Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Prozeß der Staatenbildung in Oestreich. Wie in der westlichen Hälfte Oestreichs die Dynastie, so war bisher in der Als nun die Magyaren im Jahre 48 es durchsetzten, daß für die zwei Län¬ Die Magyaren sind den vielen Feinden erlegen, Ungarn ist nicht mehr "ihr Prozeß der Staatenbildung in Oestreich. Wie in der westlichen Hälfte Oestreichs die Dynastie, so war bisher in der Als nun die Magyaren im Jahre 48 es durchsetzten, daß für die zwei Län¬ Die Magyaren sind den vielen Feinden erlegen, Ungarn ist nicht mehr „ihr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280017"/> </div> <div n="1"> <head> Prozeß der Staatenbildung in Oestreich.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1638"> Wie in der westlichen Hälfte Oestreichs die Dynastie, so war bisher in der<lb/> östlichen Hälfte die magyarische Nation die Macht, welche die Staatsbildung be¬<lb/> herrschte; wie in den westlichen Provinzen sich verschiedene Völker um das Für¬<lb/> stenhaus, so hatten sich in Ungarn Slovaken, Wallachen, Urtheilen, Deutsche,<lb/> Serben und Kroaten um die Magyaren gruppirt, und wie die Dynastie im We¬<lb/> sten keiner Nation eine politische Bedeutung gönnte, eben so hemmten und ver¬<lb/> kümmerten die Magyaren im Osten den Aufschwung aller andern Völker. Die<lb/> Individuen fühlten sich in Ungarn frei, aber nicht die Völker.</p><lb/> <p xml:id="ID_1639"> Als nun die Magyaren im Jahre 48 es durchsetzten, daß für die zwei Län¬<lb/> dergruppen in Oestreich, welche auf zwei ganz verschiedenen Reichstagen vertreten<lb/> waren, anch zwei von einander unabhängige Ministerien ernannt wurden, als sie<lb/> gestützt auf ihr altes Recht und auf neue Zugeständnisse ihr Königreich von dem<lb/> andern Staatsgebiete Oestreichs vollkommen selbstständig machten, da entsandte die<lb/> Dynastie eine nationale Revolution der nicht magyarischen Völker Ungarns, indem<lb/> sie an das Streben dieser Völker, zur gleichen staatlichen Bedeutung mit den Ma¬<lb/> gyaren zu gelangen, appellirte. Zu spät machten die Magyaren den Kroaten An¬<lb/> erbietungen zur Verständigung der Völker unter einander; die Leidenschaft, der<lb/> Haß und Egoismus hatten sich bereits der Bewegung bemächtigt, und sie ließ sich<lb/> nicht mehr hemmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1640" next="#ID_1641"> Die Magyaren sind den vielen Feinden erlegen, Ungarn ist nicht mehr „ihr<lb/> Königreich", aber auch nicht das aller ungarischen Nationen zusammen, es ist —<lb/> vollständigster Besitz der Dynastie. Nicht um die Slaven zu gleicher politischer<lb/> Bedeutung mit den Magyaren emporzuheben, hat die Dynastie den Kampf mit<lb/> diesen aufgenommen, sondern um die Magyaren zu gleicher Bedeutungslosigkeit<lb/> mit den Slaven herabzudrücken, hat sie den Bürgerkrieg in Ungarn entzündet.<lb/> Die Dynastie ist nunmehr das, was sie Jahrhunderte hindurch vergebens ange^<lb/> strebt, der einzige Krystallisationspnnkt des Staates, und mit allen Kräften und<lb/> Fäden wird sie die Theile der Monarchie an sich ziehen, ihren Besitz gleichmäßig<lb/> zu verwalten, gleichmäßig zu genießen suchen. Ihr Erfolg ist scheinbar vollstän¬<lb/> dig; allein wie sich die Verbindung des Barus von Kroatien mit der Dynastie<lb/> nun an ihm selber und seinem Volke zu rächen beginnt, so wird anch der Wort-<lb/> bruch der Dynastie nicht unvergolten bleiben; sie wird es nie mehr aus dem Ge¬<lb/> dächtniß der Völker verwischen können, daß sie von einer Gleichberechtigung der<lb/> Völker sprach, die sie nun in eine gleiche Knechtung übersetzt. Der Eifer<lb/> aller Völker wird sich jetzt, nachdem die Magyaren von ihrer stolzen Höhe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
Prozeß der Staatenbildung in Oestreich.
Wie in der westlichen Hälfte Oestreichs die Dynastie, so war bisher in der
östlichen Hälfte die magyarische Nation die Macht, welche die Staatsbildung be¬
herrschte; wie in den westlichen Provinzen sich verschiedene Völker um das Für¬
stenhaus, so hatten sich in Ungarn Slovaken, Wallachen, Urtheilen, Deutsche,
Serben und Kroaten um die Magyaren gruppirt, und wie die Dynastie im We¬
sten keiner Nation eine politische Bedeutung gönnte, eben so hemmten und ver¬
kümmerten die Magyaren im Osten den Aufschwung aller andern Völker. Die
Individuen fühlten sich in Ungarn frei, aber nicht die Völker.
Als nun die Magyaren im Jahre 48 es durchsetzten, daß für die zwei Län¬
dergruppen in Oestreich, welche auf zwei ganz verschiedenen Reichstagen vertreten
waren, anch zwei von einander unabhängige Ministerien ernannt wurden, als sie
gestützt auf ihr altes Recht und auf neue Zugeständnisse ihr Königreich von dem
andern Staatsgebiete Oestreichs vollkommen selbstständig machten, da entsandte die
Dynastie eine nationale Revolution der nicht magyarischen Völker Ungarns, indem
sie an das Streben dieser Völker, zur gleichen staatlichen Bedeutung mit den Ma¬
gyaren zu gelangen, appellirte. Zu spät machten die Magyaren den Kroaten An¬
erbietungen zur Verständigung der Völker unter einander; die Leidenschaft, der
Haß und Egoismus hatten sich bereits der Bewegung bemächtigt, und sie ließ sich
nicht mehr hemmen.
Die Magyaren sind den vielen Feinden erlegen, Ungarn ist nicht mehr „ihr
Königreich", aber auch nicht das aller ungarischen Nationen zusammen, es ist —
vollständigster Besitz der Dynastie. Nicht um die Slaven zu gleicher politischer
Bedeutung mit den Magyaren emporzuheben, hat die Dynastie den Kampf mit
diesen aufgenommen, sondern um die Magyaren zu gleicher Bedeutungslosigkeit
mit den Slaven herabzudrücken, hat sie den Bürgerkrieg in Ungarn entzündet.
Die Dynastie ist nunmehr das, was sie Jahrhunderte hindurch vergebens ange^
strebt, der einzige Krystallisationspnnkt des Staates, und mit allen Kräften und
Fäden wird sie die Theile der Monarchie an sich ziehen, ihren Besitz gleichmäßig
zu verwalten, gleichmäßig zu genießen suchen. Ihr Erfolg ist scheinbar vollstän¬
dig; allein wie sich die Verbindung des Barus von Kroatien mit der Dynastie
nun an ihm selber und seinem Volke zu rächen beginnt, so wird anch der Wort-
bruch der Dynastie nicht unvergolten bleiben; sie wird es nie mehr aus dem Ge¬
dächtniß der Völker verwischen können, daß sie von einer Gleichberechtigung der
Völker sprach, die sie nun in eine gleiche Knechtung übersetzt. Der Eifer
aller Völker wird sich jetzt, nachdem die Magyaren von ihrer stolzen Höhe
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