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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Bürgers kleine Würste mit Butterscmmel zu dem in Polen sehr beliebten Haferbier
zu genießen.

Hier fand er unter den Schreibern auch den Adjuncten des Mnnizipalgerichts-
präsidenten, denselben Mann, an welchen er sich zu wenden hatte. Nachdem er
diesem sein Anliegen mitgetheilt, versetzte derselbe freundlich: "es soll besorgt wer¬
den, heute noch; allein wir haben den Tag noch vor uns; jetzt essen und trinken
wir; setzen Sie sich, Theuerster, genießen Sie mit und lassen Sie etwas Frisches
auf den Tisch bringen." Der Petent kannte das Beamtenthum seines Vaterlandes,
mußte, um sein Herz zu beruhigen, sich jetzt sür einen wirklichen Patienten halten
und die Blutegel anfangen lassen. Es genügte nicht den Adjuncten zu tractiren,
er mußte Alle an dem Schmauße Theil nehmen lassen, denn nirgends gilt das
Sprichwort: "Alle mit Einem und Einer mit Allen!" so voll, als bei den Mit¬
gliedern eines russischen Amtes.

Bei dem Tractement war es 12 Uhr geworden. Die untergeordneten Beam¬
ten waren im fortwährendem Wechsel bald die Treppe hinauf in das Gerichtslocal,
bald rückwärts die Treppe wieder herab in das Schenklocal getobt. Der Adjunct
dagegen hatte sich nicht von der Bank gerührt, und jetzt that er's um zu Tische
zu gehen. L. kehrte, neun Gulden ärmer, unverrichteter Sache heim und hoffte
am Nachmittag sein Geschäft abzumachen. Er kam gegen 5 Uhr in das Amt und
fand den Adjuncten in Acten beschäftigt. Sobald dieser ihn erblickte, warf er die
Acten zurück und ergriff mit dem Ausruf: "es thut mir leid, lieber Freund, noth-
gedrungen muß ich jetzt ausgehn; doch begleiten Sie mich, wir können ja in der
Tabagie an der Ecke ein wenig eintreten," den Tressenhut, faßte den Petenten
unter dem Arme und schob denselben in der Weise, als ob er von ihm geführt
werde, die Treppe hinab, aus dem Hanse und in die bezeichnete Tabagie. Der
Adjunct bestellte selbst Speisen und Getränke, und als es " Uhr Abends war
und sein Magen nichts mehr aufzunehmen vermochte, sagte er ganz trocken zu L.:
"bezahlen Sie!"

Des andern Tages hoffte L. von der Wahl der frühesten Morgenstunde das
Beste und erschien halb 7 Uhr im Amte. Als ihn der Adjunct erblickte, sagte
er: "Ihre Sache soll gleich vorgenommen werden," und begab sich mit seinem
Hute, einem Actenstoß und einem Tintenfaß in ein Nebenzimmer. Bis fast t0
Uhr wartete L. geduldig aus die Rückkehr des wackeren Mannes, dann aber sen-
dete er einen Polizeiknecht nach demselben mit der Bitte, seiner doch zu gedenken.
Allein der Bote kehrte in das erste Zimmer mit der ziemlich spöttischer Miene
mitgetheilten Nachricht zurück: "der Herr Adjunct habe längst das Hans verlassen."

Es ist kaum zu begreifen, daß L. nicht jetzt,schon die Lust verlor, sich um
einen Paß zu bemühen.

Am Nachmittag gab sich der Adjunct den Anschein, außerordentlich beschäftigt
zu sein und ließ L. nicht weniger als drei Stunden hinter sich stehen. Dann


Bürgers kleine Würste mit Butterscmmel zu dem in Polen sehr beliebten Haferbier
zu genießen.

Hier fand er unter den Schreibern auch den Adjuncten des Mnnizipalgerichts-
präsidenten, denselben Mann, an welchen er sich zu wenden hatte. Nachdem er
diesem sein Anliegen mitgetheilt, versetzte derselbe freundlich: „es soll besorgt wer¬
den, heute noch; allein wir haben den Tag noch vor uns; jetzt essen und trinken
wir; setzen Sie sich, Theuerster, genießen Sie mit und lassen Sie etwas Frisches
auf den Tisch bringen." Der Petent kannte das Beamtenthum seines Vaterlandes,
mußte, um sein Herz zu beruhigen, sich jetzt sür einen wirklichen Patienten halten
und die Blutegel anfangen lassen. Es genügte nicht den Adjuncten zu tractiren,
er mußte Alle an dem Schmauße Theil nehmen lassen, denn nirgends gilt das
Sprichwort: „Alle mit Einem und Einer mit Allen!" so voll, als bei den Mit¬
gliedern eines russischen Amtes.

Bei dem Tractement war es 12 Uhr geworden. Die untergeordneten Beam¬
ten waren im fortwährendem Wechsel bald die Treppe hinauf in das Gerichtslocal,
bald rückwärts die Treppe wieder herab in das Schenklocal getobt. Der Adjunct
dagegen hatte sich nicht von der Bank gerührt, und jetzt that er's um zu Tische
zu gehen. L. kehrte, neun Gulden ärmer, unverrichteter Sache heim und hoffte
am Nachmittag sein Geschäft abzumachen. Er kam gegen 5 Uhr in das Amt und
fand den Adjuncten in Acten beschäftigt. Sobald dieser ihn erblickte, warf er die
Acten zurück und ergriff mit dem Ausruf: „es thut mir leid, lieber Freund, noth-
gedrungen muß ich jetzt ausgehn; doch begleiten Sie mich, wir können ja in der
Tabagie an der Ecke ein wenig eintreten," den Tressenhut, faßte den Petenten
unter dem Arme und schob denselben in der Weise, als ob er von ihm geführt
werde, die Treppe hinab, aus dem Hanse und in die bezeichnete Tabagie. Der
Adjunct bestellte selbst Speisen und Getränke, und als es » Uhr Abends war
und sein Magen nichts mehr aufzunehmen vermochte, sagte er ganz trocken zu L.:
„bezahlen Sie!"

Des andern Tages hoffte L. von der Wahl der frühesten Morgenstunde das
Beste und erschien halb 7 Uhr im Amte. Als ihn der Adjunct erblickte, sagte
er: „Ihre Sache soll gleich vorgenommen werden," und begab sich mit seinem
Hute, einem Actenstoß und einem Tintenfaß in ein Nebenzimmer. Bis fast t0
Uhr wartete L. geduldig aus die Rückkehr des wackeren Mannes, dann aber sen-
dete er einen Polizeiknecht nach demselben mit der Bitte, seiner doch zu gedenken.
Allein der Bote kehrte in das erste Zimmer mit der ziemlich spöttischer Miene
mitgetheilten Nachricht zurück: „der Herr Adjunct habe längst das Hans verlassen."

Es ist kaum zu begreifen, daß L. nicht jetzt,schon die Lust verlor, sich um
einen Paß zu bemühen.

Am Nachmittag gab sich der Adjunct den Anschein, außerordentlich beschäftigt
zu sein und ließ L. nicht weniger als drei Stunden hinter sich stehen. Dann


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[0047] Bürgers kleine Würste mit Butterscmmel zu dem in Polen sehr beliebten Haferbier zu genießen. Hier fand er unter den Schreibern auch den Adjuncten des Mnnizipalgerichts- präsidenten, denselben Mann, an welchen er sich zu wenden hatte. Nachdem er diesem sein Anliegen mitgetheilt, versetzte derselbe freundlich: „es soll besorgt wer¬ den, heute noch; allein wir haben den Tag noch vor uns; jetzt essen und trinken wir; setzen Sie sich, Theuerster, genießen Sie mit und lassen Sie etwas Frisches auf den Tisch bringen." Der Petent kannte das Beamtenthum seines Vaterlandes, mußte, um sein Herz zu beruhigen, sich jetzt sür einen wirklichen Patienten halten und die Blutegel anfangen lassen. Es genügte nicht den Adjuncten zu tractiren, er mußte Alle an dem Schmauße Theil nehmen lassen, denn nirgends gilt das Sprichwort: „Alle mit Einem und Einer mit Allen!" so voll, als bei den Mit¬ gliedern eines russischen Amtes. Bei dem Tractement war es 12 Uhr geworden. Die untergeordneten Beam¬ ten waren im fortwährendem Wechsel bald die Treppe hinauf in das Gerichtslocal, bald rückwärts die Treppe wieder herab in das Schenklocal getobt. Der Adjunct dagegen hatte sich nicht von der Bank gerührt, und jetzt that er's um zu Tische zu gehen. L. kehrte, neun Gulden ärmer, unverrichteter Sache heim und hoffte am Nachmittag sein Geschäft abzumachen. Er kam gegen 5 Uhr in das Amt und fand den Adjuncten in Acten beschäftigt. Sobald dieser ihn erblickte, warf er die Acten zurück und ergriff mit dem Ausruf: „es thut mir leid, lieber Freund, noth- gedrungen muß ich jetzt ausgehn; doch begleiten Sie mich, wir können ja in der Tabagie an der Ecke ein wenig eintreten," den Tressenhut, faßte den Petenten unter dem Arme und schob denselben in der Weise, als ob er von ihm geführt werde, die Treppe hinab, aus dem Hanse und in die bezeichnete Tabagie. Der Adjunct bestellte selbst Speisen und Getränke, und als es » Uhr Abends war und sein Magen nichts mehr aufzunehmen vermochte, sagte er ganz trocken zu L.: „bezahlen Sie!" Des andern Tages hoffte L. von der Wahl der frühesten Morgenstunde das Beste und erschien halb 7 Uhr im Amte. Als ihn der Adjunct erblickte, sagte er: „Ihre Sache soll gleich vorgenommen werden," und begab sich mit seinem Hute, einem Actenstoß und einem Tintenfaß in ein Nebenzimmer. Bis fast t0 Uhr wartete L. geduldig aus die Rückkehr des wackeren Mannes, dann aber sen- dete er einen Polizeiknecht nach demselben mit der Bitte, seiner doch zu gedenken. Allein der Bote kehrte in das erste Zimmer mit der ziemlich spöttischer Miene mitgetheilten Nachricht zurück: „der Herr Adjunct habe längst das Hans verlassen." Es ist kaum zu begreifen, daß L. nicht jetzt,schon die Lust verlor, sich um einen Paß zu bemühen. Am Nachmittag gab sich der Adjunct den Anschein, außerordentlich beschäftigt zu sein und ließ L. nicht weniger als drei Stunden hinter sich stehen. Dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/47>, abgerufen am 15.01.2025.