Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.das Endergebniß werde vom ersten bis vorletzten Schritte gleichmäßig zweifelhaft Klüglicher Weise wendete sich L. zuerst an einen Civilarzt, der der Freund Nach der Erklärung des Advokaten hatte der Petent diese Zeugnisse von dem das Endergebniß werde vom ersten bis vorletzten Schritte gleichmäßig zweifelhaft Klüglicher Weise wendete sich L. zuerst an einen Civilarzt, der der Freund Nach der Erklärung des Advokaten hatte der Petent diese Zeugnisse von dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279594"/> <p xml:id="ID_130" prev="#ID_129"> das Endergebniß werde vom ersten bis vorletzten Schritte gleichmäßig zweifelhaft<lb/> bleiben. Gleichwohl solle L. das Glück versuchen. Zunächst sei ihm jedoch zu<lb/> sagen, daß der Wunsch, Verwandte zu besuchen, keineswegs ein Grund sei, der<lb/> die Negierung zu Ausfertigung eines Passes nach dem westlichen Auslande ver¬<lb/> möge. Wenn er sich nicht durch seine ausländischen Verwandten schriftliche Be¬<lb/> weise einer zu hebenden Erbschaft verschaffen könne, so müsse er sich mit einem<lb/> Arzte, wo möglich dem Oberarzte eines russischen Regimentes in gutes Vernehmen<lb/> setzen und durch diesen ein Zeugniß zu erlangen suchen, nach welchem sein Ge¬<lb/> sundheitszustand den Gebrauch irgend eines deutschen Bades nothwendig mache.</p><lb/> <p xml:id="ID_131"> Klüglicher Weise wendete sich L. zuerst an einen Civilarzt, der der Freund<lb/> eines russischen Regimentsarztes war. Er ließ ihn zu sich kommen und versicherte,<lb/> daß er sich an Lunge oder Leber sehr krank fühle. Der Arzt behandelte ihn eine<lb/> Zeit lang, bis er sich mit der mehrmaligen und bestens betonten Bemerkung her¬<lb/> auswagte: „er glaube, ihm werde nichts weiter zur Genesung verhelfen, als ein<lb/> Bad in Deutschland." Jetzt kannte der Arzt das ganze Verhältniß und über¬<lb/> reichte bei seiner Wiederkunft dem armen Patienten neben einer Liquidation auf<lb/> nicht weniger als zwanzig Dukaten ein Zeugniß, Kraft dessen L. um einen<lb/> acht Monate giltigen Reisepaß nach Carlsbad anhalten konnte. Der Patient<lb/> wollte in seiner Genesung ans das Zuverlässigste verfahren und bat seinen Arzt,<lb/> er solle ihm doch als wichtigen Zuschuß ein eben solches Zeugniß von seinem<lb/> Freunde dem russischen Militärärzte zu verschaffen suchen. Natürlich mußte auch<lb/> der Russe heuchlerischer Weise zu Hilfe des Kranken gerufen werden. Der erste<lb/> Arzt spielte seine Rolle so wirkungsvoll als das Gold, welches bei mehrmaliger<lb/> Gelegenheit in die Hand des russischen Mediziners fiel; genug, bald besaß L. neben<lb/> dem polnischen ein fast gleichlautendes russisches Zeugniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_132" next="#ID_133"> Nach der Erklärung des Advokaten hatte der Petent diese Zeugnisse von dem<lb/> Kreisgericht bestätigen zu lassen, wenn sie in den Aemtern, die er weiter zu be¬<lb/> treten hatte, als giltig angenommen werden sollten. Dies kostete wenig Mühe,<lb/> aber einen Silberrubel, ohne welchen schwerlich der Beamte zu bewegen gewesen<lb/> wäre, Feder und Stempel zu ergreifen und die Unterschriften der beiden ärztlichen<lb/> Zeugnisse zu beglaubigen. Zunächst hatte sich L. in das Munizipalgericht zu be¬<lb/> geben, um von diesem eine Art Bescheinigung darüber zu erhalten, daß er sich<lb/> als Bürger wohl verhalten, stets als ein politisch unschädliches Individuum be¬<lb/> wiesen habe und daher das Vertrauen der Censurbehörde verdiene. Die Locale<lb/> des Munizipalgerichts, welche sich im obern Stock eines an der Ecke des Markt¬<lb/> platzes stehenden Hauses befinden, fand L. bei seinem ersten Eintritts leer bis<lb/> auf einige Polizeiknechte, obschon es 10 Uhr Morgens und Expeditionszeit war.<lb/> Als er das Haus verlassen wollte, entdeckte er die Beamten in einer im Erdge¬<lb/> schoß befindlichen Schenkwirthschaft, wo sie beschäftigt waren, auf Rechnung eines<lb/> freigebigen oder wegen irgend welchem Geschäfte zur Freigebigkeit gezwungenen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
das Endergebniß werde vom ersten bis vorletzten Schritte gleichmäßig zweifelhaft
bleiben. Gleichwohl solle L. das Glück versuchen. Zunächst sei ihm jedoch zu
sagen, daß der Wunsch, Verwandte zu besuchen, keineswegs ein Grund sei, der
die Negierung zu Ausfertigung eines Passes nach dem westlichen Auslande ver¬
möge. Wenn er sich nicht durch seine ausländischen Verwandten schriftliche Be¬
weise einer zu hebenden Erbschaft verschaffen könne, so müsse er sich mit einem
Arzte, wo möglich dem Oberarzte eines russischen Regimentes in gutes Vernehmen
setzen und durch diesen ein Zeugniß zu erlangen suchen, nach welchem sein Ge¬
sundheitszustand den Gebrauch irgend eines deutschen Bades nothwendig mache.
Klüglicher Weise wendete sich L. zuerst an einen Civilarzt, der der Freund
eines russischen Regimentsarztes war. Er ließ ihn zu sich kommen und versicherte,
daß er sich an Lunge oder Leber sehr krank fühle. Der Arzt behandelte ihn eine
Zeit lang, bis er sich mit der mehrmaligen und bestens betonten Bemerkung her¬
auswagte: „er glaube, ihm werde nichts weiter zur Genesung verhelfen, als ein
Bad in Deutschland." Jetzt kannte der Arzt das ganze Verhältniß und über¬
reichte bei seiner Wiederkunft dem armen Patienten neben einer Liquidation auf
nicht weniger als zwanzig Dukaten ein Zeugniß, Kraft dessen L. um einen
acht Monate giltigen Reisepaß nach Carlsbad anhalten konnte. Der Patient
wollte in seiner Genesung ans das Zuverlässigste verfahren und bat seinen Arzt,
er solle ihm doch als wichtigen Zuschuß ein eben solches Zeugniß von seinem
Freunde dem russischen Militärärzte zu verschaffen suchen. Natürlich mußte auch
der Russe heuchlerischer Weise zu Hilfe des Kranken gerufen werden. Der erste
Arzt spielte seine Rolle so wirkungsvoll als das Gold, welches bei mehrmaliger
Gelegenheit in die Hand des russischen Mediziners fiel; genug, bald besaß L. neben
dem polnischen ein fast gleichlautendes russisches Zeugniß.
Nach der Erklärung des Advokaten hatte der Petent diese Zeugnisse von dem
Kreisgericht bestätigen zu lassen, wenn sie in den Aemtern, die er weiter zu be¬
treten hatte, als giltig angenommen werden sollten. Dies kostete wenig Mühe,
aber einen Silberrubel, ohne welchen schwerlich der Beamte zu bewegen gewesen
wäre, Feder und Stempel zu ergreifen und die Unterschriften der beiden ärztlichen
Zeugnisse zu beglaubigen. Zunächst hatte sich L. in das Munizipalgericht zu be¬
geben, um von diesem eine Art Bescheinigung darüber zu erhalten, daß er sich
als Bürger wohl verhalten, stets als ein politisch unschädliches Individuum be¬
wiesen habe und daher das Vertrauen der Censurbehörde verdiene. Die Locale
des Munizipalgerichts, welche sich im obern Stock eines an der Ecke des Markt¬
platzes stehenden Hauses befinden, fand L. bei seinem ersten Eintritts leer bis
auf einige Polizeiknechte, obschon es 10 Uhr Morgens und Expeditionszeit war.
Als er das Haus verlassen wollte, entdeckte er die Beamten in einer im Erdge¬
schoß befindlichen Schenkwirthschaft, wo sie beschäftigt waren, auf Rechnung eines
freigebigen oder wegen irgend welchem Geschäfte zur Freigebigkeit gezwungenen
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