Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde nach dem October wieder ganz die ehrbare Alte von ehedem und geht seit
jener Zeit mit halbgeschlossenen Augen, murmelnden Lippen, in grauer Uniform,
Gebetbuch unter dem Arm und die Patrontasche an der Seite, auf ihrem lang¬
weiligen Posten auf und nieder. Durch die Wiener Zeitung übrigens lernten wir
die erste journalistische Merkwürdigkeit Oestreichs kennen, nämlich den Feldmar-
schallieutenant

1. Melden.

Wir wollen diesem Schriftsteller erst in's leibliche Angesicht sehen. Kommen
Sie auf den Graben oder Kohlmarkt, vor das erste beste Schaufenster einer Kunst¬
handlung. Auf diesen aristokratischen Plätzen sieht man seit einem Jahr nichts
ausgehängt als die Portraits der östreichischen Ober- und Untergötter, lauter
Militäruniformen zu Fuß und zu Pferde; die Minister find mit Ausnahme Schwar-
zenberg's, der Soldat ist, in diesen heiligen Fensterscheiben nicht zugelassen. Wir
sind daher sicher, den Melden da zu treffen. Richtig, da haben Sie ihn, wie er
leibt und lebt. Dieses ist der berühmte "Vater Melden," Alter, etwa 60 Jahre,
Geburtsort Tyrol, Stirne hoch, Augen groß und zornig, Nase, mit einem mäßi¬
gen Buckel in der Mitte versehen, Gesichtsfarbe hypochondrisch, Mund groß und
breit. Besondere Kennzeichen: der Unterkiefer ist ungewöhnlich stark entwickelt,
weshalb Melden in der Armee den Beinamen "der grobe" erhielt und weder mit
über noch mit unter ihm stehenden Generalen Harmoniren konnte. Dieser gewal¬
tige Unterkiefer gibt dem Geficht, im Profil gesehen, den Ausdruck einer erstaun¬
lichen Selbstzuversicht und einer fast abstoßenden Biederkeit; es scheint nämlich zu
sagen: Wäre es auf mich angekommen, so würde man im Stadtgraben zu Pfeil
und Bogen begnadigen und nicht zu Pulver.

Hüten wir uns, vou diesem Aeußern auf den ganzen Mann zu schließen.
Melden gilt für einen der ersten Feldherrn Oestreichs und soll erst im vorjährigen
Feldzug die Italiener nach allen Regeln der Kunst massacrirt haben. Ich kann
zwar diesen Ruf Weidens mit dem Geist seiner Schriften nicht recht zusammenrei¬
men, denn ich glaube, es gibt noch etwas Wesentlicheres als Lesen, Schreiben
und Rechnen, und dies darf auch dem Heerführer nicht abgehen. Blücher und der
alte Fritz traten die deutsche Sprache ebenfalls ohne Gnad und Pardon mit Fü¬
ßen, aber selbst der pommersche Säbelheld war in seinem Commisbrotstyl nicht
der Logik so spinnefeind. Dem sei wie ihm wolle, wir haben es hier nicht mit
dem Kriegsmanne, sondern mit dem Schriftsteller Melden zu thun. Er selbst will
sich als solchen betrachtet wissen. Ans dem Titelblatt eines Werkes über die Flora
des Monte Rosa steht sein Name, und eine seiner ersten Aeußerungen, die er in
Wien gegen einige Zeitungsschreiber that, lautete: Der Belagerungszustand kann
der Preßfreiheit nicht im mindesten schaden. Wer nichts Unrechtes schreibt, braucht
das Kriegsgericht uicht zu fürchten. Ich weiß auch, was Wissenschaft ist, und


wurde nach dem October wieder ganz die ehrbare Alte von ehedem und geht seit
jener Zeit mit halbgeschlossenen Augen, murmelnden Lippen, in grauer Uniform,
Gebetbuch unter dem Arm und die Patrontasche an der Seite, auf ihrem lang¬
weiligen Posten auf und nieder. Durch die Wiener Zeitung übrigens lernten wir
die erste journalistische Merkwürdigkeit Oestreichs kennen, nämlich den Feldmar-
schallieutenant

1. Melden.

Wir wollen diesem Schriftsteller erst in's leibliche Angesicht sehen. Kommen
Sie auf den Graben oder Kohlmarkt, vor das erste beste Schaufenster einer Kunst¬
handlung. Auf diesen aristokratischen Plätzen sieht man seit einem Jahr nichts
ausgehängt als die Portraits der östreichischen Ober- und Untergötter, lauter
Militäruniformen zu Fuß und zu Pferde; die Minister find mit Ausnahme Schwar-
zenberg's, der Soldat ist, in diesen heiligen Fensterscheiben nicht zugelassen. Wir
sind daher sicher, den Melden da zu treffen. Richtig, da haben Sie ihn, wie er
leibt und lebt. Dieses ist der berühmte „Vater Melden," Alter, etwa 60 Jahre,
Geburtsort Tyrol, Stirne hoch, Augen groß und zornig, Nase, mit einem mäßi¬
gen Buckel in der Mitte versehen, Gesichtsfarbe hypochondrisch, Mund groß und
breit. Besondere Kennzeichen: der Unterkiefer ist ungewöhnlich stark entwickelt,
weshalb Melden in der Armee den Beinamen „der grobe" erhielt und weder mit
über noch mit unter ihm stehenden Generalen Harmoniren konnte. Dieser gewal¬
tige Unterkiefer gibt dem Geficht, im Profil gesehen, den Ausdruck einer erstaun¬
lichen Selbstzuversicht und einer fast abstoßenden Biederkeit; es scheint nämlich zu
sagen: Wäre es auf mich angekommen, so würde man im Stadtgraben zu Pfeil
und Bogen begnadigen und nicht zu Pulver.

Hüten wir uns, vou diesem Aeußern auf den ganzen Mann zu schließen.
Melden gilt für einen der ersten Feldherrn Oestreichs und soll erst im vorjährigen
Feldzug die Italiener nach allen Regeln der Kunst massacrirt haben. Ich kann
zwar diesen Ruf Weidens mit dem Geist seiner Schriften nicht recht zusammenrei¬
men, denn ich glaube, es gibt noch etwas Wesentlicheres als Lesen, Schreiben
und Rechnen, und dies darf auch dem Heerführer nicht abgehen. Blücher und der
alte Fritz traten die deutsche Sprache ebenfalls ohne Gnad und Pardon mit Fü¬
ßen, aber selbst der pommersche Säbelheld war in seinem Commisbrotstyl nicht
der Logik so spinnefeind. Dem sei wie ihm wolle, wir haben es hier nicht mit
dem Kriegsmanne, sondern mit dem Schriftsteller Melden zu thun. Er selbst will
sich als solchen betrachtet wissen. Ans dem Titelblatt eines Werkes über die Flora
des Monte Rosa steht sein Name, und eine seiner ersten Aeußerungen, die er in
Wien gegen einige Zeitungsschreiber that, lautete: Der Belagerungszustand kann
der Preßfreiheit nicht im mindesten schaden. Wer nichts Unrechtes schreibt, braucht
das Kriegsgericht uicht zu fürchten. Ich weiß auch, was Wissenschaft ist, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279981"/>
          <p xml:id="ID_1517" prev="#ID_1516"> wurde nach dem October wieder ganz die ehrbare Alte von ehedem und geht seit<lb/>
jener Zeit mit halbgeschlossenen Augen, murmelnden Lippen, in grauer Uniform,<lb/>
Gebetbuch unter dem Arm und die Patrontasche an der Seite, auf ihrem lang¬<lb/>
weiligen Posten auf und nieder. Durch die Wiener Zeitung übrigens lernten wir<lb/>
die erste journalistische Merkwürdigkeit Oestreichs kennen, nämlich den Feldmar-<lb/>
schallieutenant</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1. Melden.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1518"> Wir wollen diesem Schriftsteller erst in's leibliche Angesicht sehen. Kommen<lb/>
Sie auf den Graben oder Kohlmarkt, vor das erste beste Schaufenster einer Kunst¬<lb/>
handlung. Auf diesen aristokratischen Plätzen sieht man seit einem Jahr nichts<lb/>
ausgehängt als die Portraits der östreichischen Ober- und Untergötter, lauter<lb/>
Militäruniformen zu Fuß und zu Pferde; die Minister find mit Ausnahme Schwar-<lb/>
zenberg's, der Soldat ist, in diesen heiligen Fensterscheiben nicht zugelassen. Wir<lb/>
sind daher sicher, den Melden da zu treffen. Richtig, da haben Sie ihn, wie er<lb/>
leibt und lebt. Dieses ist der berühmte &#x201E;Vater Melden," Alter, etwa 60 Jahre,<lb/>
Geburtsort Tyrol, Stirne hoch, Augen groß und zornig, Nase, mit einem mäßi¬<lb/>
gen Buckel in der Mitte versehen, Gesichtsfarbe hypochondrisch, Mund groß und<lb/>
breit. Besondere Kennzeichen: der Unterkiefer ist ungewöhnlich stark entwickelt,<lb/>
weshalb Melden in der Armee den Beinamen &#x201E;der grobe" erhielt und weder mit<lb/>
über noch mit unter ihm stehenden Generalen Harmoniren konnte. Dieser gewal¬<lb/>
tige Unterkiefer gibt dem Geficht, im Profil gesehen, den Ausdruck einer erstaun¬<lb/>
lichen Selbstzuversicht und einer fast abstoßenden Biederkeit; es scheint nämlich zu<lb/>
sagen: Wäre es auf mich angekommen, so würde man im Stadtgraben zu Pfeil<lb/>
und Bogen begnadigen und nicht zu Pulver.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1519" next="#ID_1520"> Hüten wir uns, vou diesem Aeußern auf den ganzen Mann zu schließen.<lb/>
Melden gilt für einen der ersten Feldherrn Oestreichs und soll erst im vorjährigen<lb/>
Feldzug die Italiener nach allen Regeln der Kunst massacrirt haben. Ich kann<lb/>
zwar diesen Ruf Weidens mit dem Geist seiner Schriften nicht recht zusammenrei¬<lb/>
men, denn ich glaube, es gibt noch etwas Wesentlicheres als Lesen, Schreiben<lb/>
und Rechnen, und dies darf auch dem Heerführer nicht abgehen. Blücher und der<lb/>
alte Fritz traten die deutsche Sprache ebenfalls ohne Gnad und Pardon mit Fü¬<lb/>
ßen, aber selbst der pommersche Säbelheld war in seinem Commisbrotstyl nicht<lb/>
der Logik so spinnefeind. Dem sei wie ihm wolle, wir haben es hier nicht mit<lb/>
dem Kriegsmanne, sondern mit dem Schriftsteller Melden zu thun. Er selbst will<lb/>
sich als solchen betrachtet wissen. Ans dem Titelblatt eines Werkes über die Flora<lb/>
des Monte Rosa steht sein Name, und eine seiner ersten Aeußerungen, die er in<lb/>
Wien gegen einige Zeitungsschreiber that, lautete: Der Belagerungszustand kann<lb/>
der Preßfreiheit nicht im mindesten schaden. Wer nichts Unrechtes schreibt, braucht<lb/>
das Kriegsgericht uicht zu fürchten. Ich weiß auch, was Wissenschaft ist, und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] wurde nach dem October wieder ganz die ehrbare Alte von ehedem und geht seit jener Zeit mit halbgeschlossenen Augen, murmelnden Lippen, in grauer Uniform, Gebetbuch unter dem Arm und die Patrontasche an der Seite, auf ihrem lang¬ weiligen Posten auf und nieder. Durch die Wiener Zeitung übrigens lernten wir die erste journalistische Merkwürdigkeit Oestreichs kennen, nämlich den Feldmar- schallieutenant 1. Melden. Wir wollen diesem Schriftsteller erst in's leibliche Angesicht sehen. Kommen Sie auf den Graben oder Kohlmarkt, vor das erste beste Schaufenster einer Kunst¬ handlung. Auf diesen aristokratischen Plätzen sieht man seit einem Jahr nichts ausgehängt als die Portraits der östreichischen Ober- und Untergötter, lauter Militäruniformen zu Fuß und zu Pferde; die Minister find mit Ausnahme Schwar- zenberg's, der Soldat ist, in diesen heiligen Fensterscheiben nicht zugelassen. Wir sind daher sicher, den Melden da zu treffen. Richtig, da haben Sie ihn, wie er leibt und lebt. Dieses ist der berühmte „Vater Melden," Alter, etwa 60 Jahre, Geburtsort Tyrol, Stirne hoch, Augen groß und zornig, Nase, mit einem mäßi¬ gen Buckel in der Mitte versehen, Gesichtsfarbe hypochondrisch, Mund groß und breit. Besondere Kennzeichen: der Unterkiefer ist ungewöhnlich stark entwickelt, weshalb Melden in der Armee den Beinamen „der grobe" erhielt und weder mit über noch mit unter ihm stehenden Generalen Harmoniren konnte. Dieser gewal¬ tige Unterkiefer gibt dem Geficht, im Profil gesehen, den Ausdruck einer erstaun¬ lichen Selbstzuversicht und einer fast abstoßenden Biederkeit; es scheint nämlich zu sagen: Wäre es auf mich angekommen, so würde man im Stadtgraben zu Pfeil und Bogen begnadigen und nicht zu Pulver. Hüten wir uns, vou diesem Aeußern auf den ganzen Mann zu schließen. Melden gilt für einen der ersten Feldherrn Oestreichs und soll erst im vorjährigen Feldzug die Italiener nach allen Regeln der Kunst massacrirt haben. Ich kann zwar diesen Ruf Weidens mit dem Geist seiner Schriften nicht recht zusammenrei¬ men, denn ich glaube, es gibt noch etwas Wesentlicheres als Lesen, Schreiben und Rechnen, und dies darf auch dem Heerführer nicht abgehen. Blücher und der alte Fritz traten die deutsche Sprache ebenfalls ohne Gnad und Pardon mit Fü¬ ßen, aber selbst der pommersche Säbelheld war in seinem Commisbrotstyl nicht der Logik so spinnefeind. Dem sei wie ihm wolle, wir haben es hier nicht mit dem Kriegsmanne, sondern mit dem Schriftsteller Melden zu thun. Er selbst will sich als solchen betrachtet wissen. Ans dem Titelblatt eines Werkes über die Flora des Monte Rosa steht sein Name, und eine seiner ersten Aeußerungen, die er in Wien gegen einige Zeitungsschreiber that, lautete: Der Belagerungszustand kann der Preßfreiheit nicht im mindesten schaden. Wer nichts Unrechtes schreibt, braucht das Kriegsgericht uicht zu fürchten. Ich weiß auch, was Wissenschaft ist, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/433>, abgerufen am 15.01.2025.