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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Die Noten zwischen Oestreich und Preußen.



Was klagen die Leute, daß unsere Gegenwart frostig, nüchtern und prosaisch
sei? Noch gibt es seltsame, wundersame Dichtungen, man muß sie nur nicht im
Volke suche", sondern in den Kabinetten, nicht in Versen, sondern in den unge¬
reimten Ergüssen diplomatischer Weisheit. Wenn jetzt Einer unter uns träte und
ernsthaft behauptete, die Jahre 48 und 49 seien gar nicht dagewesen, es habe
kein Parlament in Frankfurt gegeben, keinen Reichstag in Kremsier, keine Ver¬
fassungen vom 4. März und keine vom 26. Mai, keine Ströme von Menschenblut,
keinen Haß der Völker, keine Trennung der Staaten, das Mes sei gar nicht,
oder doch jedenfalls ein Nichts gewesen, den würden wir als einen zweiten Kaspar
Hauser betrachten und mitleidig einstecken, damit seine unschuldige Seele nicht
untergehe in unserer gemeinen Wirklichkeit. Wohl, ein solch kleiner Caspar Hauser
ist das Kabinet Schwarzenberg, welches jetzt mit treuherziger Naivetät gegen
Preußen und den Bundesstaat, gegen die Jahre 48 und 49 Front macht.

In einem offiziellen Schreiben an den k. k. Gesandten in Berlin, dessen Inhalt
für Preußen und uns, das Publikum, bestimmt ist, schlägt es zuerst erstaunt die weißen
aristokratischen Händchen zusammen und ruft befremdet: "Was hat dieser Mann,
der Bodelschwingh, im Verwaltungsrath am 17. October gesagt? Der gute alte
Bund, die alte Verfassung seien todt, sie leben nur noch in Rechten und Pflich¬
ten der einzelnen Staaten? Wie so? Wir glauben das nicht, wir bestreiten das.
Und wenn ihr uns nicht zuschwört, daß auch ihr annehme, er lebe noch, so wird
das kaiserliche Oestreich einen Protest einlegen gegen euren neuen Bundesstaat; der
Protest liegt schon parat." -- Ganz wie ein in die Welt geschneiter, unschuldiger
Caspar Hauser. Wir sehen Sie vor uns, liebe Durchlaucht Schwarzenberg, ein
Schäferhütchen mit flatternden Bändern auf dem Kopf, das leichte Röckchen auf¬
geschürzt, direkt aus Arkadien kommend, oder irgendwoher, wo man keine Welt¬
geschichte kennt, kein Blutvergießen, nichts als tiefen Frieden und kindlichen
Schlummer. -- Was Preußen darauf geantwortet, nachher, zuerst einige Worte
über die Politik des conservativen Fürsten. Er hat so wenig gethan, was gute


Grenzboten. >V. 184". 57
Die Noten zwischen Oestreich und Preußen.



Was klagen die Leute, daß unsere Gegenwart frostig, nüchtern und prosaisch
sei? Noch gibt es seltsame, wundersame Dichtungen, man muß sie nur nicht im
Volke suche», sondern in den Kabinetten, nicht in Versen, sondern in den unge¬
reimten Ergüssen diplomatischer Weisheit. Wenn jetzt Einer unter uns träte und
ernsthaft behauptete, die Jahre 48 und 49 seien gar nicht dagewesen, es habe
kein Parlament in Frankfurt gegeben, keinen Reichstag in Kremsier, keine Ver¬
fassungen vom 4. März und keine vom 26. Mai, keine Ströme von Menschenblut,
keinen Haß der Völker, keine Trennung der Staaten, das Mes sei gar nicht,
oder doch jedenfalls ein Nichts gewesen, den würden wir als einen zweiten Kaspar
Hauser betrachten und mitleidig einstecken, damit seine unschuldige Seele nicht
untergehe in unserer gemeinen Wirklichkeit. Wohl, ein solch kleiner Caspar Hauser
ist das Kabinet Schwarzenberg, welches jetzt mit treuherziger Naivetät gegen
Preußen und den Bundesstaat, gegen die Jahre 48 und 49 Front macht.

In einem offiziellen Schreiben an den k. k. Gesandten in Berlin, dessen Inhalt
für Preußen und uns, das Publikum, bestimmt ist, schlägt es zuerst erstaunt die weißen
aristokratischen Händchen zusammen und ruft befremdet: „Was hat dieser Mann,
der Bodelschwingh, im Verwaltungsrath am 17. October gesagt? Der gute alte
Bund, die alte Verfassung seien todt, sie leben nur noch in Rechten und Pflich¬
ten der einzelnen Staaten? Wie so? Wir glauben das nicht, wir bestreiten das.
Und wenn ihr uns nicht zuschwört, daß auch ihr annehme, er lebe noch, so wird
das kaiserliche Oestreich einen Protest einlegen gegen euren neuen Bundesstaat; der
Protest liegt schon parat." — Ganz wie ein in die Welt geschneiter, unschuldiger
Caspar Hauser. Wir sehen Sie vor uns, liebe Durchlaucht Schwarzenberg, ein
Schäferhütchen mit flatternden Bändern auf dem Kopf, das leichte Röckchen auf¬
geschürzt, direkt aus Arkadien kommend, oder irgendwoher, wo man keine Welt¬
geschichte kennt, kein Blutvergießen, nichts als tiefen Frieden und kindlichen
Schlummer. — Was Preußen darauf geantwortet, nachher, zuerst einige Worte
über die Politik des conservativen Fürsten. Er hat so wenig gethan, was gute


Grenzboten. >V. 184». 57
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[0452] Die Noten zwischen Oestreich und Preußen. Was klagen die Leute, daß unsere Gegenwart frostig, nüchtern und prosaisch sei? Noch gibt es seltsame, wundersame Dichtungen, man muß sie nur nicht im Volke suche», sondern in den Kabinetten, nicht in Versen, sondern in den unge¬ reimten Ergüssen diplomatischer Weisheit. Wenn jetzt Einer unter uns träte und ernsthaft behauptete, die Jahre 48 und 49 seien gar nicht dagewesen, es habe kein Parlament in Frankfurt gegeben, keinen Reichstag in Kremsier, keine Ver¬ fassungen vom 4. März und keine vom 26. Mai, keine Ströme von Menschenblut, keinen Haß der Völker, keine Trennung der Staaten, das Mes sei gar nicht, oder doch jedenfalls ein Nichts gewesen, den würden wir als einen zweiten Kaspar Hauser betrachten und mitleidig einstecken, damit seine unschuldige Seele nicht untergehe in unserer gemeinen Wirklichkeit. Wohl, ein solch kleiner Caspar Hauser ist das Kabinet Schwarzenberg, welches jetzt mit treuherziger Naivetät gegen Preußen und den Bundesstaat, gegen die Jahre 48 und 49 Front macht. In einem offiziellen Schreiben an den k. k. Gesandten in Berlin, dessen Inhalt für Preußen und uns, das Publikum, bestimmt ist, schlägt es zuerst erstaunt die weißen aristokratischen Händchen zusammen und ruft befremdet: „Was hat dieser Mann, der Bodelschwingh, im Verwaltungsrath am 17. October gesagt? Der gute alte Bund, die alte Verfassung seien todt, sie leben nur noch in Rechten und Pflich¬ ten der einzelnen Staaten? Wie so? Wir glauben das nicht, wir bestreiten das. Und wenn ihr uns nicht zuschwört, daß auch ihr annehme, er lebe noch, so wird das kaiserliche Oestreich einen Protest einlegen gegen euren neuen Bundesstaat; der Protest liegt schon parat." — Ganz wie ein in die Welt geschneiter, unschuldiger Caspar Hauser. Wir sehen Sie vor uns, liebe Durchlaucht Schwarzenberg, ein Schäferhütchen mit flatternden Bändern auf dem Kopf, das leichte Röckchen auf¬ geschürzt, direkt aus Arkadien kommend, oder irgendwoher, wo man keine Welt¬ geschichte kennt, kein Blutvergießen, nichts als tiefen Frieden und kindlichen Schlummer. — Was Preußen darauf geantwortet, nachher, zuerst einige Worte über die Politik des conservativen Fürsten. Er hat so wenig gethan, was gute Grenzboten. >V. 184». 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/452>, abgerufen am 15.01.2025.