erstens in gräulichen Geburtö - und Namenstagsgedichten, deren Zahl bei der Ausdehnung und Frucht¬ barkeit der allerhöchsten Familie und bei der Masse von einflußreichen Hofpersona- gen Legion war; zweitens in unverzeihlicher Novellen, modistischen, theatralischen, historischen und etnvgraphischen Anekdoten, meist vom patriotischen Standpunkt der Theatcrzeituug geschrieben. Oestreich wurde gepriesen, weil es keine Neger¬ sklaven in seinen Kolonien habe, wie Frankreich; weil es keine Wittwen verbrenne, wie die Hindus; weil es seine Verbrecher nicht Spieße wie die Türkei! JhrHaupt- thcma bildeten Ball, Ballet und Theater. Auch über Taschenspieler- und Kunst¬ reiterleistungen brachte sie lunge pathetische Abhandlungen. Bäuerle konnte sich mit Recht rühmen, daß in Kaffeehäusern regelmäßig um 8 Uhr Morgens der hun¬ dertfache Schrei erscholl: Die Theatcrzeituug will ich, die Theatcrzeituug, und nachher die Allgemeine! Denn der Wiener Dandy mußte beim Frühstück die ge¬ sperrt gedruckten Stellen in deu Theaterzeitungreferaten geschwind memoriren, da¬ mit er in Gesellschaft, wenn er als „ergebenster Knecht" seinen Handkuß ange¬ bracht, nicht wie ein Klotz dastehe, sondern ein geistreiches Urtheil besitze über die Vorstellung von gestern Abend. Von dem komischen Bombast dieser Kritiken hat mau weder im Orient noch im Occident eine Vorstellung. Unter der Regierung 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/470>, abgerufen am 15.01.2025.