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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Postgebände zu vigiliren, die verbotenen gefangen zu nehmen und die verbieteuS-
wcrthen anzumerken. Die Uniform aber, -- so erklärte man sich damals den
seltsamen Auftritt, -- sollte andeuten, daß Heine, in seiner Eigenschaft als gewe¬
sener Offizier, von der Militärbehörde mit jenem ehrenvollen Amt betraut war! --

Mit dem Neujahr, wenn mir recht ist, erschien sein Fremdcnblatt, welches
auf zwei Seiten täglich die laufende Welt- und Wiener Lokalgeschichte in kurzen
anmuthigen Notizen beleuchtet. Seine Bekanntschaft mit einer Schaar von edlen
Polizei-Geheimräthen machte ihn zum allwissenden du.Mo dmtoux der Kaiserstadt.
Auch seine diplomatisch-politischen Offenbarungen schien er ans ähnlicher Quelle zu
schöpfen, denn sie glänzten durch eine fabelhafte Naivität in historischer und geo¬
graphischer Beziehung; treffender Witz und rührende Gesinnung vollendeten den
Reiz dieser Nacht- und Frazzcnstücke. Durch seine Fragmente über den ungarischen
Krieg zog sich als grauer Faden ein einziges süßes Bild, welches in unermüd¬
lichen Wortspielen wiederkehrte: der Strick. Bald erfuhr er aus Debreczin, daß
Kossuth's Halsbinde sich in krampfhafter Vorahnung zusammenziehe, bald fiel
Klapka oder Görgey in Ohnmacht, wenn er eine Gardmenschnnr sah. Wie vor-
urtheilsfrei zeigte sich dagegen Heine in kirchlichen Dingen! Bei Pio Nouv's
Flucht aus Rom klagte er den heiligen Vater, ohne Ansehn seiner Person und
Stellung, als europäischen Nraufwieglcr, als Anstifter der Revolution in Frank¬
reich und Oestreich an und schloß mit der Moral: Wer Andern eine Grube gräbt,
fällt selbst hinein.

Wichtigkeit hatte im vorigen Winter das Fremdcnblatt als Chronik der poli¬
tischen und socialen Mistl-res de Vienne. Es brachte Enthüllungen über die Ver¬
brechen, die Schlupfwinkel, die Ab- und Ansichten und die geheimsten Träume
der Octoberslüchtlinge, so gut wie es als Nachtkönig alle socialen Missethaten,
die zwischen Prater und Lerchenfeld vorgefallen waren, auf seinen Karren lud und
dem Publikum zum Frühstück auftischte. Sünden gegen die Gesetze des Belage¬
rungszustandes wurden mit der Hoffnung auf baldige Bestrafung veröffentlicht;
Gauner, Diebe und Schwindler wurden als harmlosere Feinde der Gesellschaft mit
schalkhafter Laune gegeißelt; die Berichte über Unglücksfälle ans Unvorsichtigkeit
schloß in der Regel ein Il-^c ülbula ii,"not. Was das geniale Experimentiren mit
der deutschen Sprache betrifft, so kann Melden bei Heine in die Schule gehn.
Dem Styl des Fremdenblattcs lag bis vor Kurzem eine patriotische Empfindung
zu Grunde; die verzweifelte Rathlosigkeit des vou alleu Seiten bedrängten Oestreich
stotterte und lallte und hinkte aus den schwerfällige" und gebrochenen Sätzen, den
Wortverwechsluugeu aus Geistesabwesenheit und der invaliden Grammatik des
Frcmdenblattes.

Ich würde mich nicht so ausführlich über diese Annalen des Wiener Belage-
rnngSzustaudes verbreiten, wärm mir nicht zwei für Wien leider bezeichnende Erschei-
nungen ausgefallen. Das Fremdenblatt erregte nur in wenigen Kreisen Gelächter


Postgebände zu vigiliren, die verbotenen gefangen zu nehmen und die verbieteuS-
wcrthen anzumerken. Die Uniform aber, — so erklärte man sich damals den
seltsamen Auftritt, — sollte andeuten, daß Heine, in seiner Eigenschaft als gewe¬
sener Offizier, von der Militärbehörde mit jenem ehrenvollen Amt betraut war! —

Mit dem Neujahr, wenn mir recht ist, erschien sein Fremdcnblatt, welches
auf zwei Seiten täglich die laufende Welt- und Wiener Lokalgeschichte in kurzen
anmuthigen Notizen beleuchtet. Seine Bekanntschaft mit einer Schaar von edlen
Polizei-Geheimräthen machte ihn zum allwissenden du.Mo dmtoux der Kaiserstadt.
Auch seine diplomatisch-politischen Offenbarungen schien er ans ähnlicher Quelle zu
schöpfen, denn sie glänzten durch eine fabelhafte Naivität in historischer und geo¬
graphischer Beziehung; treffender Witz und rührende Gesinnung vollendeten den
Reiz dieser Nacht- und Frazzcnstücke. Durch seine Fragmente über den ungarischen
Krieg zog sich als grauer Faden ein einziges süßes Bild, welches in unermüd¬
lichen Wortspielen wiederkehrte: der Strick. Bald erfuhr er aus Debreczin, daß
Kossuth's Halsbinde sich in krampfhafter Vorahnung zusammenziehe, bald fiel
Klapka oder Görgey in Ohnmacht, wenn er eine Gardmenschnnr sah. Wie vor-
urtheilsfrei zeigte sich dagegen Heine in kirchlichen Dingen! Bei Pio Nouv's
Flucht aus Rom klagte er den heiligen Vater, ohne Ansehn seiner Person und
Stellung, als europäischen Nraufwieglcr, als Anstifter der Revolution in Frank¬
reich und Oestreich an und schloß mit der Moral: Wer Andern eine Grube gräbt,
fällt selbst hinein.

Wichtigkeit hatte im vorigen Winter das Fremdcnblatt als Chronik der poli¬
tischen und socialen Mistl-res de Vienne. Es brachte Enthüllungen über die Ver¬
brechen, die Schlupfwinkel, die Ab- und Ansichten und die geheimsten Träume
der Octoberslüchtlinge, so gut wie es als Nachtkönig alle socialen Missethaten,
die zwischen Prater und Lerchenfeld vorgefallen waren, auf seinen Karren lud und
dem Publikum zum Frühstück auftischte. Sünden gegen die Gesetze des Belage¬
rungszustandes wurden mit der Hoffnung auf baldige Bestrafung veröffentlicht;
Gauner, Diebe und Schwindler wurden als harmlosere Feinde der Gesellschaft mit
schalkhafter Laune gegeißelt; die Berichte über Unglücksfälle ans Unvorsichtigkeit
schloß in der Regel ein Il-^c ülbula ii,«not. Was das geniale Experimentiren mit
der deutschen Sprache betrifft, so kann Melden bei Heine in die Schule gehn.
Dem Styl des Fremdenblattcs lag bis vor Kurzem eine patriotische Empfindung
zu Grunde; die verzweifelte Rathlosigkeit des vou alleu Seiten bedrängten Oestreich
stotterte und lallte und hinkte aus den schwerfällige» und gebrochenen Sätzen, den
Wortverwechsluugeu aus Geistesabwesenheit und der invaliden Grammatik des
Frcmdenblattes.

Ich würde mich nicht so ausführlich über diese Annalen des Wiener Belage-
rnngSzustaudes verbreiten, wärm mir nicht zwei für Wien leider bezeichnende Erschei-
nungen ausgefallen. Das Fremdenblatt erregte nur in wenigen Kreisen Gelächter


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[0438] Postgebände zu vigiliren, die verbotenen gefangen zu nehmen und die verbieteuS- wcrthen anzumerken. Die Uniform aber, — so erklärte man sich damals den seltsamen Auftritt, — sollte andeuten, daß Heine, in seiner Eigenschaft als gewe¬ sener Offizier, von der Militärbehörde mit jenem ehrenvollen Amt betraut war! — Mit dem Neujahr, wenn mir recht ist, erschien sein Fremdcnblatt, welches auf zwei Seiten täglich die laufende Welt- und Wiener Lokalgeschichte in kurzen anmuthigen Notizen beleuchtet. Seine Bekanntschaft mit einer Schaar von edlen Polizei-Geheimräthen machte ihn zum allwissenden du.Mo dmtoux der Kaiserstadt. Auch seine diplomatisch-politischen Offenbarungen schien er ans ähnlicher Quelle zu schöpfen, denn sie glänzten durch eine fabelhafte Naivität in historischer und geo¬ graphischer Beziehung; treffender Witz und rührende Gesinnung vollendeten den Reiz dieser Nacht- und Frazzcnstücke. Durch seine Fragmente über den ungarischen Krieg zog sich als grauer Faden ein einziges süßes Bild, welches in unermüd¬ lichen Wortspielen wiederkehrte: der Strick. Bald erfuhr er aus Debreczin, daß Kossuth's Halsbinde sich in krampfhafter Vorahnung zusammenziehe, bald fiel Klapka oder Görgey in Ohnmacht, wenn er eine Gardmenschnnr sah. Wie vor- urtheilsfrei zeigte sich dagegen Heine in kirchlichen Dingen! Bei Pio Nouv's Flucht aus Rom klagte er den heiligen Vater, ohne Ansehn seiner Person und Stellung, als europäischen Nraufwieglcr, als Anstifter der Revolution in Frank¬ reich und Oestreich an und schloß mit der Moral: Wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Wichtigkeit hatte im vorigen Winter das Fremdcnblatt als Chronik der poli¬ tischen und socialen Mistl-res de Vienne. Es brachte Enthüllungen über die Ver¬ brechen, die Schlupfwinkel, die Ab- und Ansichten und die geheimsten Träume der Octoberslüchtlinge, so gut wie es als Nachtkönig alle socialen Missethaten, die zwischen Prater und Lerchenfeld vorgefallen waren, auf seinen Karren lud und dem Publikum zum Frühstück auftischte. Sünden gegen die Gesetze des Belage¬ rungszustandes wurden mit der Hoffnung auf baldige Bestrafung veröffentlicht; Gauner, Diebe und Schwindler wurden als harmlosere Feinde der Gesellschaft mit schalkhafter Laune gegeißelt; die Berichte über Unglücksfälle ans Unvorsichtigkeit schloß in der Regel ein Il-^c ülbula ii,«not. Was das geniale Experimentiren mit der deutschen Sprache betrifft, so kann Melden bei Heine in die Schule gehn. Dem Styl des Fremdenblattcs lag bis vor Kurzem eine patriotische Empfindung zu Grunde; die verzweifelte Rathlosigkeit des vou alleu Seiten bedrängten Oestreich stotterte und lallte und hinkte aus den schwerfällige» und gebrochenen Sätzen, den Wortverwechsluugeu aus Geistesabwesenheit und der invaliden Grammatik des Frcmdenblattes. Ich würde mich nicht so ausführlich über diese Annalen des Wiener Belage- rnngSzustaudes verbreiten, wärm mir nicht zwei für Wien leider bezeichnende Erschei- nungen ausgefallen. Das Fremdenblatt erregte nur in wenigen Kreisen Gelächter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/438>, abgerufen am 15.01.2025.