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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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daß er in Schlitten gefahren werden mußte. Am 23. Juni erreichte die Gesell¬
schaft wieder die Schiffe, nachdem sie vierzig Tage abwesend gewesen war.

Inzwischen hatten die Arbeiten zur Freimachung der Schiffe begonnen; die
außerordentliche Dicke des Eises jedoch ließ dieselben nicht eher als am 28. August
beendigt sein. Man steuerte nun nach der Nordküste der Barrowsstraße, auf
Melville - Eiland zu. Allein am 1. September sah man sich auf's Neue von
Treibeis eingeschlossen, und die kurz darauf sich um ein Bedeutendes vermindernde
Temperatur (das Thermometer fiel unter 0" F., man hatte also --5"N.> verwan¬
delte dasselbe in eine einzige feste Masse. Das Meer, soweit es das Ange von
den Spitzen der Masten überschaute, war von ihr bedeckt. Die eben nur, nach
langer Gefangenschaft und Mühe, errungene Freiheit schien wieder verloren, man
schickt: sich an, einen zweiten Winter in dieser traurigen Gegend zuzubringen;
als durch eine neue Gefahr Befreiung gebracht ward. Es erhob sich plötzlich ein
heftiger Westwind, faßte die ganze feste Masse, trieb sie die Südküste der Baf-
finsbai entlang, gewaltigen Eisbergen zu. Plötzlich brach das Eisfeld uuter don¬
nerähnlichem Gekrache. Hilflos trieben die Schiffe umher, jede Sekunde konnte
die letzte der Schiffe sein, die letzte der Gefahr, der nächste Augenblick -- wer
konnte ihn berechnen -- konnte Vernichtung, konnte Rettung bringen. Die furcht¬
baren Schläge des Schreckens ließen die Furcht nicht aufkommen. Die nächste
Sekunde bringt wieder Hoffnung, man sieht den Augenblick des Entrinnens, es
ist der einzige, der letzte, man will ihn benutzen -- allein hier, inmitten des
empörten Elementes kann der Mensch Nichts unternehmen, er muß zusehen, wie
die feindlichen und die freundlichen Eisschollen um ihn den furchtbaren Kampf
kämpfen. Endlich hatten die Schutzgeister der Schiffe den Sieg errungen, drei
und zwanzig Tage hindurch hatte die Schlacht gedauert. Am 24. September er¬
reichte der "Juvestigator," am 25. der "Enterprise" offenes Wasser; mit nicht zu
beschreibendem Jubel begrüßten einander die wunderbar erretteten, die dem dro¬
henden Untergange entronnenen Schiffe.

Die Zeit zu einem ferneren Vordringen gegen Westen war für dieses Jahr
längst vorüber, der Winter war zurückgekehrt. Also segelten sie der Heimath zu,
in. und am November war die Küste Altenglands erreicht.




Grenzboten. IV. 1849.5!"

daß er in Schlitten gefahren werden mußte. Am 23. Juni erreichte die Gesell¬
schaft wieder die Schiffe, nachdem sie vierzig Tage abwesend gewesen war.

Inzwischen hatten die Arbeiten zur Freimachung der Schiffe begonnen; die
außerordentliche Dicke des Eises jedoch ließ dieselben nicht eher als am 28. August
beendigt sein. Man steuerte nun nach der Nordküste der Barrowsstraße, auf
Melville - Eiland zu. Allein am 1. September sah man sich auf's Neue von
Treibeis eingeschlossen, und die kurz darauf sich um ein Bedeutendes vermindernde
Temperatur (das Thermometer fiel unter 0" F., man hatte also —5"N.> verwan¬
delte dasselbe in eine einzige feste Masse. Das Meer, soweit es das Ange von
den Spitzen der Masten überschaute, war von ihr bedeckt. Die eben nur, nach
langer Gefangenschaft und Mühe, errungene Freiheit schien wieder verloren, man
schickt: sich an, einen zweiten Winter in dieser traurigen Gegend zuzubringen;
als durch eine neue Gefahr Befreiung gebracht ward. Es erhob sich plötzlich ein
heftiger Westwind, faßte die ganze feste Masse, trieb sie die Südküste der Baf-
finsbai entlang, gewaltigen Eisbergen zu. Plötzlich brach das Eisfeld uuter don¬
nerähnlichem Gekrache. Hilflos trieben die Schiffe umher, jede Sekunde konnte
die letzte der Schiffe sein, die letzte der Gefahr, der nächste Augenblick — wer
konnte ihn berechnen — konnte Vernichtung, konnte Rettung bringen. Die furcht¬
baren Schläge des Schreckens ließen die Furcht nicht aufkommen. Die nächste
Sekunde bringt wieder Hoffnung, man sieht den Augenblick des Entrinnens, es
ist der einzige, der letzte, man will ihn benutzen — allein hier, inmitten des
empörten Elementes kann der Mensch Nichts unternehmen, er muß zusehen, wie
die feindlichen und die freundlichen Eisschollen um ihn den furchtbaren Kampf
kämpfen. Endlich hatten die Schutzgeister der Schiffe den Sieg errungen, drei
und zwanzig Tage hindurch hatte die Schlacht gedauert. Am 24. September er¬
reichte der „Juvestigator," am 25. der „Enterprise" offenes Wasser; mit nicht zu
beschreibendem Jubel begrüßten einander die wunderbar erretteten, die dem dro¬
henden Untergange entronnenen Schiffe.

Die Zeit zu einem ferneren Vordringen gegen Westen war für dieses Jahr
längst vorüber, der Winter war zurückgekehrt. Also segelten sie der Heimath zu,
in. und am November war die Küste Altenglands erreicht.




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[0468] daß er in Schlitten gefahren werden mußte. Am 23. Juni erreichte die Gesell¬ schaft wieder die Schiffe, nachdem sie vierzig Tage abwesend gewesen war. Inzwischen hatten die Arbeiten zur Freimachung der Schiffe begonnen; die außerordentliche Dicke des Eises jedoch ließ dieselben nicht eher als am 28. August beendigt sein. Man steuerte nun nach der Nordküste der Barrowsstraße, auf Melville - Eiland zu. Allein am 1. September sah man sich auf's Neue von Treibeis eingeschlossen, und die kurz darauf sich um ein Bedeutendes vermindernde Temperatur (das Thermometer fiel unter 0" F., man hatte also —5"N.> verwan¬ delte dasselbe in eine einzige feste Masse. Das Meer, soweit es das Ange von den Spitzen der Masten überschaute, war von ihr bedeckt. Die eben nur, nach langer Gefangenschaft und Mühe, errungene Freiheit schien wieder verloren, man schickt: sich an, einen zweiten Winter in dieser traurigen Gegend zuzubringen; als durch eine neue Gefahr Befreiung gebracht ward. Es erhob sich plötzlich ein heftiger Westwind, faßte die ganze feste Masse, trieb sie die Südküste der Baf- finsbai entlang, gewaltigen Eisbergen zu. Plötzlich brach das Eisfeld uuter don¬ nerähnlichem Gekrache. Hilflos trieben die Schiffe umher, jede Sekunde konnte die letzte der Schiffe sein, die letzte der Gefahr, der nächste Augenblick — wer konnte ihn berechnen — konnte Vernichtung, konnte Rettung bringen. Die furcht¬ baren Schläge des Schreckens ließen die Furcht nicht aufkommen. Die nächste Sekunde bringt wieder Hoffnung, man sieht den Augenblick des Entrinnens, es ist der einzige, der letzte, man will ihn benutzen — allein hier, inmitten des empörten Elementes kann der Mensch Nichts unternehmen, er muß zusehen, wie die feindlichen und die freundlichen Eisschollen um ihn den furchtbaren Kampf kämpfen. Endlich hatten die Schutzgeister der Schiffe den Sieg errungen, drei und zwanzig Tage hindurch hatte die Schlacht gedauert. Am 24. September er¬ reichte der „Juvestigator," am 25. der „Enterprise" offenes Wasser; mit nicht zu beschreibendem Jubel begrüßten einander die wunderbar erretteten, die dem dro¬ henden Untergange entronnenen Schiffe. Die Zeit zu einem ferneren Vordringen gegen Westen war für dieses Jahr längst vorüber, der Winter war zurückgekehrt. Also segelten sie der Heimath zu, in. und am November war die Küste Altenglands erreicht. Grenzboten. IV. 1849.5!»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/468>, abgerufen am 15.01.2025.