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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Kasernen zurück wälzt. Dann beginnt das neue Reich, der Bureaukratie. Wer
uns von dieser rettet? das weiß keiner. Nein! ein so gewaltiges Verhängniß
wie das, das eine solche Contrerevolution hinwegnehmen soll, das muß wie el"
verkleideter Odysseus mitten unter den Freiern den Bogen spannen, ehe ihn
noch jemand erkannt. Und wer weiß, hinter welcher Pforte es bereits pocht.

Das sind unsere östreichischen Tröstungen.




Wiener Zeitungen und Zeitnngshelden.



Es wäre ein verdienstliches Unternehmen, die großen und kleinen Ungeheuer
der hiesigen Zeituugswelt, zur Belustigung sowohl wie zur Belehrung des deut¬
schen Publikums, lebensgroß in Oel zu malen; für die ernsthaften journalisti¬
schen Leiden des bald ablaufenden Jahres 1849 dürfte Unsereinem auch eine kleine
humoristische Rache nicht zu mißgönnen sein. Zeichnung und Colorit brauchten
dabei sich keiner Ueberladung oder Verzerrung schuldig zu macheu. Die Karrika-
tur ist hier um so weniger nöthig, als in einem bloßen getreuen Konterfei der
Gegenstände des Erstaunlichen und Grotesken mehr liegt, als die boshafteste
Phantasie erfinden kann.

Auch lehrreich wäre eine Gallerie solcher Bilder. Es bedürfte nicht einmal
groß angelegter und vollständig ausgeführter Gemälde; ein verständiger Zeichner
durchblättere nur den letzten Jahrgang der Wiener Zeitung und habe ein Aug
auf die offiziellen Localaktenstücke darin, auf die Erlasse, Urtheile, Drohungen
und Verwarnuugen. Er wird kostbare Perlen finden; Sprüche der Weisheit aus
Mund und Feder unserer militärischen Regenten, welche einen Grandville oder
Gavarni glücklich machen würden; Redensarten, die, gesammelt und mit veran¬
schaulichenden Illustrationen versehen, die Zustände und Schicksale Oestreichs besser
erklären könnten, als all die dicken und dünnen Bücher darüber, welche bis jetzt
erschienen sind und noch erscheinen mögen.

Ich werde im Laufe meiner Betrachtungen Gelegenheit finden, wohlmeinenden
Zeichnern zu diesem Behuf einige Winke zu geben. Fangen wir gleich mit der
bekannten Wiener Zeitung an, deren löschpapiercne, aber verhängnißvolle Blätter
grau sind wie das Alterthum und geduldig wie alle Heiligen des Kalenders.
Im Sommer 1848 hatte die Wiener Zeitung eine Periode der Lebendigkeit und
Lebenslust; sie that jung und liberal, trug ein kurzes Röckchen, sprach deutsch und
ließ sich von zwei modernen Redacteuren (l)r. Heyßler und Dr. Eitelberger) uuter
den Arm nehmen. Sie hat diese einzige Verirrung ihres Lebens bald abgebüßt.


Kasernen zurück wälzt. Dann beginnt das neue Reich, der Bureaukratie. Wer
uns von dieser rettet? das weiß keiner. Nein! ein so gewaltiges Verhängniß
wie das, das eine solche Contrerevolution hinwegnehmen soll, das muß wie el»
verkleideter Odysseus mitten unter den Freiern den Bogen spannen, ehe ihn
noch jemand erkannt. Und wer weiß, hinter welcher Pforte es bereits pocht.

Das sind unsere östreichischen Tröstungen.




Wiener Zeitungen und Zeitnngshelden.



Es wäre ein verdienstliches Unternehmen, die großen und kleinen Ungeheuer
der hiesigen Zeituugswelt, zur Belustigung sowohl wie zur Belehrung des deut¬
schen Publikums, lebensgroß in Oel zu malen; für die ernsthaften journalisti¬
schen Leiden des bald ablaufenden Jahres 1849 dürfte Unsereinem auch eine kleine
humoristische Rache nicht zu mißgönnen sein. Zeichnung und Colorit brauchten
dabei sich keiner Ueberladung oder Verzerrung schuldig zu macheu. Die Karrika-
tur ist hier um so weniger nöthig, als in einem bloßen getreuen Konterfei der
Gegenstände des Erstaunlichen und Grotesken mehr liegt, als die boshafteste
Phantasie erfinden kann.

Auch lehrreich wäre eine Gallerie solcher Bilder. Es bedürfte nicht einmal
groß angelegter und vollständig ausgeführter Gemälde; ein verständiger Zeichner
durchblättere nur den letzten Jahrgang der Wiener Zeitung und habe ein Aug
auf die offiziellen Localaktenstücke darin, auf die Erlasse, Urtheile, Drohungen
und Verwarnuugen. Er wird kostbare Perlen finden; Sprüche der Weisheit aus
Mund und Feder unserer militärischen Regenten, welche einen Grandville oder
Gavarni glücklich machen würden; Redensarten, die, gesammelt und mit veran¬
schaulichenden Illustrationen versehen, die Zustände und Schicksale Oestreichs besser
erklären könnten, als all die dicken und dünnen Bücher darüber, welche bis jetzt
erschienen sind und noch erscheinen mögen.

Ich werde im Laufe meiner Betrachtungen Gelegenheit finden, wohlmeinenden
Zeichnern zu diesem Behuf einige Winke zu geben. Fangen wir gleich mit der
bekannten Wiener Zeitung an, deren löschpapiercne, aber verhängnißvolle Blätter
grau sind wie das Alterthum und geduldig wie alle Heiligen des Kalenders.
Im Sommer 1848 hatte die Wiener Zeitung eine Periode der Lebendigkeit und
Lebenslust; sie that jung und liberal, trug ein kurzes Röckchen, sprach deutsch und
ließ sich von zwei modernen Redacteuren (l)r. Heyßler und Dr. Eitelberger) uuter
den Arm nehmen. Sie hat diese einzige Verirrung ihres Lebens bald abgebüßt.


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[0432] Kasernen zurück wälzt. Dann beginnt das neue Reich, der Bureaukratie. Wer uns von dieser rettet? das weiß keiner. Nein! ein so gewaltiges Verhängniß wie das, das eine solche Contrerevolution hinwegnehmen soll, das muß wie el» verkleideter Odysseus mitten unter den Freiern den Bogen spannen, ehe ihn noch jemand erkannt. Und wer weiß, hinter welcher Pforte es bereits pocht. Das sind unsere östreichischen Tröstungen. Wiener Zeitungen und Zeitnngshelden. Es wäre ein verdienstliches Unternehmen, die großen und kleinen Ungeheuer der hiesigen Zeituugswelt, zur Belustigung sowohl wie zur Belehrung des deut¬ schen Publikums, lebensgroß in Oel zu malen; für die ernsthaften journalisti¬ schen Leiden des bald ablaufenden Jahres 1849 dürfte Unsereinem auch eine kleine humoristische Rache nicht zu mißgönnen sein. Zeichnung und Colorit brauchten dabei sich keiner Ueberladung oder Verzerrung schuldig zu macheu. Die Karrika- tur ist hier um so weniger nöthig, als in einem bloßen getreuen Konterfei der Gegenstände des Erstaunlichen und Grotesken mehr liegt, als die boshafteste Phantasie erfinden kann. Auch lehrreich wäre eine Gallerie solcher Bilder. Es bedürfte nicht einmal groß angelegter und vollständig ausgeführter Gemälde; ein verständiger Zeichner durchblättere nur den letzten Jahrgang der Wiener Zeitung und habe ein Aug auf die offiziellen Localaktenstücke darin, auf die Erlasse, Urtheile, Drohungen und Verwarnuugen. Er wird kostbare Perlen finden; Sprüche der Weisheit aus Mund und Feder unserer militärischen Regenten, welche einen Grandville oder Gavarni glücklich machen würden; Redensarten, die, gesammelt und mit veran¬ schaulichenden Illustrationen versehen, die Zustände und Schicksale Oestreichs besser erklären könnten, als all die dicken und dünnen Bücher darüber, welche bis jetzt erschienen sind und noch erscheinen mögen. Ich werde im Laufe meiner Betrachtungen Gelegenheit finden, wohlmeinenden Zeichnern zu diesem Behuf einige Winke zu geben. Fangen wir gleich mit der bekannten Wiener Zeitung an, deren löschpapiercne, aber verhängnißvolle Blätter grau sind wie das Alterthum und geduldig wie alle Heiligen des Kalenders. Im Sommer 1848 hatte die Wiener Zeitung eine Periode der Lebendigkeit und Lebenslust; sie that jung und liberal, trug ein kurzes Röckchen, sprach deutsch und ließ sich von zwei modernen Redacteuren (l)r. Heyßler und Dr. Eitelberger) uuter den Arm nehmen. Sie hat diese einzige Verirrung ihres Lebens bald abgebüßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/432>, abgerufen am 15.01.2025.